In den kommenden Tagen muss die EU ihr Führungspersonal neu besetzen. Im Scheinwerferlicht steht dabei die Frage: Wer wird EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker beerben? Der deutsche CSU-Mann Manfred Weber oder die dänische Liberale Margrethe Vestager?
Vestager scheint die besseren Karten zu haben als der biedere Bayer. Doch das ist keine gute Botschaft: Unterliegt Weber, dann steigen die Chancen, dass Jens Weidmann an die Spitze der Europäischen Zentralbank (EZB) gehievt wird, nach dem Motto: Einen Spitzenposten muss man den Deutschen ja zugestehen.
Der ehemalige Präsident der Deutschen Bundesbank (Buba) gehört deshalb zu den Favoriten um diesen Posten; und dieser Posten ist weit bedeutender als das Amt des Kommissionspräsidenten.
Mario Draghi hat den Euro gerettet. Ohne seinen legendären Spruch, er werde die Einheitswährung retten, «whatever it takes», gäbe es heute den Euro mit grösster Wahrscheinlichkeit nicht mehr. Sein Vorgänger Jean-Claude Trichet war ein unerbittlicher Vertreter einer eisenharten Geldpolitik. Er hätte niemals den Massnahmen zugestimmt, welche den Euro überleben liessen.
Draghi ist zwar Italiener, seine ökonomischen Überzeugen sind jedoch durch und durch angelsächsisch geprägt. Er hat am Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Cambridge bei Boston studiert und bei Goldman Sachs als Investmentbanker gearbeitet.
Ursprünglich ist die EZB nach dem Vorbild der Buba konzipiert worden. Mit deutscher Disziplin sollten die verschwenderischen Südländer unter Kontrolle gehalten werden. Draghi hat dies geändert. Er hat «die EZB von einem Abkömmling der Buba in eine moderne Zentralbank verwandelt», wie es der Chefökonom Martin Wolf in der «Financial Times» ausdrückt.
Sollte Weidmann an die EZB-Spitze rücken, dann droht ein Rückfall in alte Trichet-Tage. Deshalb tobt hinter den Kulissen ein gewaltiger Machtkampf. Dabei geht es nicht um die traditionellen Links-rechts-Grabenkämpfe. Es geht um deutschen Ordoliberalismus gegen angelsächsische Ökonomie.
Idealtypisch werden diese Positionen durch die beiden Wirtschaftszeitungen NZZ und «Financial Times» vertreten. Und so sehen sie aus:
Für die NZZ ist Jens Weidmann «eine Chance für den Euro». Er besitzt nicht nur die nötigen fachlichen Qualifikationen, er hat auch die richtige Gesinnung. «Vor allem aber hat Weidmann klare ordnungspolitische Prinzipien», lobt Thomas Fuster in der NZZ. «Dies ist in Notenbankkreisen seit Ausbruch der Finanzkrise leider keine Selbstverständlichkeit mehr.»
Wie der NZZ-Kommentator ist Weidmann ein strammer Vertreter des deutschen Ordoliberalismus. Diese Richtung der Ökonomie unterscheidet nicht zwischen Betriebs- und Volkswirtschaft. Länder sind grössere Unternehmen. Jedes Land muss sein Haus in Ordnung haben und gemäss der Losung der sprichwörtlichen schwäbischen Hausfrau handeln: Spare in der Zeit, dann hast du in der Not.
In dieser Sicht ist die Eurokrise eine Folge von Verschwendung. Die Mittelmeerländer haben über ihre Verhältnisse gelebt, und Deutschland hat jetzt den Schaden.
Mit teuren Hilfsprogrammen müssen die Club-Med-Staaten gerettet werden. Der deutsche Steuerzahler wird einmal mehr zur Kasse gebeten. Höchste Zeit also, dass hier aufgeräumt und durchgegriffen wird. Als ehemaliger Buba-Chef ist Weidmann der richtige Mann für diesen Job.
Ganz anders präsentiert sich die Lage aus der Sicht der Angelsachsen. «Jens Weidmann wirft einen Schatten über die EZB», titelt Martin Wolf in der «Financial Times» und kommentiert düster: «Der gefährlichste Kandidat ist bei weitem Jens Weidmann».
Für die Angelsachsen ist die Unterscheidung von Betriebs- und Volkswirtschaft matchentscheidend. Länder funktionieren eben nicht wie Haushalte, sondern sie beeinflussen sich in der Art und Weise, wie sie miteinander Handel betreiben.
Weil die schwäbische Hausfrau das nicht begreifen will, richtet sie gewaltigen Schaden und unnötiges Leid an. Das hat das missglückte Experiment der Austeritätspolitik nach der Eurokrise einmal mehr gezeigt.
Deutschland ist bekanntlich Exportweltmeister, sein Leistungsbilanzüberschuss ist mittlerweile jenseits von Gut und Böse. Letztlich sei das nichts anderes als ein Raub von Arbeitsplätzen, sagen die Angelsachsen und verweisen etwa auf die Autoindustrie, die vom schwachen Euro übermässig profitiert.
In dieser Sicht ist Deutschland kein Opfer des Euro, sondern der ganz grosse Gewinner. Es ist daher höchste Zeit, dass dies korrigiert wird, indem die Rahmenbedingungen zugunsten der Südstaaten geändert werden. Als ordoliberaler Hardliner ist Weidmann dafür der denkbar schlechteste Kandidat.
Selbst wenn Weidmann das Rennen machen sollte, bleibt ein Trost. Der EZB-Präsident kann nicht eigenmächtig entscheiden, er muss auf den EZB-Rat (6 Mitglieder des Direktoriums, 19 Präsidenten der Nationalbanken der Mitglieder von Euroland) Rücksicht nehmen. «Der EZB-Rat könnte ihn dazu zwingen, in einer Krise das Richtige zu tun», so Martin Wolf. «Aber das wäre eine verrückte Art, eine Zentralbank zu führen.»
Soll heissen, dass man seitens der EZB weiterhin eine lockere Schuldenpolitik machen soll?
Nun, in Zeiten, in denen alle Staaten der Welt massiv verschuldet sind, wäre natürlich ein stabiler Haushalt der EU eine grosse Gefahr für die Weltwirtschaft. Dies könnte das ganze Kartenhaus zum Einsturz bringen.
Ich glaube, das möchte man vermeiden und muss also weiterhin auf Schulden bauen und fleissig "Geld drucken".
Für den normalen "schwäbischen" Sparer ist das aber nicht unbedingt gewollt. Der möchte gerne Zinsen auf sein Erspartes.
Das muss bei einer Wahl ja auch eine Rolle spielen, welche Optionen man hat.
Es kann ja auch nicht sein, das man den Euro rettet whatever it takes und das dann nur dazu führt, das Salvini und die Fünf* einfach ihre populistischen und nicht nachhaltigen Versprechen durchdrücken, weil sie ja wissen, dass die EZB ihnen die Marktkräfte vom Hals halten wird.
Ob seine ordoliberale Haltung nun besser oder schlechter ist als die angelsächsische sei mal dahingestellt...