Wir haben uns daran gewöhnt, dass Rechtspopulisten wie Donald Trump oder Roger Köppel vor einem neuen rot-grünen Sozialismus und einer drohenden marxistischen Diktatur warnen und die Errungenschaften des Kapitalismus verteidigen. Vermehrt aber wird nun Kritik laut aus den Bastionen den Kapitalismus.
Die «Financial Times» tut dies in einem redaktionellen Kommentar unter dem Titel «Ein verantwortlicher Kapitalismus braucht neue Standards» (Responsible capitalism requires new standards). Dabei berichtet sie wohlwollend vom Beispiel des Unternehmers Julian Richter, der die Kontrolle über seine Firma in die Hände seiner Angestellten gelegt hat. «Nicht viele Eigentümer von Unternehmen werden diesem Beispiel folgen», so die «Financial Times». «Aber es zeigt, dass die Unternehmensformen nicht statisch sein müssen.»
Nicht nur die nach wie vor horrenden Manager-Saläre werden gegeisselt, die «Financial Times» setzt sich auch für die Einführung der neuen ESG-Standards ein. Das Kürzel ESG steht für Environment-Social-Governance und legt Kriterien für ökologisches und sozial verantwortungsvolles Wirtschaften fest.
Dazu stellt die «Financial Times» fest: «Die ESG-Standards mögen abgehoben wirken, und sie sollten so realistisch wie möglich sein: Wir brauchen Standards, die jedermann verstehen kann und die als Vergleichsmassstab eingesetzt werden können – intern und extern.»
Der «Economist» widmet die Titelgeschichte seiner jüngsten Ausgabe der demokratischen Präsidentschaftskandidatin Elizabeth Warren. Sie hat gute Chancen, zur Herausforderin von Donald Trump erkoren zu werden. Warren wird gerne mit Bernie Sanders auf die gleiche Stufe gestellt. Zu Unrecht: «Einige Republikaner und Kritiker von der Wall Street behaupten, Mrs. Warren sei eine Sozialistin», stellt der «Economist» klar. «Sie ist es nicht.»
Tatsächlich betont Warren sechsmal die Woche und zweimal am Sonntag, sie sei eine «Kapitalistin mit Haut und Haar». Gleichzeitig betont sie ebenso regelmässig, dass sie den bestehenden Kapitalismus grundlegend reformieren will, so wie dies einst die Progressives vor dem Ersten Weltkrieg getan haben.
«Sie hat einen bewundernswert detaillierten Plan, wie man das bestehende System transformieren kann, ein System, von dem sie überzeugt ist, dass es korrupt sei und die gewöhnlichen Leute im Stich lasse», so der «Economist».
Drei Grundübel stellen heute den Kapitalismus in Frage: Klimaerwärmung, Ungleichheit und Monopolisierung der Wirtschaft. Für alles hat Warren wohl durchdachte Gegenmassnahmen.
Die mächtigen Banken will sie wieder aufteilen und das Investmentbanking wieder vom Kundengeschäft trennen. Um zu verhindern, dass die Finanzmärkte zu einem Kasino werden, wurde diese Trennung in den USA in den Dreissigerjahren mit dem sogenannten Glass-Steagall Act schon einmal eingeführt. Ende der Neunzigerjahre hat die Clinton-Regierung dieses Gesetz aufgehoben.
Warren ist eine erklärte Gegnerin der neuen Monopolisten im Silicon Valley. Ob Facebook, Google oder Amazon, alle sollen nach dem Vorbild von Standard Oil zerschlagen werden. 1911 wurde das Ölmonopol von John Rockefeller in 34 Einzelteile aufgelöst.
Fracking will Warren gänzlich verbieten und den Umbau einer ökologischen Infrastruktur massiv vorantreiben. Krankenkassen will sie zu einer staatlichen Einheitskasse zusammenschliessen, um endlich jeder Amerikanerin und jedem Amerikaner Zugang zum Gesundheitswesen zu ermöglichen. Einen Mindestlohn von 15 Dollar die Stunde will sie per Gesetz einführen.
Schliesslich wird das Steuersystem radikal erneuert. Trumps Steuergeschenke will Warren umgehend wieder abschaffen. Unternehmensgewinne von mehr als 100 Millionen Dollar will sie mit einer zusätzlichen Steuer von 7 Prozent belegen. Hohen Einkommen will sie höhere Sozialabgaben aufbrummen; und wer ein Vermögen von mehr als 50 Millionen Dollar besitzt, muss von jedem Dollar darüber 2 Prozent abliefern.
Der «Economist» ist kein Warren-Fan, vor allem ihre protektionistische Handelspolitik wird abgelehnt. Die kühlen Briten haben jedoch erkannt, dass man ihr mit den dümmlichen Slogans der Rechtspopulisten nicht beikommen kann. «Warrens staatsfreundlicher Masterplan enthält vieles, was uns Sorgen machen muss», so der «Economist».
Dazu genügt auch ein Blick nach Süden: In Argentinien ist soeben eine linkspopulistische Regierung gewählt worden – und in Chile riecht es derzeit stark nach Revolution.