Skistar Kilde sagt, mit dieser Massnahme könnte man die meisten Stürze vermeiden
Atomic muss die traditionelle Präsentation seiner Weltcup-Stars in Salzburg heuer mit einem Stimmungskiller beginnen. Der im September in Chile nach einem Trainingssturz verstorbene italienische Speedspezialist Matteo Franzoso stand bei der Skimarke unter Vertrag. Anstatt mit einer Schweigeminute erinnert man sich des 25-Jährigen mit einem lang anhaltenden Applaus. Atomic-Renndirektor Christian Höflehner erzählt, Franzoso sei ein ganz spezieller Athlet gewesen, stets gut gelaunt.
Höflehner liefert dazu eine Anekdote: Im Januar erlebte Franzoso seine Feuertaufe in Kitzbühel. Im ersten Abfahrtstraining startete der Italiener als Zweitletzter. Weil der Deutsche Jakob Schramm unmittelbar zuvor bei einem Horrorsturz die Kreuzbänder in beiden Knien riss und mit dem Helikopter abtransportiert werden musste, wurde das Training für 45 Minuten unterbrochen. «Was ist das für eine schwierige Situation für einen Streif-Neuling?», fragt Höflehner rhetorisch ins Publikum. «Als Matteo endlich loslegen durfte, war es schon beinahe dunkel. Aber er als er ins Ziel fuhr, strahlte er über beide Backen. Ich werde genau dieses Bild in Erinnerung behalten.»
In Erinnerung gerufen wurde dieser Tiefpunkt einer ganzen Reihe fürchterlicher und folgenschwerer Stürze in den vergangenen Jahren auch bei den anwesenden Athleten. Der Norweger Aleksander Aamodt Kilde stand nach seinem Crash im Ziel-S der Lauberhorn-Abfahrt am 13. Januar 2024 während 600 Tagen nicht mehr trainingsmässig auf Ski. Erst im Verlauf des Sommers zeichnete sich ein Comeback des 33-Jährigen tatsächlich ab.
Die Leidenschaft für den Skisport nie verloren
Wann genau und auf welchem Niveau, kann Kilde auch zwei Wochen vor dem Saisonstart in Sölden nicht exakt beantworten. «Das Bein funktioniert wieder gut, in der linken Schulter fehlen noch immer rund 20 Prozent», sagt der Lebenspartner von Mikaela Shiffrin.
Kilde hatte sich in Wengen bei seinem Abflug in die Sicherheitsnetze in der Wade mehrere Nerven durchtrennt und seine linke Schulter ausgekugelt. Dabei riss so jedes Band rund um die Schulter. Weil sich die Schulter nach einer von insgesamt fünf Operationen unbemerkt entzündete und die Entzündung auf den ganzen Körper übergriff, erlitt Kilde während der Rehabilitation eine lebensbedrohende Blutvergiftung.
Der Gesamtweltcupsieger von 2020 verlor zwar beinahe sein Leben, aber nie die Motivation für den Skisport. «Als ich nur noch Zuschauer war, wurde mir bewusst, was dieser Sport mir nach wie vor bedeutet», sagte Kilde am Donnerstag in Salzburg.
Wer könnte glaubwürdiger über das Thema «schwere Stürze» reden als Aleksander Aamodt Kilde? Er sagt, es sei eine schreckliche Situation gewesen, als die Nachricht von Franzosos Tod eintraf. «Viele Fahrer hatten den Trip nach Chile noch vor sich. Aber wer will schon dorthin, wo gerade ein Kollege ums Leben gekommen ist?»
Fahrer denken oft, das geht dann schon irgendwie
Bei den Anstrengungen, das Risiko zu vermindern, seien alle gefragt – Athleten, Trainer, FIS-Funktionäre und Skihersteller. Auf den Beitrag der Fahrer angesprochen, sagt der Norweger, der seit 2012 im Weltcup mitfährt: «Ich möchte gewinnen, aber ich möchte auch, dass die Fahrer gesund bleiben.» Deshalb müsse man klarer ansprechen, wenn eine Streckenpassage zu direkt in Richtung Netze ausgesteckt sei. «Das passiert zu wenig, weil man sich denkt, das geht dann schon irgendwie. Und zu 99 Prozent funktioniert es ja auch. Aber dieses eine Prozent ist zu viel.»
Durch die Entwicklung der Ski seien die Geschwindigkeiten gerade in den Kurven massiv gestiegen, sagt Kilde. Umso bedeutender sei heute, dass ein Abfahrer eine gute Kurventechnik mitbringe und dabei jederzeit ausbalanciert auf den Ski stehe. «Die Schweizer machen es vor.»
Weil die höhere Geschwindigkeit die Reaktionszeit der Fahrer verkürze, sieht der 21-fache Weltcupsieger dort den grössten Hebel für mehr Sicherheit in den Speedrennen. Kilde denkt, dass man mit einer Reduktion der durchschnittlichen Renngeschwindigkeit «den Grossteil der Stürze verhindern kann. Es gibt dir diese Zehntelsekunde mehr Zeit, die richtigen Entscheidungen zu treffen», sagt der Norweger. Und er sieht einen interessanten Nebeneffekt: Wenn die Abfahrten langsamer werden, die Fahrer weniger am Limit sind, dann werde es in der Rangliste automatisch enger. «Der Rennausgang wird also spannender.» (riz/aargauerzeitung.ch)