«Meine Fahrt war voll am Limit. Ich dachte, ich hätte alles vergeben.» Die 78 Sekunden im zweiten Durchgang des WM-Riesenslaloms standen vielleicht sinnbildlich für die gesamte Karriere des Thomas Tumler. «Es war allerletzte Rille», sagte der Bündner im SRF.
In Saalbach erlebte er die vorläufige Krönung seiner Laufbahn und das im Alter von 35 Jahren. Als Sechster bei Halbzeit setzte Tumler in der Entscheidung alles auf eine Karte. Es war ein Husarenritt, wie er im Buche steht. Mehr als einmal schien er dem Ausscheiden nahe zu sein.
«Mein grosses Ziel war das Podest und dafür musste ich sechs Zehntel aufholen», erklärte Tumler seine Taktik, die keine war, «denn an einer WM kann es kein Taktieren geben. Ich habe die Ski in die Kurven geworfen und wusste: Entweder geht es auf oder ich scheide aus.» Thomas Tumlers Risiko zahlte sich aus. Hinter dem überraschenden Weltmeister Raphael Haaser aus Österreich – zuvor in einem Riesenslalom nie besser als Siebter – gewann er Silber, Bronze ging mit Loïc Meillard ebenfalls in die Schweiz.
Rückenbeschwerden waren während Jahren ein steter Begleiter in Tumlers Karriere. Sie verhinderten, dass er konstant auf höchstem Niveau fahren konnte. Manch einer hätte den Bettel hingeworfen, doch der Samnauner steckte nicht auf. Er entschied, keine Super-G mehr zu fahren, und fokussierte sich voll und ganz auf den Riesenslalom.
Im Moment seines grossen Erfolgs in Saalbach vergass Tumler nicht, den Verbandsfunktionären für deren Geduld zu danken. «Swiss-Ski hätte mich aus dem Kader werfen können, man hat aber an mich geglaubt.» Die Verletzung, so blöd es klinge, habe ihm auf anderer Ebene gutgetan. «Sie holte mich zurück und zeigte mir, welches Privileg ich habe, Skirennfahrer sein zu dürfen.»
«Er hat einen riesigen Prozess durchgemacht», sagte SRF-Experte Marc Berthod, einst noch Teamkollege Tumlers im Weltcup. «Er war schon immer ein Edeltechniker und im Training das Mass der Dinge.» Nun habe er es geschafft, seine Leistungen auch ins Rennen zu übertragen. «Ich brauchte bei allem länger, schon früher in der Schule», meinte Tumler. «Es zahlt sich aus, nicht aufzugeben, und ich bin happy über die Medaille.»
Vor zwei Monaten, am 8. Dezember 2024, ging im 124. Anlauf im Weltcup erstmals alles auf. In Beaver Creek feierte Thomas Tumler seinen Premierensieg auf höchster Stufe. «Es tut einfach gut, es doch noch geschafft zu haben», sagte er damals. «Ich war oft weit weg von den Besten. Oft sah es so aus, dass es für mich nie mehr möglich wäre. Dass es jetzt so aufgegangen ist, ist einfach traumhaft.»
Noch kurz zuvor, in der Woche vor dem Saisonauftakt in Sölden, hatte sich Tumler einen Hexenschuss eingefangen, der sich ähnlich angefühlt habe wie der Bandscheibenvorfall. «Es herrschte Alarmstufe Rot. Ich dachte, meine Karriere wäre endgültig vorbei», schilderte er. «Ich konnte mich nicht mehr bewegen und kaum aus dem Auto steigen. Es war, als würde die Welt für mich zusammenbrechen.»
Die Probleme waren dann bloss muskulärer Natur und zwei Tage später war wieder alles in Ordnung. Grundsätzlich fühle er sich körperlich sehr gut, betonte Thomas Tumler, «nicht wie ein Fahrer mit 35 Jahren». Dass er nur noch Riesenslaloms bestreite und entsprechend mehr Pausen habe als etwa Marco Odermatt oder Loïc Meillard, komme ihm entgegen.
Er sehe keinen Grund aufzuhören, solange er seine Erwartungen erfüllen könne, sagte Tumler im Dezember. Die Teilnahme an den Olympischen Spielen 2026 habe er auf jeden Fall im Hinterkopf. Nun, mit WM-Silber um den Hals, dürfte Olympia von dort in den Vordergrund rücken. Wer mit 35 Jahren Weltklasse ist, kann das schliesslich auch mit 36 Jahren sein.
Und ein Wink an all die "jungen Talente-Fetischisten" (also diejenigen, die immer sagen der/die soll endlich zurücktreten / soll man daheim lassen und besser junge Talente mitnehmen; gibt ja einige hier im Forum): Hätte Tumler aufgegeben, oder hätte ihn den Verband in seiner schwierigen Zeit fallengelassen - wir würden diesen Erfolg nicht erleben.