Ob Käfer oder Golf, ob Porsche oder Audi – nichts lässt die Herzen unserer nördlichen Nachbarn höher schlagen als die Produkte aus Wolfsburg, Stuttgart oder Ingoldstadt. Volkswagen ist der Inbegriff der deutschen Wirtschaft und der bedeutendste Arbeitgeber obendrauf. Rund 500’000 Menschen beschäftigt VW in Europa.
Doch der Schein trügt: «Öffnet man die Motorhaube und schaut sich die Umsatzzahlen und die Profite an, dann ist VW mehr chinesisch als deutsch», stellt die «Financial Times» fest. Nicht einmal von höchster Stelle wird dem widersprochen. «China braucht VW wahrscheinlich nicht», sagt VW-CEO Herbert Diess. «Aber VW braucht China, und zwar sehr.»
Über die Abhängigkeit des Westens von russischem Öl und Erdgas sind inzwischen ganze Bibliotheken verfasst worden. Die Tatsache, wie abhängig die westliche Wirtschaft von China geworden ist, fliegt jedoch nach wie vor unter dem Radar. VW ist ein Paradebeispiel für diese Abhängigkeit, wie die «Financial Times» in einem längeren Bericht aufzeigt.
VW war der erste westliche Autohersteller, der in China Fuss gefasst hat. Schon in den Achtzigerjahren wurde im Reich der Mitte der VW Santanda zum beliebtesten Auto des Landes. Später eroberten auch andere Modelle die Herzen der Chinesen. Im Rekordjahr 2018 wurden insgesamt 4,1 Millionen Autos aus dem Volkswagenkonzern verkauft.
Covid und die Tatsache, dass es VW bisher nicht gelungen ist, im chinesischen Elektroauto-Markt so richtig Fuss zu fassen, haben dazu geführt, dass die Verkaufszahlen 2021 auf 3,3 Millionen gesunken sind. Doch das sind immer noch rund ein Drittel der 8,8 Millionen Fahrzeuge, welche der Volkswagenkonzern weltweit unter die Leute bringt.
Nicht nur Rohstoffe sind von den Launen der Geopolitik abhängig. Angenommen, China liefert – wie von Moskau gefordert – Russland tatsächlich Waffen, dann könnte dies indirekt auch für VW gravierende Folgen haben. Boykotte von Konsumenten oder gar ein von der Regierung verordneter Rückzug aus dem Markt sind denkbar.
Thorsten Benner, Direktor des Global Public Policy Institutes in Berlin, erklärt: «Was sich derzeit in Russland abspielt, muss den deutschen Unternehmen eine Heidenangst einjagen und ihnen aufzeigen, wie riskant es ist, sich mit einem autoritären Regime einzulassen.»
Die Abhängigkeit ist jedoch gegenseitig. Putins Krieg bringt auch Xi Jinping in Nöte. Er kommt für Peking zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt: Chinas ehrgeizige wirtschaftliche Ambitionen sind in Gefahr, es ist fraglich, ob das Bruttoinlandprodukt wie geplant 5,5 Prozent wachsen wird.
Dazu kommt, dass die Ukraine ein wichtiger Getreidelieferant für China ist. Das könnte schmerzliche Folgen haben. Wegen starken Regens ist die Ernte im eigenen Land miserabel ausgefallen. Chinas Agrarminister spricht gar von «möglicherweise der schlechtesten in der Geschichte».
Schliesslich ist die Exportnation China auch auf Swift angewiesen. Eine klare Stellungnahme für Russland könnte zu einem Ausschluss aus dem WhatsApp der internationalen Finanzwirtschaft führen und damit auch die Exporte verunmöglichen.
Kevin Rudd, der ehemalige Premierminister von Australien, ist ein profunder Kenner der Verhältnisse in Asien. In einem Gastkommentar im «Wall Street Journal» fasst er die aktuellen Probleme des chinesischen Staatspräsidenten wie folgt zusammen:
Kein Wunder also, gibt sich Peking alle Mühe, weder Russland noch den Westen zu brüskieren. Energisch widerspricht Qin Gang, der chinesische Botschafter in den USA, in der «Washington Post» der These, wonach Putin seinen Krieg mit Xi abgesprochen habe. «Die Behauptungen, dass China von diesem Krieg gewusst, ihn gebilligt oder gar heimlich unterstützt habe, sind reine Desinformation», stellt er fest. Damit diese Aussagen auch glaubhaft werden, muss ihnen Peking bald auch Taten folgen lassen.
Wirtschaftlich gesehen ist Russland eine Regionalmacht, sein Bruttoinlandsprodukt ist etwa gleich gross wie das italienische. Doch es hat 6000 Atomwaffen und einen Diktator mit Grossmacht-Illusionen. Das könnte im schlimmsten Fall dazu führen, dass die Welt, wie wir sie kennen, morgen schon ganz anders aussehen könnte.
Solange Menschen weltweit für ihre Leistung nicht gleich viel verdienen wie beispielsweise in Europa, wird sich die Abhängigkeit nicht ändern. Das betrifft alle Unternehmen, die in billig Ländern produzieren lassen.
Ob man einen VW aus China oder einen Audi aus Mexico will, muss jeder selbst entscheiden.