Wegen Trump: Schweizer EU-Turbos drücken aufs Tempo – und haben einen Plan
Die Schweiz macht in Washington gerade die Erfahrung, was es heisst, rücksichtsloser Machtpolitik ausgeliefert zu sein. Sowohl im Zollstreit als auch beim Kampfjet-Debakel ist der Bundesrat Lust und Launen von Donald Trump und seiner Regierung ausgesetzt.
Entsprechend steigt in der Bundespolitik und der Bevölkerung in diesen Wochen die Wertschätzung für Rechtssicherheit und verlässliche Verträge. Der Zuspruch zum neuen Vertragspaket mit der EU, den Bilateralen III, steigt. Diesen Effekt wollen die europafreundlichen Kreise im Bundeshaus nutzen – und die Verträge möglichst rasch zur Abstimmung bringen.
Als Bundespräsidentin Karin Keller-Sutter und Wirtschaftsminister Guy Parmelin am 6. August aus Washington heimkehrten, fiel das Urteil der GLP vernichtend aus: «Der Bundesrat kommt mit einem miserablen Ergebnis aus den USA zurück.» Die Schweiz müsse nun die Herausforderungen angehen, mit einem «Zukunftsplan». An erster Stelle heisst es darin: «Bilaterale III rasch vors Volk bringen». Am selben Tag forderte auch SP-Co-Präsident Cédric Wermuth via Instagram die «Beschleunigung der Bilateralen III».
Die Grünen haben schon mehrmals betont, sie wollten das EU-Dossier rasch voranbringen. Und auch in den Reihen von Mitte und FDP sprechen sich EU-freundliche Stimmen für ein rasches Vorgehen aus.
So sagt etwa FDP-Fraktionspräsident Damien Cottier:
Sage das Volk Ja, sei der bilaterale Weg auf Jahre hinaus gesichert. Bei einem Nein stellten sich hingegen grundsätzliche Fragen: «Das Volk sollte die Ausgangslage kennen bei den Wahlen – und auch die Rezepte der Parteien, wie es weitergehen soll, falls der bilaterale Weg endet.» Das spreche für einen Volksentscheid vor Oktober 2027.
Mitte-Nationalrätin Elisabeth Schneider-Schneiter argumentiert, es wäre «unverantwortlich», wenn das gegenwärtige Parlament mit der Beratung beginne, wichtige Entscheide fälle und dann, nach den Wahlen, das neu zusammengesetzte Parlament möglicherweise vieles wieder über den Haufen werfe.
Showdown schon im Frühsommer 2027 statt im Herbst 2028?
Soll der Urnengang vor den Wahlen stattfinden, muss es schnell gehen. Bereits wird ein Abstimmungsdatum gehandelt: Sonntag, 6. Juni 2027.
Bis dahin müsste die Politik jedoch unüblich speditiv arbeiten: Abschluss der Vernehmlassung im Oktober, Botschaft des Bundesrats ans Parlament im Frühjahr 2026, Kommissionen und Debatte des Erstrats in der ersten Hälfte des Jahres 2026, Kommissionen und Plenum des Zweitrats in Herbst und Winter 2026, spätestens Anfang 2027 Differenzbereinigung zwischen National- und Ständerat. So bleiben 100 Tage für die Unterschriftensammlung, falls die Vorlage wie vom Bundesrat vorgeschlagen dem fakultativen Referendum unterstellt wird.
Selbst EU-Turbos sprechen von einem «sportlichen Zeitplan». In der Schweiz sind Anpassungen an 32 Gesetzen plus drei neue Gesetze nötig.
Trotzdem sind die proeuropäischen Kräfte überzeugt, den Zeitplan mit einem Effort einhalten zu können: «Wenn es dafür Sondersitzungen in den Kommissionen braucht, damit das Paket zügig behandelt werden kann, ist das möglich», sagt Sibel Arslan, Aussenpolitikerin der Grünen. «Es muss nur der Wille vorhanden sein.»
Für SP-Co-Präsident Cédric Wermuth geht es derweil «nicht um eine Beschleunigung über das hinaus, was parlamentsrechtlich heute möglich ist», sondern darum, «dass der politische Prozess nicht unnötig verzögert» werde. Mit Blick auf Trumps Chaos sagt er:
In der GLP ist die Zustimmung zum EU-Paket ohnehin gesetzt. Aus rein parteitaktischer Sicht würde die Partei von einem Abstimmungstermin nach den Wahlen wohl sogar profitieren: Insbesondere europafreundliche Wählerinnen und Wähler aus FDP und Mitte könnten bei den Grünliberalen Unterschlupf suchen.
