Alles, was war, verblasst. Beinahe auch das «Miracle on Ice». Der goldene Triumph der US-College-Boys 1980 nach einem Sieg über die Sowjets. Aber nur beinahe. In der Verlängerung des olympischen Eishockey-Finals 2018 gewinnt doch noch Russland mit 4:3. Ach, Deutschland war so nah am ewigen Triumph!
Gratulation an die OAR! pic.twitter.com/nxZIeyCD5N
— Eurosport DE (@Eurosport_DE) February 25, 2018
Eine Mannschaft aus der DEL unterliegt Russland erst in der Verlängerung. Wenn es je eine ehrenvolle Niederlage gegeben hat, dann diese. Wenn es je ein Eishockey-Drama gegeben hat, dann war dieser Final in Pyeongchang ein Drama. Eine Mischung aus wagnerianischer Oper, Hitchcock und Ballett.
Deutschland, nur besiegt von Russland, das auf einer «heiligen Mission» war. Nach all den Wirren und Demütigungen konnte nur dieses olympische Gold die Schmach ein wenig lindern. Eishockey ist der «heilige Sport» der Russen. Weil er ihrer Seele am meisten entspricht.
Die Russen waren weder überheblich noch hatten sie die Deutschen unterschätzt. Es ist ganz einfach so, dass die Deutschen die grösste Leistung gezeigt haben, die je einem Aussenseiter im olympischen Turnier geglückt ist. Sie haben noch mehr aus ihrem Talent gemacht als damals 1980 die Amerikaner. Nur der finale Triumph ist ihnen von den Hockeygöttern verwehrt worden.
Alle bisherigen Erkenntnisse sind ausgehebelt. Es galt als ausgeschlossen, dass ein Team überhaupt das Finale erreichen könnte, das ein zusätzliches Spiel bestreiten musste. Anders als die Russen vermochten sich die Deutschen nicht direkt fürs Viertelfinale zu qualifizieren. Und selbst nachdem die Deutschen das Finale geschafft hatten, gegen Weltmeister Schweden und den olympischen Titelverteidiger Kanada, galt als sicher: Die Kraft reicht nicht mehr. Das Endspiel wird eine klare Sache.
Und doch ist es am Ende kein Wunder, dass wir da atemlos zugeschaut haben. Eishockey bedeutet ja auch, dass die Namen auf dem Dress nur aufgenähte Buchstaben sind. Und genau so war es. Namen zählten in diesem Final nicht mehr. Vergangener Ruhm auch nicht.
Alles, was zählte, war die Gegenwart. Die Leidenschaft, die Kampfkraft, der Mut, die Zuversicht, die Disziplin, die Kaltblütigkeit der Stunde. Und, wie immer, ein starker Torhüter.
Dieses Drama entschädigt für alles, was ein Chronist je in Eishallen zu erdulden hatte. Wir haben alles gesehen. Ein Tor 0,5 Sekunden vor Ablauf des ersten Drittels (0:1 für Russland), kluges Defensivspiel, aufopfernde Leidenschaft, Härte. Aber auch Dynamik, Technik, Tempo. Und eines ist klar: Wären die NHL-Profis hier gewesen, wäre ein solches Spiel, ein solch verrücktes Turnier nicht möglich gewesen.
KAHUN! KAHUN! KAHUUUUN! ZWEI ZWEI!!! Nur acht Sekunden nach dem 1:2.#Wintermärchen#OAR #GER #OARGER#IceHockey @DEB_eV @TeamD
— Eurosport DE (@Eurosport_DE) February 25, 2018
----------------------------
📺 LIVE bei Eurosport 1 HD
💻📱 LIVE ► https://t.co/Ycn09AxqPT#PyeongChang2018#HomeOfTheOlympics pic.twitter.com/z0rjB1mQMh
Nachgeliefert: das 3:2. Wie lange er wartet. 😎
— Eurosport DE (@Eurosport_DE) February 25, 2018
-----------------------
💻📱 Eurosport Player 5 Tage kostenlos testen ► https://t.co/eH05wJu60x#OARGER pic.twitter.com/QRsaRNafav
Uuuuunglaublich. #DreiDrei#Wintermärchen#OAR #GER #OARGER#IceHockey @DEB_eV @TeamD
— Eurosport DE (@Eurosport_DE) February 25, 2018
----------------------------
📺 LIVE bei Eurosport 1 HD
💻📱 LIVE ► https://t.co/Ycn09AxqPT#PyeongChang2018#HomeOfTheOlympics pic.twitter.com/c2JFsDoZ1i
Wir können auch sagen: Wir brauchen die NHL-Stars beim olympischen Turnier nicht. Wenn die Besten der Welt alle dabei sind, bleibt die Hierarchie gewahrt. Weil nach wie vor die Grossen am meisten NHL-Stars in ihren Reihen haben. Und die haben dafür gesorgt, dass die Grossen bei der Verteilung von Titeln und Medaillen weitgehend unter sich geblieben sind.
