Da staunen die Spieler von Werder Bremen nicht schlecht: Eine Stunde vor der Partie gegen Hannover erscheint ohne Vorankündigung in kurzen Hosen und einem luftigen Hemd der Schiedsrichter in der Spielerkabine.
Der Unparteiische möchte nur kurz dem Masseur zum Geburtstag gratulieren, doch den Spielern steigt sofort ein beissender Alkoholgeruch in die Nase. Horst-Dieter Höttges, Libero bei Bremen, erkennt die Situation sofort und nimmt den Schiedsrichter zu sich: «Mensch, Wolf-Dieter, du bist ja total blau», so der 31-jährige Verteidiger überrascht. Ruckzuck führt Höttges eine improvisierte Ausnüchterungs-Aktion durch. Er stellt den Trunkenbold unter die Dusche und reibt ihn danach mit Wick ein.
Die «Wiederbelebungsversuche» des Bremen-Spielers verfehlen ihre Wirkung nicht. Zumindest vorerst. Wolf-Dieter Ahlenfelder schreitet tatsächlich auf den Platz und pfeift das Spiel rechtzeitig an. Die Dinge scheinen ihren gewohnten Lauf zu nehmen.
Ahlenfelder leitet die Partie in den ersten 30 Minuten den Umständen entsprechend souverän. Er fühlt sich gut. Etwas zu gut, wie sich herausstellen sollte. Euphorisiert und glücklich vom Alkohol im Blut denkt sich der Schiedsrichter nach einer halben Stunde: «Mensch ‹Ahli›, du bist heute gut drauf, das Spiel läuft gut.» Und dann habe er auf einmal in den «Flötenkasten» geblasen.
Die Spieler verstehen die Welt nicht mehr. Wiederum ist es Horst-Dieter Höttges, der sich als Erster um den Unparteiischen kümmert. «Wir haben noch keine Halbzeit. Mein Trikot ist noch nicht nass», so der Bremen-Spieler. «Fiffi» Kronsbein, der damalige Trainer von Hannover, hat weit weniger Mitgefühl mit dem beschwipsten Ahlenfelder und stellt nüchtern fest: «Herr Ahlenfelder ist besoffen.»
Am Fakt, dass der Schiedsrichter einen intus hat, besteht eigentlich kein Zweifel – doch das Spiel wird fortgesetzt. Unter der Leitung von Ahlenfelder selbstverständlich. Da die Stürmer ebenso wenig den Durchblick wie der Unparteiische haben, endet die Partie 0:0. Doch das interessiert eigentlich niemanden. Alles fragt sich: Weshalb zur Hölle ist der Schiedsrichter besoffen zum Spiel erschienen?
Die Erklärung von Wolf-Dieter Ahlenfelder beginnt ganz simpel: «Vor dem Spiel wurden wir zum Richard Ackerschott, dem Schiedsrichter-Betreuer von Werder Bremen, zum Mittagessen eingeladen.» In den 70er-Jahren war es Tradition, dass das Schiedsrichter-Trio im Rahmen einer Bundesligapartie jeweils in den Genuss der Gastfreundschaft der Heimmannschaft kam. Finanziell lohnte sich das Engagement für Ahlenfelder nämlich überhaupt nicht. 24 Mark Tagesspesen soll alles gewesen sein, was er für die Leitung eines Bundesligaspiels erhalten haben soll.
Logisch, dass er sich da die Einladung von Richard Ackerschott nicht entgehen liess: Dort gab es nämlich Kohl und Pinkel! Zwar eine ziemlich deftige Mahlzeit vor einer sportlichen Herausforderung, in Bremen aber ein ganz normales Mittagessen.
Wurst und Kohl vermögen zwar durchaus zu betören, die Promille in Ahlenfelders Blut mag die norddeutsche Hausmannskost aber noch nicht erklären. Schuld für den Rausch des Schiedsrichters ist dann auch nicht die feste Nahrung, sondern der flüssige Begleiter. Zu Pinkel und Kohl gehören nämlich Bier und ein Schnaps namens Malteser.
In den 70er-Jahren, als der Frühschoppen noch zum guten Stil in der deutschen Gesellschaft gehörte, führte das eine zum anderen. Am Ende der Schlemmerei hatte Ahlenfelder auf jeden Fall ziemlich einen sitzen.
Für Ahlenfelder gehörte ein Bier zum Fussball einfach dazu. «Männer trinken keine Fanta», lautete seine Weisheit. Deswegen dürfte es auch durchaus seinem Gusto entsprechen, dass man der Legende nach noch heute in den gängigen Bremer Gaststuben einen «Ahlenfelder» bestellen kann und vom Servicepersonal ein Bier und einen Malteser-Schnaps vor die Nase gestellt bekommt.
Doch nicht nur in den Spelunken Norddeutschlands hat sich Wolf-Dieter Ahlenfelder einen Namen gemacht. Auch unter den Fussballfans wurde der etwas korpulente Unparteiische schnell als «Kult-Schiri» gefeiert. Und das nicht nur wegen seines Suff-Auftritts. Auch in sportlicher Hinsicht hatte es der Mann aus dem Ruhrpott drauf. Im Jahr 1984 wurde ihm vom DFB sogar die «Goldene Pfeife» als bestem Schiedsrichter des Jahres verliehen.
Seine pragmatische und kollegiale Art brachte ihm viel Anerkennung ein. Schiedsrichter und nicht Spieler zu werden, war definitiv die richtige Entscheidung. Wobei, an eine Spielerkarriere hatte er eigentlich gar nie richtig gedacht. Er hatte X-Beine und meinte pragmatisch: «Nicht jeder wird Superstar. Bei den Schiedsrichtern herrschte Mangel, da habe ich mich zur Verfügung gestellt.» Er schien seine Bestimmung schnell gefunden zu haben: «Zum Schiedsrichter muss man geboren sein, sonst sollte man lieber auf dem Weihnachtsmarkt Currywurst verkaufen», so Ahlenfelder.
Im Alter von 70 Jahren ist Wolf-Dieter Ahlenfelder am 2. August 2014 an den Folgen einer chronischen Zuckerkrankheit gestorben. In den Köpfen der Bundesliga-Fans wird Ahlenfelder jedoch noch lange weiterleben. Und dass man in Bremen einen «Ahlenfelder» bestellen kann, darauf wird die Schiedsrichter-Legende auch im Jenseits noch stolz sein.
Und jetzt hätte ich irgendwie so richtig bock auf kohl und pinkel und dazu einen Ahlenfelder 😋