Der Leitzins der Zentralbank legt den Preis fest, den die Geschäftsbanken für Kredite bei der Zentralbank bezahlen müssen. Steigt dieser Zins, dann steigen auch die Zinsen, welche die Geschäftsbanken von ihren Kunden verlangen, beispielsweise für Hypotheken. Die ökonomische Logik dahinter ist simpel: Wird das Geld teurer, wird weniger davon nachgefragt. Unternehmen investieren weniger und Konsumenten shoppen weniger. Die Wirtschaft kühlt sich ab. Die Inflation geht zurück.
So simpel die ökonomische Logik ist, so komplex, ja gefährlich sind die politischen Reaktionen. Aber der Reihe nach:
Die Grosse Depression der Dreissigerjahre war eine direkte Folge einer harten Geldpolitik, einer Politik also, die Inflation mit hohen Leitzinsen verhindern wollte. Mit dieser Politik wurde eine Verelendung-Spirale in Gang gesetzt: Hohe Zinsen würgten die Nachfrage ab, der Konsum brach ein, Unternehmen mussten Arbeiter entlassen, der Konsum brach noch weiter ein, Preise mussten gesenkt werden. Kurz, es entstand eine klassische Deflationsspirale.
Um aus ihren Fehlern zu lernen, haben die Ökonomen die Grosse Depression ausführlich analysiert. Einer, der dies besonders intensiv getan hat, ist Ben Bernanke, der ehemalige Präsident der US-Notenbank Fed. Als 2008 nach der Finanzkrise die Wirtschaft abstürzte, tat er daher das einzig Richtige: Er öffnete die Geldschleusen und senkte die Leitzinsen.
Mit dem sogenannte Quantitative Easing (QE) sorgte Bernanke in der Folge dafür, dass auch die langfristigen Zinsen niedrig blieben. Die Fed kaufte zu diesem Zweck im grossen Stil Staatsschulden und andere Vermögenswerte auf.
Als 2013 die Eurokrise ausbrach, griff Mario Draghi, der damalige Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB), im Wesentlichen zu den gleichen Mitteln. Mit seinem legendären Whatever-it-takes-Versprechen konnte auch er eine Wirtschaftskrise in Europa verhindern.
Entgegen allen Unkenrufen blieb auch eine Inflation aus, zumindest eine Inflation der Konsumentenpreise. Das billige Geld führte hingegen zu einer sogenannten Assetinflation, will heissen, die Preise für Vermögenswerte wie Aktien und Immobilien schossen in die Höhe. Davon profitierten in erster Linie diejenigen, die bereits über Vermögen verfügten, die Reichen.
Mit einer Politik des billigen Geldes ist es gelungen, eine Katastrophe wie in den Dreissigerjahren zu verhindern. Als die Coronakrise ausbrach, lag es daher auf der Hand, auch diesmal mit den gleichen Mitteln eine schwere Wirtschaftskrise zu verhindern. Mit Kurzarbeit und unbürokratischen Krediten wurde ein Abschmieren der Wirtschaft verhindert. Der Staat war bereit, vorübergehend höhere Schulden in Kauf zu nehmen. Weil das soziale Netz weit löchriger ist, verteilte der Staat in den USA direkt Geld an die Menschen.
Erneut verhinderten Zentralbanken und der Staat eine Wirtschaftskatastrophe. Leider werden sie dafür nicht belohnt, denn diesmal ist es tatsächlich zu einer Inflation gekommen. Und das sind die Gründe:
Der Covid-Schock hat die globalen Lieferketten durcheinander gebracht. Lockdowns haben die Produktion teils um Monate stillgelegt. In überfüllten Häfen konnten Schiffe nicht gelöscht werden, fehlende Lastwagenfahrer verschärften die Logistik-Probleme zusätzlich. Gleichzeitig hatten die Menschen mehr Spargelder auf der hohen Kante, Geld, das sie wegen des Lockdowns nicht hatten ausgeben können.
