«Ich mache mir mehr Sorgen um Deutschland als um Italien», hat Samy Chaar, Chefökonom der Bank Lombard Odier, kürzlich in einem Interview mit watson erklärt. Seine Sorgen sind begründet. Die Wirtschaftsnews aus dem Norden waren in den vergangenen Tagen alles andere als erfreulich:
Die krisengebeutelte Deutsche Bank will 18’000 Jobs streichen. Der CEO von BMW tritt wegen schlechter Zahlen zurück. Daimler erschreckt die Investoren mit einer Gewinnwarnung, ebenso der Chemiekonzern BASF. Bayer hat derweil die unglückselige Übernahme von Monsanto noch nicht verkraftet.
VW verspürt immer noch die Nachwirkungen des Dieselskandals und will ebenfalls Arbeitsplätze abbauen. Ähnliche Pläne hegen der Softwaregigant SAP und der Stahlbauer Thyssenkrupp AG.
In dieses düstere Bild passt, dass rund ein Drittel der Publikumsgesellschaften Gewinnwarnungen, Restrukturierungspläne oder juristische Dispute verkündet haben.
Das Herz der deutschen Wirtschaft ist die Autoindustrie. Rund 800’000 Menschen arbeiten entweder für einen Autohersteller oder einen Zulieferer. Ohne Autoindustrie wäre das deutsche Wirtschaftswunder in den letzten Jahren ausgeblieben. Sie war zwischen 2007 und 2017 für mehr als die Hälfte des Wirtschaftswachstums verantwortlich.
Das deutsche Auto-Herz schlägt derzeit deutlich schwächer. Der Dieselskandal wirkt weiter nach, nicht nur bei VW, sondern auch bei Mercedes und BMW. Die Autobosse verkünden inzwischen zwar lauthals, dass sie künftig ebenfalls auf Elektroautos setzen. Ob sie es auch schaffen werden, den technischen Rückstand auf Tesla aufzuholen und der neuen Konkurrenz aus China die Stirne zu bieten, ist ungewiss.
Nicht nur die Zahlen der Grosskonzerne sind ernüchternd, auch die volkswirtschaftliche Bilanz sieht verhangen aus: Im letzten Herbst entging Deutschland knapp einer Rezession. In den ersten Monaten des laufenden Jahres wuchs die Wirtschaft magere 0,7 Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP). Bis Jahresende werden es nach Angaben von Berlin nicht wie ursprünglich prophezeit 1,8, sondern gerade mal 0,5 BIP-Prozent sein.
Zur ökonomischen gesellt sich eine politische Misere. Die Kanzlerin erleidet mysteriöse Zitteranfälle, die dominierenden Volksparteien befinden sich im freien Fall und – was lange undenkbar schien – radikale Rechte befinden sich wieder auf dem Vormarsch. Die AfD ist nicht nur erfolgreich, sie wird auch täglich brauner.
«Die deutsche Wirtschaft ist sehr verletzlich. Sie hat von der Globalisierung profitiert, aber die Globalisierung befindet sich auf dem Rückzug», hat Chefökonom Chaar weiter gewarnt. Auch damit liegt er richtig.
In den USA neigt sich der längste Wirtschaftsaufschwung der Geschichte seinem Ende zu. China hat seinerseits soeben die schwächsten Wachstumszahlen der jüngeren Geschichte verkündet. Die amtierende und die aufkommende Supermacht sind die Lokomotiven der Weltwirtschaft.
Der Handelsstreit zwischen den beiden zeigt jedoch Folgen: Der internationale Handel hat sich merklich abgekühlt.
Europa steht derweil vor schicksalshaften Monaten. Ein No-Deal-Brexit mit ungewissen Folgen für die Wirtschaft wird immer wahrscheinlicher. Die hochverschuldete italienische Wirtschaft bleibt eine tickende Zeitbombe in Euroland. Für den Exportweltmeister ist beides Gift.
Den Deutschen ist es immer noch nicht gelungen, ihren Binnenmarkt in Schwung zu bringen. Zu gross ist die Angst vor einer nicht existierenden Inflationsgefahr und die Fixierung auf eine «schwarze Null» in der Staatskasse.
Für die ebenfalls stark exportorientierte Schweizer Wirtschaft ist die Gefahr deutlich kleiner. Wir exportieren vor allem Pharma und Uhren. Beides sind wenig preissensible Produkte.
Die Ökonomen der beiden Grossbanken geben sich daher verhalten optimistisch: Die UBS prophezeit der Schweizer Wirtschaft ein BIP-Wachstum von 1,3 Prozent im laufenden und 1,6 Prozent im kommenden Jahr. Bei der CS sind die Volkswirte noch mutiger: Sie stellen uns 1,5, respektive 1,8 BIP-Prozent in Aussicht.
Der Markt in Deutschland reguliert sich nicht selbst. Er reguliert die Politik. Raubtierkapitalismus hat sicher nichts mehr von einer gesunden Ökonomie...