Grüne toben wegen Röstis Verkehrsplänen: «Entscheid des Stimmvolkes wird untergraben»
Angesichts von erwarteten 14 Milliarden Mehrkosten beim Ausbau der Bahn-Infrastruktur und dem Nein zum Autobahn-Ausbau an der Urne im vergangenen Jahr will der Bundesrat beim Ausbau der Verkehrsnetze Prioritäten setzen.
Die Grundlage dafür liefert ein Gutachten der ETH Zürich, das der zuständige Professor Ulrich Weidmann am Donnerstagnachmittag präsentierte. Uvek-Vorsteher Albert Rösti hat sich im Anschluss an die Präsentation zum weiteren Vorgehen des Bundesrates geäussert.
Bis Ende Januar 2026 muss das Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (Uvek) Projekte vorschlagen, die in die Nationalstrassen- und die Bahninfrastruktur-Ausbauschritte sowie ins fünfte Programm Agglomerationsverkehr aufgenommen werden sollen.
Für die Bahn-Infrastruktur soll das Uvek eine Variante vorlegen, die von mehr Einnahmen ausgeht, aber nicht im Widerspruch steht zum Entlastungspaket 27, das derzeit im Parlament diskutiert wird. Bei den Strassen-Projekten und bei Agglomerationsprogrammen soll von den bestehenden finanziellen Rahmenbedingungen ausgegangen werden.
Die Ausbauschritte für Strasse und Bahn sowie die Beiträge ans Programm Agglomerationsverkehr will der Bundesrat in der Vernehmlassung bündeln und damit die gesamtheitliche Planung der nächsten Ausbauschritte aufzeigen. Gegen die Beschlüsse zu Bahn und Strasse plant er dann aber getrennte Referenden.
Das sind die Reaktionen auf die Pläne von Albert Rösti und dem Bundesrat.
Grüne: «Keine Megastrassen durch die Hintertür»
In einer Mitteilung schreiben die Grünen, dass das Nein vom 24. November 2024 zum Autobahnausbau ein deutliches Zeichen gewesen sei.
Rösti würde, anstatt eine echte nachhaltige Verkehrswende einzuleiten, weiter «auf neue Megastrassen» setzen. Dies sei ein Mobilitätsverständnis, das die Stimmbevölkerung ablehne.
Die Grünen stören sich daran, dass zwei der im November abgelehnten Autobahn-Projekte – in Basel und St. Gallen – erneut auf den Tisch gebracht werden. So werde der Entscheid an der Urne untergraben. Mit seinem Auftrag zum ETH-Gutachten «Verkehr 2045» «bestellt Rösti neue Autobahnen im Umfang von 9 Milliarden Franken».
Präsidentin Lisa Mazzone betont:
SP: Bahninfrastruktur priorisieren
Die SP forderte den Bundesrat dazu auf, die Bahninfrastruktur sowie Agglomerationsprojekte zu priorisieren und die Investitionen in diesen Projekten zu garantieren. Nur so könne ein Mobilitätssystem sichergestellt werden, dass die regionale und soziale Gleichstellung, die Versorgungssicherheit, die Klima- und Umweltverträglichkeit und die Bewegungsfreiheit der Menschen gewährleistet, schrieb die Partei.
VCS: Schienenausbauten sollen Vorrang haben
Eine Gesamtschau des Verkehrsnetzes sei sinnvoll, aber ohne Kapazitätserweiterungen auf dem Nationalstrassennetz, schrieb der Verkehrs-Club der Schweiz (VCS). Der VCS fordere stattdessen, dass Projekte für Bahn-, Bus-, Velo- und Fussverkehr finanzpolitisch und planerisch priorisiert werden. Diese würden zur Verkehrswende beitragen und einen wichtigen Beitrag zum Klimaschutz leisten. Schienenausbauten sollen Vorrang vor Strassenausbauten haben.
Umverkehr: Autobahnausbau ist klimaschädlich
Auch die verkehrspolitische Umweltorganisation Umverkehr verurteilt das Comeback der abgelehnten Autobahnausbauten. Falls die Politik dieses Vorgehen nicht stoppe, werde das Referendum ergriffen, hiess es in ihrer Medienmitteilung. Es überrasche nicht, dass der Bericht von ETH-Professor Ulrich Weidmann grösstenteils seinem Auftraggeber Rösti folge. Der Autobahnausbau sei klimaschädlich und verhindere daher die gesetzlich verankerten und von der Bevölkerung beschlossenen Klimaziele.
Pro Velo Schweiz: Velo spielt keine Rolle
An den Strassenrand verdammt werde das Velo. Es spiele keine Rolle in den Verkehrsüberlegungen des Bundesrats bis Ende 2045, teilte der Verein Pro Velo Schweiz mit. Er fordert ein Umdenken bei der Verteilung der finanziellen Mittel, insbesondere mit Blick auf die Umsetzung des Veloweggesetzes.
Widerstand in der Region Basel
Das am Donnerstag in Bern vorgestellte Gutachten der ETH Zürich, auf das sich der Bund beim Verkehrsausbau bis 2045 stützen will, kommt in der Region Basel nicht gut an. Die Basler Bau- und Verkehrsdirektorin Esther Keller (GLP) warnt gar vor einem Verkehrschaos, wie ihr Departement mitteilte.
