Bisher war ihr Name Programm, jetzt soll er Wirklichkeit sein: Die Terrorbande Islamischer Staat im Irak und in Syrien (ISIS) behauptet, eben einen solchen errichtet zu haben. Vom syrischen Aleppo bis zum irakischen Diyala soll er reichen. Staatschef ist ISIS-Chef Abu Bakr al-Baghdadi, der sich neuerdings «Kalif Ibrahim» nennt. Der 43-Jährige signalisiert damit, dass er sich mit diesem Rumpfgebilde nicht begnügen will: Der Kalif beansprucht die Herrschaft über alle Muslime.
Die Urform des Kalifats, in dem der Kalif in Personalunion als religiöses und politisches Oberhaupt über alle Muslime (die Umma) herrscht, geht auf den Propheten Mohammed zurück. Leider versäumte er es, zu Lebzeiten seine Nachfolge zu regeln. Männliche Nachfahren hatte er nicht. Die Mehrheit der muslimischen Führer entschied sich für Abu Bakr, den Vater von Mohammeds Lieblingsfrau Aischa. Dieser trug fortan den Titel «Chalifat Rasuli llah», arabisch für «Stellvertreter des Gesandten Gottes».
Damit war die Sache allerdings nicht gegessen. Eine Minderheit fand, der Nachfolger Mohammeds könne nicht gewählt werden, sondern müsse ein leiblicher Verwandter des Propheten sein. Sie ergriffen Partei für Ali, dessen Vetter und Schwiegersohn. Daraus entstand die Abspaltung der Schiiten (arabisch «Partei»). Doch auch unter der Mehrheit der Sunniten herrschte nicht immer Einigkeit. Der Titel des Kalifen wurde fortan entweder im Rahmen einer Dynastie vererbt oder in blutigen Kriegen an sich gerissen.
Hauptsächlich wird in der Geschichte zwischen vier Kalifaten unterschieden.
Daneben gab es kleinere und kurzlebigere Kalifate, die teils in Opposition zu den grossen standen.
In seiner grössten Ausdehnung reichte das Kalifat der Umayyaden von Pakistan im Osten bis Südfrankreich im Westen. An diese vergangene Grösse möchte der neue «Kalif» aus Bagdad wohl anknüpfen. Heute herrscht in der islamischen Welt Chaos, Zwietracht und vor allem Schwäche. Zur Zeit der grossen Kalifate hingegen war der Nahe Osten das politische, wirtschaftliche und wissenschaftliche Zentrum der Welt.
Natürlich weiss al-Baghdadi, dass es dazu nie kommen wird. Allein die Vorstellung, alle 1.5 Milliarden Muslime würden dasselbe Staatsoberhaupt (geschweige denn ihn) anerkennen, ist absurd.