Am 19. August 2004 hängt der Himmel voller Geigen. Real Madrid präsentiert seine Neuverpflichtung aus England, Jonathan Woodgate. Niemand geringeres als Reals Ikone Alfredo di Stefano überreicht dem 24-jährigen Innenverteidiger das berühmte weisse Trikot.
Doch das Engagement steht unter einem schlechten Stern. Woodgate, schon zuvor bei Newcastle United längere Zeit schwer verletzt, kann lange nicht zeigen, was er drauf hat. Erst 13 Monate nach der Verpflichtung gibt er im Liga-Spiel gegen Athletic Bilbao sein Pflichtspieldebüt für Real Madrid.
Bei den «Galácticos» spielt zwar auch ein Eisenfuss wie Thomas Gravesen, doch die Mannschaft ist gespickt mit Superstars des Weltfussballs: Ronaldo stürmt an der Seite von Raúl, David Beckham und Roberto Carlos flanken, Iker Casillas hütet das Tor.
75'000 Zuschauer sind an diesem Abend ins Estadio Bernabéu gekommen. Die meisten davon sind vermutlich schlecht drauf, als der Schiedsrichter zur Halbzeit pfeift. Denn Athletic Bilbao liegt in Führung – wegen eines unglücklichen Eigentors. Pechvogel Woodgate hatte den Ball ins eigene Netz geköpft.
Durch einen Treffer Robinhos und zwei Toren von Raúl siegt Real Madrid am Ende dennoch standesgemäss mit 3:1. Zu reden gibt aber mehr noch als das Resultat das Debüt des 1,85 Meter grossen Engländers in der Innenverteidigung. Denn als die Partie vorbei ist, steht Woodgate schon lange nicht mehr auf dem Platz. Nach einem Foulspiel war er in der 66. Minute mit Gelb-Rot des Feldes verwiesen worden. Eigentor und Platzverweis – was für ein Alptraum beim Debüt für das berühmteste Fussballteam der Welt!
Die zweite Verwarnung sei eine, die in England wohl selten gezückt werde, urteilte der Reporter des «Guardian». Allerdings schrieb dessen Kollege von der «AS» über die erste Gelbe Karte, dass diese «dunkelorange» war – und eineinhalb und eine halbe Gelbe Karte, das ergebe dann halt in der Summe Gelb-Rot.
Woodgate bringt es auf 14 Einsätze für Real Madrid, er zeigt gute Ansätze. Doch im Sommer 2006 leihen ihn die «Königlichen» an Middlesbrough aus. Das war es bei Real – Woodgate kehrt nie mehr zurück. Ein grosser Fehler sei es gewesen, dass er es nicht noch einmal versucht habe, ärgert er sich mit einigen Jahren Abstand über seinen Entscheid, fix bei «Boro» zu unterschreiben.
«Es war ein Alptraum», sagt er rückblickend auf seine kurze Zeit in Madrid. «Ich hatte beim besten Team der Welt unterschrieben und konnte so lange nicht spielen. Ich hatte immer hart gearbeitet und gehofft, dass meine Chance bald kommt.» Sein missglücktes Debüt hat er trotz allem in guter Erinnerung: «Es war grossartig, ich liebte es. Ein Jahr nicht gespielt, dann erster Einsatz, Platzverweis und Eigentor. Kein Problem. Das nächste Spiel war dann stark und als ich aufs Feld lief, klatschten die Zuschauer.»
Überhaupt, die Fans. Die hatten Woodgate schon rasch in ihr Herz geschlossen. Vielleicht auch, weil er anders als andere ausländische Fussballer umgehend spanisch lernte und sich schon bald mit den Einheimischen austauschen konnte. «Als käme er nicht aus England, sondern aus Malaga», hatte ein ungenannter Teamkollege nach einigen Monaten verblüfft festgestellt.
Doch jede Liebe hat ihre Grenzen. Wenn es um die harten Fakten geht, können die Real-Fans unzimperlich sein. 2007 wählten die Leser der «Marca» Jonathan Woodgate mit grossem Abstand zum schlechtesten Einkauf des 21. Jahrhunderts. Und im März 2020 stellte ihn die gleiche Zeitung in «Real Madrids Flop-Elf des 21. Jahrhunderts.
Vielleicht hallt das Debüt eben immer noch nach. Woodgate selber sieht seine Zeit in der spanischen Hauptstadt nicht so negativ. Er bereue einzig, dass er es nicht auf mehr Einsätze gebracht habe: «Wenn ich gespielt habe, war ich gut. Nur leider spielte ich zu selten.»