Nun fehlten die NHL-Stars. Oder noch einfacher gesagt: Die 700 besten Spieler der Welt. Und siehe da: Das Eishockey ist wieder ein Spiel auf rutschiger Unterlage geworden. Unberechenbar, unvorhersehbar, dramatisch.
Ja, die Abwesenheit der NHL-Stars hat den Aussenseitern eine Jahrhundertchance geboten. Die Frage war nur, wer diese unverhoffte Gelegenheit am besten nützen würde. Die Schweiz? Deutschland? Oder würde Finnland endlich seinen ewigen Traum vom Olympiasieg wahr machen?
Ein entscheidender Faktor kam bei dieser Ausgeglichenheit dem «Momentum» zu. Dem emotionalen «Kickstart», der eine Mannschaft in einem so kurzen, intensiven Turnier auf ungeahnte Höhen tragen kann.
Dieser «Kickstart» blieb den Schweizern verwehrt. Ja, sie hatten erst einmal ein Schockerlebnis, das sie, wie wir im Rückblick erkennen, nicht mehr überwinden konnten: Der Titan Leonardo Genoni wurde von den Kanadiern mit vier frühen Toren gestürzt. Jonas Hiller sollte sich zwar als würdiger Ersatz erweisen. Aber der Schock durch den missglückten Start sass zu tief und wurde durch den Sieg in der zweiten Partie gegen Korea (8:0) nicht gemildert.
Das dritte Spiel gegen Tschechien ging wieder verloren (1:4), wie gegen Kanada waren wir chancenlos. Auch wenn die drei Vorrundenspiele im Grunde bedeutungslos waren – noch schied niemand aus –, so ist doch die psychologische Bedeutung nicht zu unterschätzen.
Die Deutschen bauten ihre Form in diesen drei Partien nach und nach auf, justierten ihr Spielsystem, verloren zweimal (2:5 gegen Finnland, 0:1 gegen Schweden) und siegten zum Abschluss gegen Norwegen (2:1 n. P.). Diese letzte Partie war die Generalprobe.
Die Mutter aller Partien, das Spiel mit den grössten Auswirkungen auf den weiteren Verlauf des Turniers, war ausgerechnet … die Auseinandersetzung zwischen der Schweiz und Deutschland. Ein Sieg in dieser Partie zwischen den zwei aussichtsreichsten Aussenseitern konnte zum «Momentum» führen, das eine Sensation möglich macht. Die Deutschen triumphierten in der Verlängerung in einer Partie, die über weite Strecken von den Schweizern dominiert worden war.
Eine alternative olympische Geschichtsschreibung (was wäre gewesen, wenn …) hat durchaus ihren Reiz. Ein Sieg über Deutschland hätte vielleicht – aber nur vielleicht – auch die Schweiz in finale Höhen tragen können. Oder zu einem «normalen» Turnier führen können: ein anschliessendes Scheitern der Schweizer gegen die Schweden, gegen die sie noch nie eine Playoff-Partie gewonnen haben, wäre logisch gewesen.
Und dann wären die Grossen für die Ausmarchung der Medaillen unter sich gewesen. So wie fast immer: Schweden, Kanada und Russland.
Im Spiel Schweiz gegen Deutschland wurde entschieden, ob es ein grosses, ein dramatisches oder ein gewöhnliches Turnier mit einem allseits erwarteten Ausgang werden würde. Die vermeintlich Grossen überschätzten gegen die Deutschen ihre spielerische Klasse. Sie reichte nicht mehr aus, um einen gut organisierten, mutigen, leidenschaftlich kämpfenden vermeintlichen Aussenseiter zu stoppen. Die ganz grossen «Game Breaker» fehlten, die Offensivspieler, die auf diesem Niveau vorwärts eine Wende erzwingen können.
Weltmeister Schweden (3:4 n. V.) und Olympiasieger Kanada (3:4) büssten mit dem Ausscheiden und olympischer Entthronung. Und um ein Haar wäre auch Russland gescheitert.
Für die Schweizer bleibt eine bittere Erkenntnis, denn der Sieger hat immer recht. Die Schweizer begannen das Turnier mit einer Episode: mit dem Klagen über zu harte Betten in der olympischen Herberge im Rahmen einer offiziellen Medienkonferenz.
Hätten sie dann für eine positive Überraschung gesorgt wie die Deutschen, so wäre dies als Beweis für ihre Professionalität gewürdigt worden: Sieger kümmern sich eben um jedes Detail. Doch nach dem Scheitern bleibt der Spott über die, die weicher liegen wollten und hart auf dem Boden der Realität gelandet sind. Gerecht ist das nicht. Aber halt die Wirklichkeit. Wir werden für immer einer einmaligen Gelegenheit zum Eishockey-Weltruhm nachtrauern.
Dieser Artikel ist eine leicht angepasste Version des Artikels nach dem Final.