Seit dem WM-Titel 1986 wartet Argentinien auf den nächsten Triumph. Diego Maradona führte damals ein durchschnittliches Team zum Titel. Er erzielte mit seinem Solo gegen England das Tor des Jahrhunderts und traf mit der «Hand Gottes». In Argentinien ist Maradona seither unsterblich. Fans gründeten gar die (Spass-)Religion «Iglesia Maradoniana», in welcher Maradona als D10S (Dios ist spanisch für Gott, die 10 steht für seine Rückennummer) steht.
1990 scheiterte der «pibe de oro», der Goldjunge, erst im Endspiel an Deutschland. Danach begann für Argentinien eine Durststrecke, die erst jetzt mit dem Finaleinzug beendet wurde.
Im Zentrum dieser zuletzt positiven Entwicklung steht Lionel Messi. Der Barça-Stürmer gilt seit jüngsten Jahren als legitimer Nachfolger Maradonas. Er soll Argentinien erlösen. Jahrelang hatte «la pulga» (der Floh) die Fans aber enttäuscht und nur im Klub überzeugt. Jetzt könnte er endlich sein grosses Idol erreichen.
Im Klubfussball hat Messi längst mehr erreicht, als Maradona es je tat. Obwohl der aktuelle Captain der «Albiceleste» noch einige Jahre als Profi vor sich hat, stehen in seiner Vitrine schon deutlich mehr Pokale, als bei Maradona. Und obwohl Messi bisher erst rund die Hälfte der Profispiele von Maradona (277 gegen 496) absolviert hat, liegt er nur noch 16 Karrieretore hinter «Diego» (243 gegen 259). Eine Marke, die Messi in der nächsten Saison im Normalfall erreichen wird.
Und jetzt macht er sich (endlich) auf, um Maradona auch im Nationalteam in den Schatten zu stellen. Mit dem Halbfinal hat Messi seinen 92. Einsatz absolviert – einer mehr als Maradona. Messi traf dabei 42-mal ins Schwarze, Maradona verbuchte seinerzeit 34 Treffer.
Argentinien ist heute fast eine Kopie des Teams von 1986: Messi rumpelt sich mit der Mannschaft durch das Turnier. Vier von acht Toren erzielte der 27-Jährige, dazu bereitete er unter anderem den Siegtreffer gegen die Schweiz mustergültig vor.
Den legendären Sololauf von Maradona hat Messi längst auch gezeigt. Zwar nur gegen Getafe, aber immerhin. Die Hand Gottes kam Messi ebenfalls schon zur Hilfe. Zwar nur gegen Espanoyl, aber immerhin.
Doch am Ende zählt nur eines: die Anzahl Weltmeistertitel. Es ist ein bisschen wie bei den Olympischen Spielen, wer am meisten Goldmedaillen hat, steht zuoberst. Egal wie viele silberne und bronzene Auszeichnungen das Land – oder in diesem Falle Messi Klubtitel – gewonnen hat. So gesehen fehlt Messi genau diese eine Goldmedaille noch. Holt er sie, dürfte Messi in Argentinien als grösster Fussballer aller Zeiten gelten. Kehrt er mit leeren Händen heim, kann er die Champions League auch noch zehnmal gewinnen und weitere zehn Saisons lang über 40 Tore schiessen. Er wird Maradona nie erreichen.
Selbst wenn Messi aber den WM-Titel nach Argentinien holt. Eine Ehre wird ihm kaum je zuteil. Diego Maradona erhielt 1983 als Barça-Spieler für seine Leistung im Spiel im Bernabeu gegen Real Madrid Applaus von den Heimfans. Dies schaffte nach ihm nur noch 2005 Ronaldinho. Messi wird höchstens ausgepfiffen. Da hilft es ihm auch nicht, dass er dieses Jahr als erster Barça-Spieler in der Kathedrale des Erzfeindes einen Hattrick erzielte.