Die Suche nach zwölf Geschworenen für den Boston-Bomber-Prozess gestaltet sich schwierig. «Fair» und «unvoreingenommen» muss die Gruppe sein, so schreibt es die US-Verfassung vor. Doch ist das überhaupt möglich? So ziemlich jeder in Massachusetts kennt jemanden, der in irgendeiner Weise von dem Terroranschlag betroffen ist. Kaum jemand zweifelt an der Schuld Dschochar Zarnajews.
Letztlich wird es in der Verhandlung um eine Frage gehen: Wandert der 21-Jährige für den Rest seines Lebens hinter Gitter oder wird er per Giftspritze hingerichtet?
Die Forderung der Staatsanwaltschaft nach der Todesstrafe macht das ohnehin aufwändige Auswahlverfahren noch komplizierter: Um als Geschworener zugelassen zu werden, darf ein Kandidat die Todesstrafe weder leidenschaftlich befürworten, noch grundsätzlich ablehnen – keine sehr verbreitete Haltung, wie Umfragen zur Akzeptanz der Todesstrafe in den USA nahelegen: Die «Unentschiedenen» bewegen sich im niedrigen, einstelligen Prozentbereich.
Szenen aus der «Jury Selection» in Boston, die Medienvertreter per Video in einem anderen Raum im Gerichtsgebäude verfolgen können, illustrieren die Problematik: «Ich würde ihn zum Tod verurteilen. Ich kann mir kein Beweismaterial vorstellen, das meine Meinung über die Geschehnisse ändern würde», antwortete ein Kandidat auf die Frage, ob er sich eine lebenslange Haftstrafe für Zarnajew vorstellen könnte. Ein anderer erwiderte auf dieselbe Frage: «Ich kann keinen Menschen in den Tod schicken.»
Eine aussichtsreiche Kandidatin brachte das Problem auf den Punkt. Ob sie trotz ihrer Überzeugung, dass Zarnajew schuldig sei, unvoreingenommen der Beweisführung folgen könne, wurde sie gefragt: «Ich kann es versuchen, aber ich weiss nicht, ob man das Gehirn überlisten kann.» Die Frau hat einen Abschluss in Psychologie, schreibt das Magazin The New Yorker.
Doch auch bei scheinbar geeigneten Kandidaten ist Vorsicht geboten: Angesichts des enormen Interesses an dem Fall befürchten Anwälte auf beiden Seiten, dass einige ihre wahre Überzeugung verheimlichen, weil sie unbedingt in der Jury sitzen wollen. Sei es, um nachher ein Buch zu schreiben und damit Geld zu verdienen. Oder weil sie unabhängig von dem, was sie in dem Prozess sehen und hören werden, für oder gegen die Todesstrafe stimmen wollen.
1373 potentielle Kandidaten haben Anfang Jahr einen Fragebogen ausgefüllt. Darin äusserten sie nicht nur ihre Meinung zu dem Terroranschlag auf den Boston-Marathon, sondern auch zu verwandten Themen, die ihre Entscheidung beeinflussen könnten: Islam, Krieg gegen den Terror, Einwanderer aus Russland und Zentralasien und eben die Todesstrafe. Jene, die aufgrund ihrer Antworten nicht disqualifiziert wurden, erscheinen vor Gericht, wo sie vom Richter sowie Anklage und Verteidigung befragt werden. Aus diesem Auswahlprozess sollen am Schluss 18 Geschworene hervorgehen, sechs davon als Reserve.
Der zuständige Bundesrichter George O’Toole hatte ursprünglich geplant, pro Tag 40 Kandidaten zu befragen. Durchschnittlich schaffte er weniger als die Hälfte in den ersten fünf Tagen. Es dürfte noch eine Weile dauern, bis die Geschworenen für den Boston-Bomber-Prozess feststehen.