Anil Akman ist 22 Jahre alt, halb Kurdin, halb Abchasierin, Schweizerin, Zürcherin. Die junge Frau will den Menschen zeigen, was in Kobane wirklich passiert. Den Worten lässt sie Taten folgen. Sie fliegt hin, schickt Fotos und erzählt – von Kindern, die alles zurücklassen mussten, Frauen, die sich nach ihrem Heimatboden sehnen und alten Männern, die von besseren Zeiten wissen. Kobane hat Anil Akman verändert. Für immer.
Auf watson kommentiert Anil Akman ihre fünf eindrücklichsten Bilder.
«Dieses Bild habe ich in einem Flüchtlingslager bei Suruç geschossen. Die meisten Flüchtlinge die hier leben sind kurdische Syrer, die aus Kobane fliehen mussten. Im Flüchtlingslager hängt über allem der Geruch von Exkrementen, die Gänge zwischen den Zelten sind schlammig. Mittendrin wäscht dieses Mädchen seine Kleider. Sie teilt ihr Zelt mit ihrer ganzen, rund achtköpfigen Grossfamilie. Die meisten Flüchtlinge verlassen das Lager nie, auch wenn sie könnten.»
«Die Flüchtlingslager werden von der kurdischen BDP, der Partei des Friedens und der Demokratie, geführt. Auch die Bevölkerung aus Suruç beteiligt sich. Sie verteilt gratis Mahlzeiten, Pampers für die Kinder, das Nötigste zum Leben. Viele Menschen hier sind der Meinung, dass sich der türkische Staat zu wenig für die Flüchtlinge engagiert.»
«Am meisten berührt hat mich das Schicksal der Kinder in den Flüchtlingslagern. Diese Jungen und Mädchen haben den Krieg gesehen. Sie mussten ihr ganzes Leben zurück lassen. Dennoch schenkten sie mir jedesmal ein Lächeln, wenn sie meine Kamera erblickten.»
«Für die Kinder ist die Situation am schwierigsten. Zum Spielen bleiben ihnen einzig Velopneus oder Steine. Grünflächen oder gar Spielplätze gibt es im Flüchtlingslager keine. Auch in die Schule geht keines von ihnen. Sollte sie noch lange andauern, wird die Situation in den Flüchtlingslagern unerträglich – vor allem für die Kinder.»
«Dieser alte Mann erzählte vor seinem Zelt im Flüchtlingslager Geschichten aus Rodschawa, Westkurdistan. Die kurdische PYD, die Partei der demokratischen Union, hat diesen Landstreifen in Nordsyrien während des aktuellen Bürgerkriegs zum autonomen Kurdengebiet erklärt. Für die Kurden der Region ging damit ein Traum in Erfüllung. Es wurden demokratische Strukturen und eine neue multiethnische und -religiöse Verwaltung aufgestellt.»
«Im Gegensatz zu der Zeit unter dem Assad-Regime seien Konflikte rechtsstaatlich und ohne Willkür gelöst worden, erzählte der Mann. Man sah es in seinen Augen: Für viele Kurden bedeutet Rodschawa alles. Sie sind stolz darauf, dass sie ein Gebiet selber verwalten und dass es funktioniert. Deswegen wollen sie Rodschawa jetzt auch nicht so schnell wieder aufgeben und kämpfen erbittert gegen den IS.»
«Auch diese Frau habe ich im Flüchtlingscamp in Suruç getroffen. Sie sagte zu mir, dass einzige, was sie tun wolle, sei, nach Kobane zurückzukehren, auch wenn sie dort ein komplett zerstörtes Haus vorfinden würde. ‹Das einzige, was ich will, ist die Sonne meiner Heimat auf meiner Haut spüren und meinen Boden küssen›, sagte sie.»
«Der Krieg wird einem erst bewusst, wenn man von den Schicksalen erfährt, die er hervorbringt. Schon seit meinem ersten Tag hier hörte ich Bomben und doch wurde mir die Realität des Krieges erst im Gespräch mit den Menschen bewusst.»
«Diese Frau aus Kobane bäckt in Suruç traditionelles Brot am Boden. Das dahinter bin ich. Die beiden Flüchtlingsfrauen sind in Privathäusern bei Bekannten untergekommen. In den Grenzdörfern um Kobane hat praktisch jede Familie ihr Haus für Flüchtlinge geöffnet. Ich erlebe hier eine Solidarität, die ich noch nie gesehen habe.»
«Das Leben hier hat nichts mit der egoistischen Lebensweise zu tun, die wir in der Schweiz führen. Wenn ich mir vorstelle, wie viel Geld ich in der Schweiz schon für den Ausgang ausgegeben habe und wie viel man damit hier helfen könnte, wird mir elend. Wir sind eine Konsumgesellschaft. Wir denken, was im Rest der Welt passiert, geht uns nichts an. Das will ich nicht mehr. Was ich hier vor Kobane gesehen habe, hat mich für immer verändert.»