Keller «nimmt mit Bedauern zur Kenntnis», dass dem Tiefbahnhof und dem Herzstück keine zeitliche Priorität eingeräumt werde. Zudem kritisiert die Regierungsrätin, dass mit dem Rheintunnel «einseitig» die Strasse in der Region ausgebaut werden solle. Das «darf angesichts des zunehmenden Verkehrs und des ambitionierten Netto-Null-Ziels des Kantons nicht sein», wie es heisst.
Ähnlich sieht man es im Baselland. Für Bau- und Umweltschutzdirektor Isaac Reber (Grüne) ist es «unverständlich», wieso er Ausbau des Bahnknotens keine Priorität haben soll, wie sein Departement schreibt. Hingegen ist aus seiner Sicht der vom Gutachten priorisierte Ausbau der A2 ein «logischer Schluss».
Die Handelskammer befindet in einer eigenen Mitteilung die Erwähnung des Rheintunnels im Gutachten als prioritär für erfreulich. Als «nicht akzeptabel» für den Wirtschaftsstandort taxiert sie hingegen die Vernachlässigung des Schienenverkehrs. Die Kantone und der Verband wollen am Montag über das weitere Vorgehen informieren.
Im Gutachten werden die Bedeutung des Verkehrsknotens Basel und dessen Ausbaubedarf anerkannt. Dennoch wird darin empfohlen, Grossprojekte wie etwa das Herzstück sowie den Ausbau der S-Bahn, die Fortsetzung Hagnau-Augst und Ortsentlastungen auf der N18 im Laufental auf nach 2045 zu verschieben. Stattdessen sollen im nächsten Ausbauschritt bis 2045 kleinere Projekte realisiert werden.
Ausserdem bringt das Gutachten wieder den in einer Volksabstimmung Ende 2024 versenkten Rheintunnel ins Spiel. Im Verlauf des Nachmittags meldeten deswegen etwa die Grünen Basel-Stadt und Baselland sowie die Sektion beider Basel des Verkehrs-Club Schweiz (VCS) Kritik an. Die TCS-Sektion beider Basel sieht sich hingegen in ihrer Befürwortung des Tunnels bestätigt.
Winterthurer Stadtrat ist alarmiert
Der Winterthurer Stadtrat zeigt sich nach einem ETH-Bericht zu Strassen- und Bahnprojekten alarmiert. Ein Ausbau der A1 auf sechs Spuren im Raum Töss erst nach 2045 bremse die Stadtentwicklung empfindlich aus.
Neben dem späteren Ausbau der A1 zählt er auch die Einschätzung zum Bahnhof Grüze Nord zu den Enttäuschungen. Diesem teilte der Bericht die tiefste Prioritätenstufe zu.
Auch den Ausbau des Bahnhofs Oberwinterthur sieht der Bericht nicht als so wichtig an wie der Winterthurer Stadtrat. Gefordert sei nun die Politik. «Die Wichtigkeit der Projekte ist für die gesamte Stadtentwicklung in Winterthur immens», teilt der Stadtrat mit.
Die Zürcher Politikerinnen und Politiker sollten nun in Bern Überzeugungsarbeit leisten. Als prioritär bezeichnet der Bericht hingegen andere Projekte im Kanton Zürich: die Lückenschliessung der Oberlandautobahn, das vierte Gleis des Bahnhofs Stadelhofen und den Zimmerberg-Basistunnel II.
TCS: Wichtige Grundlage
Im Allgemeinen positiver bewertet wird der ETH-Bericht vom Touring Club Schweiz (TCS). Der Bericht schaffe eine wichtige Grundlage für die Weiterentwicklung der Verkehrsinfrastruktur, schrieb der TCS. Es sei insbesondere positiv, dass der Bericht straffere Planungs- und Bewilligungsprozesse empfehle. Die momentan lang andauernden Verfahren gefährdeten den Ausbau der Infrastruktur.
Kantone: Ganzheitliche Betrachtung ist gut
Die Kantone begrüssen die ganzheitliche Betrachtung der Mobilität und die Fokussierung auf die Bedürfnisse der Menschen. Das teilten die Konferenzen der kantonalen Direktorinnen und Direktoren für Verkehr sowie Bau, Planung und Umwelt mit. Sie fordern nun eine sichere und ausreichende Finanzierung der Infrastrukturprojekte. Insbesondere im Hinblick auf die klimapolitischen Ziele, welche sich die Schweiz gesetzt hat.
Bundesrat äussert sich 2026
Zu den Befunden der Experten könne und wolle er sich noch nicht äussern, sagte Verkehrsminister Albert Rösti am Donnerstag in Bern vor den Medien. Die Studie biete aber eine gute Grundlage für das weitere Vorgehen.
«Es braucht jetzt umfassende Diskussionen, vor allem mit den Direktbetroffenen und den Kantonen», sagte Rösti. Der Fall sei dies vor allem dort, wo die Resultate des Gutachtens nicht den Erwartungen entsprächen. «Wir gehen das ergebnisoffen an, es braucht eine mehrheitsfähige Vorlage.»
Zum Bericht äussern werde sich der Bundesrat erst im Januar. Zuerst wolle er nun die Stellungnahmen aus den Regionen einholen und danach Eckwerte für eine Vernehmlassungsvorlage setzen. Mitte 2026 soll dann die Vernehmlassungsvorlage bereit sein, die Schiene, Strasse und auch Projekte aus den Agglomerationen umfasst.
«Wir stellen uns hier einen Mantelerlass vor», sagte Rösti dazu. Ziel sei, dass das Parlament ab 2027 zumindest erste Beschlüsse fassen könne.
(rst/sda)