Beinahe auf der gesamten Frontseite durfte sich NZZ-Wirtschaftsredaktor Thomas Fuster am vergangenen Samstag austoben. Genüsslich schilderte er dabei, wie alle Aktien, Anleihen und Kryptowährungen teils erhebliche Verluste erleiden und kommt dazu zu folgendem Schluss: «Was derzeit stattfindet, ist daher nicht eine irrationale Laune der Märkte. Zu beobachten sind vielmehr die Rückkehr der Rationalität und das Platzen diverser Illusionen.»
Was derzeit an den Finanzmärkten abgeht, ist für Fuster somit die gerechte Strafe für liederliches Verhalten in den letzten Jahren. «Befreien muss man sich zudem vom Irrglauben, man könne dauerhaft die Gesetze ökonomischer Vernunft ignorieren, ohne dafür bezahlen zu müssen», doziert Fuster. «Wohin solche Hybris führt, zeigt sich derzeit an den Märkten. Dort weichen Traumwelten wieder nüchternen Fakten. Und das ist gut so.»
Mit diesen Zeilen reiht sich Fuster in den Club der sogenannten Sado-Monetaristen ein. Dabei handelt es sich um Menschen mit einer Mission. Permanent und eindringlich warnen sie vor tiefen Zinsen, hohen Steuern, Staatsschulden, Börsen- und Immobilienblasen und vor einem ausufernden Sozialstaat. Kurz: Sado-Monetaristen sind die Jesuiten unter den Ökonomen und huldigen dem ökonomischen Masochismus bedingungslos und in extremis.
Ein legendärer Sado-Monetarist war Andrew Mellon, der US-Finanzminister Ende der Zwanzigerjahre. Auch in diesem Jahrzehnt hatte eine sogenannte Asset-Inflation stattgefunden. Aktien, Anleihen und Immobilien waren gewaltig im Wert gestiegen. Um eine aufziehende Inflation zu verhindern, versuchte Mellon deshalb, eine drohende Konsuminflation zu verhindern, indem er die Luft aus den Vermögenswerten lassen wollte. «Liquidiert die Arbeit, liquidiert die Aktien, liquidiert die Farmer, liquidiert die Immobilien», forderte er, um auf diese Weise den Dollar wieder zu einer harten Währung zu machen. Mellon führte damit die USA direkt in die Wirtschaftskatastrophe der Grossen Depression.
Sado-Monetaristen lassen sich jedoch durch Misserfolg nicht beirren. Nach der Eurokrise 2013 hatten sie einmal mehr Aufwind, und sie nutzten ihn weidlich. Unter der Regie der Gralshüter des deutschen Ordo-Liberalismus wurde Europa eine Austeritätspolitik verpasst, welche ausser viel Leid nichts vorzuweisen hatte. Erst nach jahrelangem Misserfolg wurde diese Politik wieder fallengelassen.
Nur selten ist eine Politik der Härte ökonomisch gerechtfertigt. Zu Beginn der Achtzigerjahre griff der damalige Präsident der US-Notenbank, Paul Volcker, zu diesen Massnahmen und zwang eine hartnäckige Inflation nach jahrelangem Kampf mit einer künstlich erzeugten Rezession schliesslich in die Knie.
Das Beispiel von Volcker wird denn auch immer und immer wieder zitiert. Zu Unrecht. Der damalige Fed-Präsident rang mit einer Inflation, die sich dank sogenannten Zweitrunden-Effekten tief in die Wirtschaft gefressen hatte. Eine Lohn-Preis-Spirale drehte sich, zwei Ölkrisen hatten Volkswirtschaften, die damals weit stärker vom Erdöl abhängig waren, zusätzlich geschwächt.
Die Situation heute ist damit höchstens teilweise vergleichbar. Die Ursachen der aktuellen Inflation sind einerseits ein Nachfrageschock, verursacht durch die Lieferkettenprobleme in der Folge der Pandemie. Der Krieg in der Ukraine hat nun auch dazu geführt, dass die Preise für Energie und Nahrungsmittel in die Höhe geschossen sind.
Keine Frage: Diese Inflation muss bekämpft werden. Deshalb ist es gerechtfertigt, dass Zentralbanken rund um den Globus in jüngster Zeit ihre Leitzinsen erhöht haben. Derzeit besteht jedoch die akute Gefahr, dass sie, angespornt von den messianischen Sado-Monetaristen, übertreiben. So warnt beispielsweise Martin Sandbu in der «Financial Times»: «Die Zentralbanken sind offenbar wild entschlossen, eine geldpolitische Version von toxischer Männlichkeit umzusetzen, die besagt: Wenn es nicht weh tut, dann nützt es nichts.»
Für eine solche Politik besteht keine Notwendigkeit. Bereits jetzt mehren sich die Anzeichen, dass der durch die Pandemie ausgelöste Nachfrageschub sich abschwächt. So meldet das «Wall Street Journal», dass der Output der Fabriken vor allem in Asien merklich zurückgeht. In den USA hat sich das Wirtschaftswachstum im Juni verlangsamt, ebenso in Europa. Die Ökonomen der UBS erwarten, dass der Konsum in der Eurozone in den nächsten drei Monaten rückläufig sein wird. Zudem sind die Rohstoffpreise im zweiten Quartal dieses Jahres leicht gesunken.
Die Mehrheit der Ökonomen geht inzwischen gar davon aus, dass eine Rezession nicht mehr zu vermeiden ist. Selbst ein «soft landing», eine weiche Landung nach dem Absturz, wird inzwischen infrage gestellt.
Die Welt steht vor wirtschaftlich und politisch anspruchsvollen Zeiten, um es milde auszudrücken. Sado-Monetaristen können wir derzeit brauchen wie einen Kropf. Oder wie sich Martin Sandbu ausdrückt: «Niemand will die Kosten kleinreden, welche steigende Lebenskosten verursachen. Aber eine geldpolitische Kontraktion am Rande einer Rezession macht die Dinge schlimmer, nicht besser. Die Regierungen müssen sich um diejenigen kümmern, die besonders hart von der Inflation betroffen sind. Vielleicht jedoch sollten die Zentralbanken – gerade, um die Währung und die Wirtschaft stabil zu halten – die Inflation mit mehr Wohlwollen behandeln.»
Seien Sie mir nicht böse Herr Löpfe, aber Sie tun hier meistens nichts anderes. Und in zwei Wochen kommt dann die Analyse, die genau das Gegenteil behauptet.