Rugby ist in Neuseeland der inoffizielle Nationalsport. Nichts bewegt die Einwohner am anderen Ende der Welt so sehr wie die Auftritte ihrer «All Blacks». Für viele ist das Spiel mit dem ovalen Ball eine Art Ersatz-Religion. Ausdruck von Stärke und Männlichkeit. Sie finden, es repräsentiert ihr wildes Archipel am treffendsten.
Untrennbar mit neuseeländischem Rugby verbunden ist der «Haka», ein ritueller Tanz der Ureinwohner (Maori), der jeweils vor den Partien zur Einschüchterung des Gegners aufgeführt wird. 2007 im Viertelfinal der WM gegen Frankreich geht das allerdings gründlich in die Hose.
Wie so oft gelten die «All Blacks», die damals noch immer auf ihren zweiten WM-Titel seit 1987 warten, als grosser Turnierfavorit. Spielend überstehen die Kiwis dann auch die Vorrunde: 76:14 gegen Italien, 108:13 gegen Portugal, 40:0 gegen Schottland und 85:8 gegen Rumänien.
Im Viertelfinal wartet dann ausgerechnet Frankreich. Gegen «Les Bleus» haben die «All Blacks» schon so manch denkwürdige Partie bestritten. Meistens endeten sie blutig. Wie 1986, als der Hodensack von Wayne Shelford nach einem hart geführten Zweikampf mit 18 Stichen genäht werden musste.
Kein Wunder also brodelt es im mit 71'669 Zuschauern restlos ausverkauften Millenium Stadium von Cardiff bereits vor dem Anpfiff gewaltig. Unglaublich, die Stimmung bei der «Marseillaise», dann formieren sich die für einmal in grau gekleideten Neuseeländer zum «Haka». Und was machen die Franzosen?
Sie denken nicht daran, sich den «Kriegstanz» aus sicherer Distanz anzuschauen. Selbstbewusst treten der bärtige Superstar Sébastien Chabal und seine Teamkollegen an die Mittellinie. Wie versteinert und mit starrem Blick bieten sie den tanzenden «All Blacks» Paroli.
Zunächst scheint der mutige Vorstoss nichts genützt zu haben, Neuseeland liegt zur Pause 13:3 in Führung. Nach der Pause: Die Verwandlung. Die Franzosen ändern die Taktik, wagen Attacken, statt Bälle nur wegzutreten, überraschen die Neuseeländer, gleichen aus.
Als Neuseelands Superstar Dan Carter, der damals weltbeste Spieler überhaupt, vom Platz humpelt, nimmt sein Gesicht in Grossaufnahme in böser Vorahnung all die Enttäuschung des gescheiterten Favoriten vorweg – immer Favorit, immer gescheitert.
Die «All Blacks» verlieren trotz 75 Prozent Ballbesitz komplett den Faden. Den 18:13-Vorsprung vergeben sie, als sie den eingewechselten Frédéric Michalak – nach ihm ist in Frankreich der Hamburger einer Fastfood-Kette benannt – durchbrechen lassen. Doch den Franzosen unterläuft dabei ein Regelverstoss. Ein Pass nach vorn, der Schiedsrichter übersieht es: 20:18. Die Franzosen retten die Führung mit letztem Einsatz ins Ziel.
Die Trotzreaktion auf den «Haka» hat den Franzosen also doch etwas gebracht. «Dieses Team hat sich geweigert zu sterben», sagt Trainer Bernard Laporte euphorisch, während die Neuseeländer mit gesenkten Köpfen vom Feld marschieren. Sie wissen, was auf sie wartet. Nach dem frühesten WM-Aus aller Zeiten wird der Empfang in der Heimat nicht so ausfallen, wie sie sich das vorgestellt hatten.
Die «All Blacks» schwören Rache und sie kriegen sie. Bei der nächsten WM vier Jahre später im eigenen Land holen die Neuseeländer endlich ihren zweiten WM-Titel. In der Gruppenphase bodigen sie die Franzosen 37:17, doch es sollte nicht das einzige Duell an dieser WM gewesen sein. Im Final heisst es wieder: Neuseeland gegen Frankreich.
Und diesmal lassen sich die «All Blacks» nicht übertölpeln. Zwar marschieren die Franzosen beim «Haka» wieder zur Mittellinie, doch dank dem knappsten WM-Final-Sieg aller Zeiten (8:7) darf am Ende Neuseelands Captain Richie McCaw den Webb Ellis Cup in die Höhe stemmen.