Die westlichen Zentralbanken haben die Inflation unterschätzt, insbesondere die Fed, die US-Notenbank. Nun jedoch dreht sie heftig am Zinsrad. Die amerikanischen Leitzinsen sind bereits von Null auf 0,75 Prozentpunkte geklettert. Weil sich die Inflation jedoch immer noch deutlich über 8 Prozentpunkten befindet, wird erwartet, dass die Fed noch in dieser Woche die Leitzinsen nochmals um 0,5 Prozentpunkte erhöhen wird.
Börsianer wissen aus leidvoller Erfahrung: Steigende Leitzinsen bedeuten sinkende Aktienkurse. Das hat sich einmal mehr bestätigt. Die amerikanischen Börsen sind bereits nahe an einem Bärenmarkt, will heissen, die Kurse sind gegen 20 Prozent gesunken. Auch hierzulande ist Rot an den Aktienbörsen die vorherrschende Farbe.
Eine weitere eiserne Börsenregel lautet: Haben die USA einen Husten, kriegen die anderen Länder eine Lungenentzündung. Das sind schlechte Aussichten. Die amerikanischen Unternehmen melden nämlich derzeit immer öfters, dass sie ihre Gewinnziele nicht erreichen werden. Schuld daran ist die Tatsache, dass der Dollar trotz Inflation kräftig zugelegt hat. Das wiederum bedeutet sinkende Unternehmensgewinne, weil die Kosten des stärkeren Greenbacks nicht in vollem Umfang auf die Preise übertragen werden können.
Renommierte Unternehmen wie Microsoft oder der Detailhändler Target haben bereits Gewinnwarnungen herausgegeben. Weitere werden folgen. Die Investmentbank Goldman Sachs hat gemäss «Financial Times» errechnet, dass den amerikanischen Unternehmen wegen des starken Dollars im ersten Halbjahr rund 40 Milliarden Dollar Gewinne entgangen sind.
Steigende Leitzinsen und sinkende Gewinnaussichten sorgen für eine düstere Stimmung an der Wall Street. «Wir sind generell der Ansicht, dass der Bärenmarkt noch nicht ausgestanden ist, denn die Gewinnerwartungen müssen zurückgenommen werden», sagt beispielsweise Michael Wilson von der Bank Morgan Stanley gegenüber dem «Wall Street Journal». «Wir glauben daher, dass die Verkäufe weiter gehen werden.»
Und ja, die Kryptos bieten einmal mehr keinen Schutz. Sie bewegen sich parallel zu den Aktienmärkten. Das bedeutet, dass der Bitcoin-Kurs erneut eingebrochen ist, und zwar kräftig. Derzeit nähert er sich der 24’000-Dollar-Grenze.
Viel schmerzhafter ist jedoch die Tatsache, dass auch die Realwirtschaft zunehmend in Bedrängnis gerät. Die «Financial Times» hat eine breit angelegte Umfrage bei Ökonomen durchgeführt. Das Ergebnis ist besorgniserregend: 70 Prozent der Befragten rechnen damit, dass die amerikanische Wirtschaft nächstes Jahr in eine Rezession abgleiten wird.
Derzeit ist davon noch nichts zu spüren. Die amerikanische Wirtschaft hat sich extrem schnell von den Lockdowns erholt. Nach wie vor werden 200’000 bis 300’000 neue Jobs pro Monat geschaffen. Die Arbeitslosenquote befindet sich mit 3,7 Prozentpunkten für US-Verhältnisse auf einem rekordtiefen Niveau. Weil sich jedoch die Inflation als weit hartnäckiger erweist als ursprünglich angenommen, könnte sich das bald ändern. Die rasch ansteigenden Leitzinsen werden kaltes Wasser über die erhitzten Arbeitsmärkte giessen.
Für die Zentralbanken stehen heikle Monate in Aussicht. Ob es vor allem der Fed gelingen wird, die Wirtschaft weich zu landen, ist fraglich. Einzelne Ökonomen gehen davon aus, dass die Fed die Leitzinsen bis zu 4 Prozentpunkte erhöhen muss. Das wäre gleichbedeutend mit einer Rosskur für die Realwirtschaft.
Tara Sinclair, Ökonomin an der George Washington University, erklärt gegenüber der «Financial Times»: «Das ist keine Landung auf einem normalen Flughafen. Dieses Flugzeug muss auf einem Seil gelandet werden, und zwar bei starkem Wind.» Das bedeutet auch bei uns: Fasten your seat belt!
"Weshalb Helikopter-Geld gar keine so blöde Idee ist", "In Europa und auch in der Schweiz warnen geldpolitische Hardliner vor einer nicht vorhandenen Inflationsgefahr."
Philipp Löpfe, 21.10.2020
"Inflationshysterie", "Trotzdem ist die Angst vor Inflation mit grosser Wahrscheinlichkeit fehl am Platz."
Philipp Löpfe, 07.06.2021