Diese Situation führte zu einem seltenen Ereignis, einem sogenannten Angebots-Schock. Das heisst: Die Nachfrage vor allen nach Gütern wie Autos, Computer etc. war plötzlich deutlich grösser als das Angebot. Die logische Folge davon war, dass die Preise in die Höhe schossen.
Erschwerend kam hinzu, dass die Zentralbanken die Situation falsch eingeschätzt hatten. Sie gingen davon aus, dass sich die Lieferketten-Probleme bald wieder auflösen würden. Daher sprachen sie von einer «vorübergehenden Inflation» und drehten vorerst nicht an der Leitzinsschraube.
Diese Annahme sollte sich als falsch erweisen. Zum einen, weil neue Mutationen des Coronavirus immer noch die Lieferketten empfindlich beeinträchtigen. Zum anderen, weil ein zweiter Schock hinzukam: Putins Krieg. Dieser hat dazu geführt, dass die besonders empfindlichen Preise für Energie und Nahrungsmittel explodiert sind.
Nun müssen die Zentralbanken handeln, und sie tun es auch. Die Fed hat die Leitzinsen um 0,75 Prozentpunkte erhöht, ein massiver Schritt. Eine weitere Erhöhung im gleichen Umfang stellt sie noch in diesem Jahr in Aussicht. Etwas überraschend hat auch die Schweizerische Nationalbank ihre Leitzinsen um 0,5 Prozent erhöht und ist gar der EZB zuvor gekommen.
Mit der Erhöhung der Leitzinsen vernichten die Zentralbanken wissentlich Wohlstand. Die Aktienkurse brechen denn auch weltweit ein. Steigende Hypothekenzinsen werden mittelfristig wahrscheinlich auch zu fallenden Immobilienpreisen führen. Warum handeln die Zentralbanken trotzdem so?
Es gilt, sogenannten Zweitrunden-Effekte zu verhindern. Darunter versteht man eine Spirale von höheren Preisen, die zu höheren Löhnen und dies wiederum zu höheren Preisen etc. führt. Auf diese Weise werden die Löhne, die Renten und die Sparguthaben des Mittelstandes entwertet, und das ist politischer Zündstoff der schlimmsten Sorte.
Vor allem der Benzinpreis ist in den Händen von verantwortungslosen Populisten eine Zeitbombe. So versucht etwa die SVP damit zu punkten. Bisher allerdings erfolglos.
In den USA hingegen brennt der Busch bereits lichterloh. Weil der Preis für eine Gallone Benzin über fünf Dollar geklettert ist, hetzen Republikaner und Fox-News-Demagogen täglich gegen die Regierung. Obwohl der Erdölpreis an den Weltmärkten bestimmt wird, machen sie Joe Biden dafür verantwortlich. Mit Erfolg, denn nichts versetzt Johnny Sixpack mehr in Rage, als wenn er mehr für den Sprit seines Pickup-Trucks hinblättern muss.
Die hohen Benzinpreise führen wahrscheinlich dazu, dass die Republikaner die Zwischenwahlen im November haushoch gewinnen werden. Ja, sie könnten gar dazu führen, dass Donald Trump 2024 wieder ins Weisse Haus einziehen wird. Ob die älteste Demokratie der Welt dies überstehen würde, ist fraglich.
In der Schweiz liegt die Inflation noch bei erträglichen drei Prozentpunkten. Generell ist sie jedoch in Europa nur unwesentlich tiefer als in den USA, also bei rund acht Prozentpunkten. Deshalb dürfte sich die politische Lage ähnlich entwickeln wie in den USA. Den Massen erklären zu wollen, dass Inflation der Preis dafür ist, eine Grosse Depression zu verhindern, ist eine Illusion. (Glaubt mir, ich versuche das seit Jahrzehnten, mit überschaubarem Erfolg.)
Wir müssen daher einer unangenehmen Tatsache ins Auge blicken: Vielleicht geht die Demokratie wegen des Benzinpreises vor die Hunde.
Vor der Great Depression gab es keinen Leitzins, es herrschte Goldstandard. Die Geldmenge war quasi fix, der Zins wurde vom Markt bestimmt. Roosevelt lockerte den Goldstandard erst als Reaktion auf die Krise.