Die grössten Fussball-Erfolge des Riesenreichs Russland liegen Jahrzehnte zurück. 1960 holte sich die Sowjetunion den Europameister-Titel, drei Mal verlor sie den Final. Zuletzt 1988, als Hollands Marco van Basten ein Wundertor erzielte.
Seit jenem Tag geht es bergab mit der russischen Nationalmannschaft. Qualifizierte sie sich mal für eine WM oder EM, war in den nächsten 30 Jahren nach der Vorrunde stets Schluss. Die grosse Ausnahme bildet die Euro 2008 in der Schweiz und Österreich.
Nach einer 1:4-Klatsche gegen das aufstrebende Spanien fängt sich Russland. Es schlägt Griechenland 1:0 und zieht nach einem 2:0 gegen Schweden in die Viertelfinals ein. Nach drei Partien in Österreich findet dieser beim Co-Gastgeber in Basel statt.
Gegner der Russen ist Holland. Die «Elftal» sorgt mit ihren Auftritten für ein Oranje-Fieber in der Schweiz, die heimischen Fans lassen sich von den fröhlichen Fans der Holländer anstecken und so sind die Sympathien klar verteilt.
Eigentlich bin ich nur nach Basel gefahren, um mitzufeiern und das Spiel auf Grossleinwand zu sehen. Letztlich blättere ich dann doch 250 Franken für ein Ticket hin. Mehr Geld habe ich vorher und nachher nie für ein Fussballspiel ausgegeben. Aber wenigstens darf ich danach sagen: Es hat sich gelohnt. Denn gemeinsam mit den 38'729 anderen Zuschauern im Stadion sehe ich einen mitreissenden Match.
Russland legt mit Vollgas los. Holland dagegen wirkt nervös. So ist die russische Führung nur logisch: Roman Pawljutschenko trifft nach 56 Minuten zum 1:0.
Die Russen kombinieren flüssig und atemberaubend schnell. Die holländischen Zuschauer reiben sich verwundert die Augen: So hatte sich die orange «Hup-Hup-Fraktion» das nicht vorgestellt. Die Holländer können trotzdem eine Verlängerung erzwingen, weil es die Russen verpassen, den Sack zuzumachen. Ruud van Nistelrooy köpft nach einem Standard zum Ausgleich.
Dann ist es aber endgültig geschehen um den Europameister von 1988. In der Verlängerung spielt nur noch Russland. Erst trifft Pawljutschenko die Latte, dann verweigert der Schiri den Russen einen Foulpenalty.
In der 112. Minute liegt der Ball endlich zum zweiten Mal im holländischen Kasten. Nach einer Flanke Andrei Arschawins ist der eingewechselte Dmitri Torbinski zur Stelle. Die Zugabe erfolgt wenige Minuten später, als Arschawin den 37-jährigen Goalie Edwin van der Sar tunnelt und zum 3:1 trifft.
Der Geheimtipp hat sich mit dem Sieg über Holland zu einem Titelanwärter gemausert. Nach dem rauschenden Sieg im Viertelfinal geht es für die Russen zurück nach Österreich. Im strömenden Regen wartet erneut Spanien auf die Sbornaja, die dann aber wie schon zum EM-Auftakt unter die Räder kommt. Xavi erzielte nach 50 Minuten das 1:0, nach viel Tiki-Taka zieht der Favorit mit einem 3:0 in den Final ein, den es gegen Deutschland gewinnen wird.
Mit der Halbfinal-Niederlage endet auch das kurze Zwischenhoch der russischen Nationalmannschaft. Denn die grossen Hoffnungen kann sie in der Folge nicht erfüllen. Die WM 2010 wird verpasst, an der EM 2012, der WM 2014 und der EM 2016 ist jeweils nach der Vorrunde Schluss.
Lange wurde die Bequemlichkeit der Spieler als Grund für das regelmässige Versagen geortet. Sie verdienen in Russland so viel, dass ein Wechsel ins Ausland oft als nicht lukrativ eingestuft wird. Wieso fortgehen, wenn man doch zuhause ein König ist? Dass das Niveau dadurch nicht ansteigt, liegt auf der Hand.
An der WM 2018 im eigenen Land zeigen die Russen dann endlich wieder einmal, zu was sie eigentlich fähig wären. Mit begeisterndem Fussball zieht die «Sbornaja» in den Achtelfinal ein, wo sie im Elfmeterschiessen Spanien eliminiert. Im Viertelfinal ist dann gegen Kroatien Endstation. Dieses Mal hat der Gegner in der Penalty-Lotterie das bessere Ende für sich.