Es ist sowas wie die Ironie der Linguistik, dass die Karriere von Matthias Steiner steiniger verläuft als die von anderen Athleten. Schon als Jugendlicher begeistert sich der gebürtige Wiener für das Gewichtheben. Als an seinem 18. Geburtstag Diabetes diagnostiziert wird, bleibt Steiner seiner Leidenschaft dennoch treu.
Steiner tummelt durch Welt- und Europameisterschaften, ohne die ganz grossen Resultate zu erzielen. An den Olympischen Spielen in Athen 2004 wird er immerhin Siebter.
Weil Steiner mit 23 Jahren sein Körpergewicht nicht unter 105 kg halten kann, muss er fortan im Superschwergewicht starten, wo er anfangs starke Mühe bekundet. Es kommt zu Streitigkeiten mit dem österreichischen Verband, Martin Schödl, Vizepräsident des ÖGV (österreichischer Gewichtheberverband), äussert sich harsch:
Steiner heiratet im Dezember 2005 die aus Sachsen stammende Susann, die er ein Jahr zuvor kennenlernte und beantragt die deutsche Staatsbürgerschaft. Nicht Teppichland, sondern Deutschland soll es sein.
Während sich Steiner auf Peking 2008 vorbereitet, folgt der Schicksalsschlag: Susann verunglückt am 16. Juli 2007 bei einem Autounfall tödlich. «Das ist schwer zu beschreiben, du hast dir dein Leben eingerichtet. Alles richtete sich bei mir auf die Olympischen Spiele. Meine Frau hatte studiert und die Karriere noch vor sich. Es ist vom einen Tag auf den anderen auf einmal vorbei», beschreibt Steiner die Situation Jahre später.
Steiner ringt lange damit, alles hinzuschmeissen, entscheidet sich aber, trotzdem weiterzumachen. «Wenn ich es jetzt bleiben lasse, ist dieses Geschehene trotzdem passiert. Es wird mich sowieso mein Leben lang begleiten.»
Steiner erhält Anfang 2008 die Deutsche Staatsbürgerschaft und wird im April mit persönlichen Bestleistungen sogleich Europameister. Mit viel Selbstvertrauen startet er am 19. August 2008 im Superschwergewicht an den Olympischen Spielen in Peking. Mit 203 kg im Reissen legt der Deutsche einen guten Grundstein für seine Spezialität, das Stossen.
Die Konkurrenz legt vor. Steiner hat die Medaille zwar auf sicher, will er dem Russen Jewgeni Tschigischew Gold noch wegschnappen, muss er jedoch 258 kg stossen, was ihm bisher noch nie gelang. Steiner erinnerte sich jedoch an die Aussage seines Trainers.
Mit diesen Worten im Kopf versucht Steiner das scheinbar Unmögliche und schafft es tatsächlich, die 258 kg in die Luft zu stossen – Olympiasieger!
Danach brechen alle Dämme. Steiner schreit seine Emotionen raus, sinkt auf die Knie, springt umher und lässt sich von Trainer Frank Mantek herzen.
Steiner spricht danach von einem Gefühl, «als würden tausend Ketten wegsprengen», es habe ein «verdammt hoher Druck» auf ihm gelastet.
Etwas mehr als ein Jahr nach dem tragischen Tod seiner Frau Susann steht Steiner zuoberst auf dem Olympia-Podest. Es ist aber auch der Punkt, an dem er sich allein fühlt, erklärt Steiner: «Ich wollte natürlich, dass meine Frau dabei ist.»
Steiner entscheidet sich, die Goldmedaille mit einem Foto seiner verstorbenen Frau in der Hand entgegenzunehmen und ihr die Medaille zu widmen. «Ich wollte der Welt zeigen, dass ich nicht alleine da oben stehen will», so Steiner.
Der Gewichtheber feiert 2010 mit WM-Gold im Stossen einen weiteren Grosserfolg, die Olympischen Sommerspiele 2012 misslingen durch einen Unfall, als ihm die Hantelstange bei einem Sturz in den Nacken fällt, dagegen gänzlich. Schliesslich erklärt Matthias Steiner im Frühling 2013 seinen Rückzug vom Profisport. Privat findet er mit der Fernsehmoderatorin Inge Posmyk, die er 2012 heiratet, ein neues Glück. Das Paar hat zusammen zwei Söhne.
In Erinnerung wird Steiner für immer als der Mann bleiben, der für die wohl emotionalste Siegesfeier aller Zeiten sorgte. Und ein bisschen war auch seine verstorbene Frau Susann dabei – zumindest auf einem Foto in seiner Hand.