Entsprechend gelassen beobachtet GLP-Präsident Jürg Grossen die Entwicklungen. Wenn FDP und Mitte etwas mehr Zeit brauchten, sei auch eine spätere Abstimmung möglich, sagt er:
Gleichwohl ruft er die «Zauderer von Mitte und FDP» auf, «die hervorragenden Verträge» nun zügig unter Dach und Fach zu bringen.
Tatsächlich ist bei FDP und Mitte gerade einiges in Bewegung. Bei der Mitte hat Philipp Matthias Bregy das Parteipräsidium von Gerhard Pfister bereits übernommen. Bei der FDP erfolgt der Stabwechsel von Thierry Burkart zu Benjamin Mühlemann und Susanne Vincenz-Stauffacher voraussichtlich am 18. Oktober: Der Ständerat aus Glarus und die Nationalrätin aus St.Gallen wollen die Partei im Co-Präsidium führen.
Pfister und Burkart galten im EU-Dossier als Bremser. Bregy hat sich bisher nicht in die Karten blicken lassen. Vom neuen FDP-Duo ist bekannt, dass Vincenz-Stauffacher die neuen Verträge begrüsst, Ständerat Mühlemann ist einer der erwähnten «Zauderer». Die FDP wird ihre Position zum Paket am 18. Oktober klären, wenn auch das Co-Präsidium gewählt wird.
Nachdem sie ihre Kandidatur als Parteichefin angekündigt hat, äussert sich Vincenz-Stauffacher vorerst nicht mehr zu Sachfragen wie dem Abstimmungstermin fürs EU-Paket. In der Mitte führt Ständerat Benedikt Würth die europapolitische Arbeitsgruppe. Er hält eine Abstimmung vor den Wahlen für ambitiös: «Für mich kommt die Qualität der politischen Arbeit vor dem Tempo», sagt er.
Spitze des Nationalrats berät über brisante Idee
Allerdings steht nun ein Vorschlag zur Debatte, mit dem Qualität und Tempo unter einen Hut gebracht werden sollen: Das Ratsbüro des Nationalrats hat bei seinem Treffen im Aargau von Donnerstag und Freitag die Schaffung einer Spezialkommission fürs EU-Paket diskutiert. Das bestätigen mehrere Quellen. Dem Vernehmen nach wird das Vorhaben breit unterstützt, etwa auch von der FDP – die SVP hingegen will angeblich nichts davon wissen.
Die verschiedenen Aspekte des Vertragspakets würden damit nicht von den einzelnen Fachkommissionen behandelt, sondern von der Spezialkommission. Die Fachkommissionen erhielten Gelegenheit, sich über Mitberichte und Stellungnahmen einzubringen – beispielsweise die Umwelt- und Energiekommission zum Stromabkommen.
Es handle sich um ein Paket, das auch als Paket behandelt werden solle. Deshalb sei eine Aufteilung auf mehrere Kommissionen nicht sinnvoll, wird etwa argumentiert. Klar ist aber: Wird das Vertragspaket zentral in der Spezialkommission behandelt, wird es für die Gegner viel schwieriger, den politischen Prozess etwa über die Bestellung von Berichten und mit allerlei Anträgen in den einzelnen Kommissionen zu verzögern.
Noch ist kein Entscheid gefallen. Stimmt aber das Büro des Nationalrats zu, ist das ein deutlicher Fingerzeig, in welche Richtung es gehen soll – auch bezüglich Tempo und Abstimmungstermin. Denn das Büro des Nationalrats ist das wohl mächtigste Gremium im Bundeshaus: Ihm gehören die Fraktionspräsidien der Parteien an, dazu die Stimmenzähler des Rates. Geführt wird es von Nationalratspräsidentin Maja Riniker. (aargauerzeitung.ch)
- Amerikaner schieben Zoll-Schuld wieder KKS zu – sie soll Trump «gedemütigt» haben
- Wegen Trumps Zollhammer: Mitte-Politiker torpedieren jetzt die eigene AHV-Initiative
- FDP-Burkart zum Zollhammer: «Daran hätte sogar der Herrgott nichts mehr ändern können»
- «Mit Trump muss ich kein Fondue essen»: Was die Emmi-Chefin zu den US-Zöllen sagt
