Mit Teamkollege Meillard an seiner Seite verfolgte Nef gespannt die Fahrt des letzten Fahrers. Mit Atle Lie McGrath sollte sich entscheiden, ob der 28-Jährige zum ersten Mal in seiner Karriere aufs Weltcup-Podest steigen würde. Doch schnell wurde klar, dass McGrath seinen grossen Vorsprung aus dem ersten Lauf verwalten würde. Anders als zuletzt in Madonna di Campiglio, als er in Führung liegend ausschied, behielt der Norweger die Nerven.
So stellte Nef mit Platz 4 zwar ein Bestresultat im Weltcup auf, doch fehlten ihm nur vier Hundertstel auf das Podest. Beim Genfer überwog zumindest im ersten Moment die Freude über das gute Resultat. Nach Rang 5 in Levi und Rang 8 in Adelboden, wo er ebenfalls bester Schweizer war, war es der dritte Top-Ten-Platz in dieser Saison.
«Eigentlich müsste jetzt bald das Podest kommen», sagt Nef, der aber auch weiss, wie breit die Spitze im Slalom ist. «Jetzt hoffe ich einfach, dass ich am Ende der Saison nicht zurückblicken und sagen muss, dass ich hier eine grosse Chance verpasst habe.»
Wo er die entscheidenden Hundertstel verloren hat, weiss Nef genau. «Am Start war ich zu brav, da wollte ich zu sauber fahren. Und auch auf der Zielgeraden war ich etwas zu konservativ.» Dass ihm ausgerechnet die Vorsicht zum Verhängnis wurde, hat eine gewisse Ironie. Denn in den Vorjahren war Nef aufgrund der hohen Ausfallquote vorgeworfen worden, oft zu wild zu fahren.
Nef musste lernen, dass der volle Angriff nicht immer die beste Taktik ist. Felix Neureuther, der ehemalige Slalomspezialist aus Deutschland (37 Weltcup-Podestplätze im Slalom), habe ihm einmal gesagt, dass 100 Prozent im Slalom zu viel seien, erklärte Nef. Gemeinsam mit dem Trainerteam feilt er nun seit einiger Zeit an der richtigen Prozentzahl der Risikobereitschaft.
Slalom-Trainer Matteo Joris sagte, dass Nef auf einem guten Weg sei. «Unser Plan ist, dass er konstant in die Punkte fährt. Er muss genau so weitermachen.»
Sein Gesamtfazit sei nach dem bisher besten Mannschaftsergebnis der Saison positiv, so Joris weiter. Meillard zeigte im zweiten Lauf eine starke Aufholjagd von Rang 24 auf Rang 5 und bewies damit einmal mehr seine gute Form. Es war sein sechster Top-5-Platz im siebten Slalomrennen des Winters. Nur einmal, ausgerechnet in Adelboden, hatte Meillard das Ziel nicht erreicht.
Für Yule war Rang 6 Saisonbestleistung und bestätigte seinen Aufwärtstrend nach verhaltenem Start. In den letzten vier Rennen fuhr der Walliser immer in die Top 12. Grund zur Freude also für das Slalom-Team. Dennoch konnte Joris nicht verhehlen, dass er bei seinem Heimrennen gerne einen Podestplatz gefeiert hätte: «Wengen hat für mich die schönste Slalomstrecke im Weltcup. Deshalb ist es immer mein Ziel, hier auf dem Podest zu stehen.»
Schweizer Podestplätze im Slalom sind in Wengen rar, seit 1967 gab es nur zehn. Im Jahr 2022 erlöste Yule das Schweizer Team nach einer 23-jährigen Podestflaute in Wengen mit Rang 2, ein Jahr später wurde Meillard ebenfalls Zweiter. Der letzte Slalomsieg datiert aus dem Jahr 1987 (Joël Gaspoz).
Derweil feierten die Norweger in Wengen einen Dreifach-Erfolg. Vor allem bei Sieger McGrath war die Freude riesig. Mit belegter Stimme erklärte er, dass ihm dieser Erfolg sehr viel bedeute. Fast drei Jahre musste der 24-Jährige auf seinen dritten Weltcupsieg warten. Am Ende der Saison 2021/22 hatte er zuerst in Flachau und dann in Courchevel triumphiert. Danach kamen zwar noch einige Podestplätze hinzu, doch ganz nach oben reichte es nicht mehr.
Zuletzt war McGrath dreimal in Folge ausgeschieden, in zwei Slaloms und einem Riesenslalom. Nun konnte er endlich wieder sein Können unter Beweis stellen. Er lag 18 Hundertstel vor Timon Haugan und 29 vor Henrik Kristoffersen, dem ersten Verfolger von Marco Odermatt im Gesamtweltcup. (riz/sda)