Revolutionär ist die Taktik von Otto Rehhagel nun wirklich nicht. Der deutsche Trainer startet mit einer ultradefensiven Einstellung ins EM-Abenteuer in Portugal. In der Gruppe mit dem Gastgeber, Spanien und Russland haben die Griechen ohnehin wenig Kredit. Dies ändert sich mit dem überraschenden 1:0-Sieg im Eröffnungsspiel gegen Portugal.
Mit einem Punktgewinn gegen Spanien und der 1:2-Niederlage gegen Russland reicht es Griechenland hauchdünn für die K.o.-Phase.
Dort wartet im Achtelfinale Titelverteidiger Frankreich, das mit Barthez, Thuram, Zidane, Henry, Trezeguet und Co. über ein sackstarkes Kader verfügt. Doch auch hier hält die griechische Mauer um den starken Keeper Antonios Nikopolidis: Griechenland holt dank einem Charisteas-Tor den 1:0-Sieg und wirft einen der grossen Favoriten aus dem Turnier.
Im Halbfinal wartet Tschechien mit Bomber Milan Baros, der in vier Spielen bisher fünf Tore erzielte. Doch auch der spätere Torschützenkönig findet gegen die Mannen von Otto Rehhagel kein Mittel. In der 105. Minute schiesst tatsächlich Traianos Dellas das Silver Goal und Griechenland in den Final.
Da standen diese Griechen mit ihrer Mauertaktik nun im Final. Die Kritik nach Steinzeitfussball liess Trainer Otto Rehhagel indes völlig kalt. «Modern spielt, wer gewinnt», so das Otto-Motto.
Wie bereits im Auftaktspiel heisst der Gegner erneut Portugal. Und trotz des Sieges zum EM-Start gehen die Griechen als krasser Aussenseiter ins Spiel. Nochmals wird den Portugiesen so ein Ausrutscher ja nicht passieren.
Die Lusitaner beginnen dann auch etwas zögerlich, um nicht den Fehler des Eröffnungsspiel zu wiederholen und in Rückstand zu geraten. Prompt, als das Team um Youngster Cristiano Ronaldo den Druck langsam erhöht, kommt der Schock: Nach einem Eckball patzt Torwart Ricardo, Angelos Charistes ist zuerst am Ball und köpft nach knapp einer Stunde ins verlassene Gehäuse.
Portugal rennt nun wie wild an, kommt aber nicht an Verteidigung und dem erneut überragenden Torhüter Nikopolidis vorbei, die besten Chancen vergeben Luis Figo und Cristiano Ronaldo. Am Schluss resultieren über 20 Torchancen für Portugal, ein Tor will dem Team von Luiz Felipe Scolari aber nicht gelingen, Griechenland holt sich tatsächlich den Titel!
Neben dem Turniersieg gibt es eine weitere Auszeichnung: Der griechische Mittelfeldspieler Theodoros Zagorakis wird zum besten Spieler des Turniers gewählt.
Otto Rehhagel ist nach dem Triumph ausser sich vor Freude: «Dieses 1:0 geht weit über die sportlichen Begriffe hinaus. Es ist fantastisch, dass der Fussball in der Lage ist, an einem Tag alle Menschen zu vereinen, was die Politiker bislang vergeblich versuchen.»
Mit dem griechischen Fussball geht es nach dem Triumph allerdings ebenso steil bergab wie es zuvor hinauf ging: Bereits die WM-Qualifikation 2006 verpasst der amtierende Europameister – als Gruppenvierter hinter der Ukraine, der Türkei und Dänemark.
2008 qualifiziert sich Griechenland zwar für die EM in der Schweiz und Österreich, scheidet aber trostlos mit drei Niederlagen in der Gruppenphase aus.
An der WM 2010 schreibt Otto Rehagel dann erneut Geschichte: Diesmal nach dem Vorrunden-Aus allerdings nicht sportlich, sondern mit seinen 71 Jahren – er wird damit zum ältesten WM-Coach aller Zeiten. Danach tritt «Rehakles», wie er in Anlehnung an den griechischen Herakles (Herkules) genannt wurde, zurück.
Den Griechen gelingen danach 2012 und 2014 an den EM- und WM-Endrunden mit der Qualifikation für die K.o.-Phase zumindest Achtungserfolge, ehe in der Qualifikation für die EM 2016 die grosse Blamage folgt:
Griechenland verpasst als Gruppenkopf gesetzt die Qualifikation nicht bloss, es wird Gruppenletzter, verliert mit Trainer Claudio Ranieri sogar zwei Mal gegen die Färöer-Inseln. Dieser wird danach zum Teufel gejagt – und gewinnt mit Leicester die Sensationsmeisterschaft, die eine noch krassere Überraschung ist, als Griechenlands EM-Titel 2004.
Auch für die WM 2018, die EM 2021 und die WM 2022 kann sich Griechenland nicht qualifizieren. Immerhin können die Griechen jährlich am 4. Juli wieder in Erinnerungen schwelgen. An «Rehakles» und seine mauernden Griechen.