Sonne, Meer und Palmen. Nur weil die Toiletten und Badezimmer alle auf dem Gang sind, wird sichtbar, dass es sich hier nicht um ein Ferienhotel handelt. Selbst Roger Schnegg ist bei seiner ersten Besichtigung des olympischen Dorfes am Strand von Sotschi beeindruckt. Der Direktor von Swiss Olympic ist der ranghöchste helvetische Olympia-Funktionär hier vor Ort. Auch Gian Gilli, als Chef de Mission der «Olympiageneral», ist ihm hierarchisch unterstellt.
Roger Schnegg sagt also: «Bei früheren Spielen waren die Zimmer teilweise bloss halb so gross wie hier.» Und von den Balkonen aus geht der Blick hinaus aufs Schwarze Meer. Dass die Temperaturen in der Nacht noch fast auf den Gefrierpunkt sinken, zeigt ein Blick vom Balkon nach unten: Arbeiter sind gerade daran, den Swimmingpool zu reinigen. Es ist also noch kein Wasser drin.
So viel optischer Sommer gab es bei Winterspielen noch nie. Und so bequem war es auch noch nie: Alle Eissportler gelangen in weniger als einer Viertelstunde zu Fuss von ihrer Unterkunft zu den Trainings- und Wettkampfanlagen.
Die Schweizer Eis-Delegation ist so gross, dass es in Sotschi, so wie für die grossen Nationen, für ein eigenes Haus reicht. Die Unterkunft muss nicht mit Exoten aus der Türkei oder der Karibik geteilt werden. 46 Eissportler (Curling, Hockey Frauen und Männer) bewohnen ein Gebäude mit fünf Etagen am Schwarzen Meer. Im zweiten Stock hausen die Curlerinnen und Curler, im dritten die Hockeyfrauen, im vierten die Hockey-Funktionäre und ganz oben im fünften die männlichen Hockeystars.
Für die Zuteilung der Zimmer ist Vize-Olympiageneral Ralph Stöckli (er wird nach diesen Spielen Nachfolger von Gian Gilli) zuständig. Allerdings weist er den Delegationen nur die Etage zu. «Wie die Zimmer zugeteilt werden, ist nicht unsere Sache.» Eishockey-Nationaltrainer Sean Simpson wird entscheiden müssen, welche Spieler ein grosses, welche ein kleines Doppelzimmer bekommen und wer ein grosses und wer ein kleineres Einzelzimmer. Gemäss Stöckli gilt eine strikte Geschlechtertrennung. Das Curling-Traumpaar Sven Michel und Anina Pätz kann sich die Honeymoon-Suite also abschminken – keine Ausnahmeregelung für Liebespaare.
Ein Merkmal dieser bäumigen olympischen Behausungen ist der grosse Unterschied zwischen den einzelnen Zimmern. Als sei mit dem Untergang des Sozialismus auch die Idee entschwunden, dass alle gleich behandelt werden müssen. Auf der gleichen Etage sind einzelne Zimmer doppelt so gross wie andere. Bekommen die NHL-Stars die grossen Doppel- und Einzelzimmer und die gewöhnlichen NLA-Helden bloss die kleinen? Ralph Stöckli sagt: «Das muss die Hockeydelegation schon selber entscheiden. Soviel ich weiss, steht nach einem ungeschriebenen Gesetz dem Captain ein Einzelzimmer zu. Aber vielleicht verzichtet ja Mathias Seger auf dieses Privileg.»
Die Schweizer Hockeystars wohnen alle im olympischen Dorf. Das ist nicht selbstverständlich. Seit die NHL-Profis mitspielen, ist es üblich, dass einzelne Dollar-Millionäre lieber auf eigene Rechnung in Fünfsternehotels in der Stadt wohnen. Vor allem, seit die NHL-Amerikaner in Nagano bei einer wilden Party im olympischen Dorf das Mobiliar in Trümmer legten und wochenlang für Skandal sorgten, weil sie sich standhaft (und bis heute) geweigert haben, die Namen der Sünder bekannt zu geben.
Der Kommerz durchdringt Olympia nicht nur, weil seit 1988 in allen Disziplinen die Profis zugelassen sind. Der Kommerz hat inzwischen auch in den Gemächern der olympischen Helden Einzug gehalten. Auf jedem Bett sind neben zwei Lindor-Kugeln (auf dem Kopfkissen) in einer Papiertragetasche bereits die Produkte verschiedener Olympia-Sponsoren als Willkommensgeschenke bereitgelegt: Rasierschaum und -klingen, Dusch-Gel, Shampoo und, durchaus passend für die rauen Hockey-Kerle, ein Bierhumpen mit der Aufschrift des Bier-Sponsors.
Zudem werden alle von Samsung nach der Ankunft ein Smartphone erhalten. Im Gegenzug werden die Athletinnen und Athleten, die nicht bereits auf die Marke vertrauen, dazu angehalten, alle Schriftzüge auf den persönlichen Hosentelefonen zu überkleben. Ob man das auch durchsetzen könne, lässt Roger Schnegg offen.
Die 163 Schweizerinnen und Schweizer sind auf die drei offiziellen olympischen Dörfer unten in Sotschi, oben in den Bergen bei den Alpinen und bei den Nordischen verteilt. Rund ein Drittel ist inzwischen angereist. Die Funktionäre leben in der Regel mit den Sportlern unter einem Dach. Die Gäste hingegen nicht: Bundespräsident Didier Burkhalter (er kommt für die Eröffnungsfeier und bleibt bloss 24 Stunden) und Sportminister Ueli Maurer (er schwebt am Donnerstag in einer Woche ein und bleibt drei Tage) logieren in den noblen IOC-Hotels.
Roger Schnegg sagt nach einer Inspektionstour, alle Unterkünfte seien in formidablem Zustand. Es gebe rein gar nichts zu reklamieren. Er wisse aber von ausländischen Kollegen, dass es nicht allen so gut gehe. «Bei den Deutschen gab es oben in den Bergen in den Unterkünften anfänglich offenbar keinen Strom und dafür Überschwemmungen.» Hauptsache, den Deutschen steht sportlich das Wasser nicht bis zum Hals. Manchmal sind einzelne Unterkünfte grad in Russland halt Potemkinsche Dörfer.
Theoretisch steht allen bis zum Ende der Spiele eine Unterkunft in den olympischen Dörfern zu. Allerdings reisen die meisten nach ihrem Wettkampf nach Hause. Bei der Schweizer Delegation gibt es die Weisung, wenn möglich spätestens 48 Stunden nach dem Wettkampf abzureisen.