Man ahnt es schon, als der ORF nach der Partie zwischen dem SCR Altach und dem SV Ried (0:1) Ailton zum Interview bittet: Das kann heiter werden. Und es wird heiter.
Ailton ist eigentlich sprachlos, plaudert aber trotzdem mit seinem unverwechselbaren Akzent ins Mikrofon: «Ich musste 35 Jahre alt werden und spiele schon lange Fussball. Aber so etwas wie heute habe ich noch nie gesehen.» Hier gilt es anzumerken: Wenn Ailton sagt, er habe etwas noch nicht gesehen, dann will das was heissen.
Der Brasilianer erlebt seine Glanzzeit zwischen 1998 und 2004 bei Werder Bremen. Als nur einer von bis dahin vier Ausländern erzielt er über 100 Bundesligatore (106 Tore in 214 Einsätzen), in der Abschiedssaison wird er Meister, Pokalsieger, Torschützenkönig und als erster Ausländer zu «Deutschlands Fussballer des Jahres» gewählt.
Publikumsliebling ist er an der Weser, «Kugelblitz» nennen sie ihn wegen seiner Körperform liebevoll. Da er keine Chance auf die brasilianische Nati sieht, will er sich erst in Deutschland einbürgern lassen. Der damalige Bundestrainer Rudi Völler hat aber kein Interesse am Zuckerhut-Stürmer.
Später liebäugelt er mit der katarischen Nationalmannschaft. Doch auch das will nicht klappen. Ailton kickt bis dahin in Brasilien, Mexiko, Deutschland, der Türkei, Serbien, der Ukraine, bei GC in der Schweiz und jetzt also in Österreich. Der Cashpoint SC Rheindorf Altach in Vorarlberg ist sein 18. Klub. Nur 6200 Einwohner wohnen im verschlafenen Dorf.
Keine Frage, Ailton hat die Welt gesehen. Was aber auch erwähnt werden muss: Er dürfte selber nicht geahnt haben, was er alles noch nicht gesehen hat. An der Wok-WM macht er später mit, geht für «Ich bin ein Star – holt mich hier raus!» in den australischen Dschungel und nimmt ein Lied über sich auf. Aber das sind andere Geschichten.
Zurück zum Interview. «For mi das nicht Profi-Mannschaft, das nicht Profi-Fussball», erklärt der Angreifer. Unglaublich sei das. Eine Stunde habe er gespielt, aber keinen Ball erhalten, nie aufs Tor geschossen. Keiner wisse, wo er spielen müsse. Ein System habe er nicht erkannt, schlicht «gar nichts» sei das gewesen.
Das beweist auch die Statistik seiner unauffälligen Darbietung: 15 Ballkontakte verzeichnet er, nur 22 Prozent der Zweikämpfe verlaufen positiv und null Torschüsse werden notiert. Ob es nur an den Mitspielern gelegen hat oder Ailton vielleicht mitschuldig ist, sei mal dahingestellt. Der Schweizer Trainer Urs Schönenberger jedenfalls bemerkt nach der Partie: «Auch er muss dafür arbeiten, dass er Bälle bekommt. Das war zu wenig.»
Selbstkritik scheint aber nicht die Stärke von Ailton zu sein: «Der beste Stürmer der Welt hätte hier kein Tor erzielt», jammert der von Altachs Geschäftsführer Christoph Längle später als «grosser Unkontrollierbarer» bezeichnete Brasilianer. Zu viele lange Bälle hätten seine Teamkameraden gespielt. Ungläubig schüttelt er den Kopf: «Das ist kein Fussball, das ist kein Fussball.»
Dabei hört sich Tage zuvor noch alles optimistisch an. Kurz vor der Vertragsunterzeichnung steht Ailton da und sagt Sätze wie «Ich will Altach helfen», «Ich muss meine Form finden und Tore schiessen» oder «Ich will mit dem Klub nach oben».
Froh ist er vor allem, dass er weg aus der Ukraine konnte. Und Altach ist auf Tore angewiesen. In den ersten beiden Spielen wird Ailton jeweils eingewechselt. Einmal darf er 18 Minuten ran, einmal deren 36. Das Spiel gegen Ried ist sein Startelf-Debüt. Nach der Partie hat Altach neun von zehn Spielen verloren und weist ein Torverhältnis von 8:29 aus.
Trotzdem ist die Nummer 10 (was denn sonst?) die grosse Attraktion bei Altach. Der sensationellste Transfer der Klubgeschichte natürlich, Autogrammjäger sind immer hinter ihm her. Ja, der Zirkus spielt, wenn die Diva auftritt.
Seine Äusserungen im Interview kommen natürlich nicht gut an. Geschäftsführer Längle empfindet sie als «unnötig, aber noch innerhalb der Toleranzgrenze». Ailton muss eine Busse bezahlen, entschuldigt sich beim Team für die Aussagen. Was er jetzt machen will, wird der Altstar noch gefragt: «Vielleicht nach Brasilien», lacht Ailton. Es bleibt ein Spässchen. Beim nächsten Spiel steht der damals 35-Jährige wieder in der Startelf. Altach siegt beim LASK. Torschütze zum 3:1-Endstand? Natürlich Ailton. Der Knipser erzielt nach dem Interview sieben Tore in ebenso vielen Spielen.
Die Lage zwischen Spieler und Klub entspannt sich in den kommenden Wochen. Ailton erzielt sieben Tore in zwölf Partien (drei per Elfmeter) und erhält bei einer Auswechslung gar einmal Standing Ovations. «Nicht vergesse, wie geht Tore schiesse», verkündet er. Das Leihgeschäft endet trotzdem im Dezember. Zurück in die Ukraine zu Metalurg Donezk will der Lebemann aber nicht. «Kopf will nicht, Körper will nicht, und Frau will auch nicht», erklärt er und löst den Vertrag auf.
Das Karriereende bedeutet dies aber längst nicht. Im März 2009 schliesst sich der Torhamster dem brasilianischen Zweitliga-Verein Campinense an. Es folgt ein Wechsel nach China, nochmals nach Deutschland, zurück nach Brasilien und 2012 zu Hassia Bingen in Deutschlands sechsthöchster Liga. Es ist sein 25. Klubwechsel. Trotz Abstieg bleibt er dem Verein über das Saisonende hinaus treu. Letztmals war dies 2004 in Bremen der Fall. Im Januar 2014 beendet Ailton seine Karriere, am 6. September 2014 organisiert Werder Bremen ein Abschiedsspiel für seinen einstigen Star. Ailton erzielt vier der acht Tore. Gelernt ist eben gelernt.
Das denke ich auch des öfteren über unsere Firma...
Nur leider wird in der Arbeitswelt meist an den Symptomen rum geschraubt: Man sagt Mitarbeitenden was sie falsch machen und provoziert eine hohe Fluktuation...
Dabei müsste man wie im Sport zum Problem vordringen und den Trainer genauer unter die Lupe nehmen...
Derselbe Mensch kann unter einem guten Chef und einer guten Geschäftsleitung aufblühen...
Nur sind solche rar gesät...