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Zalando umgarnt Schweizer Modeboutiquen – das steckt dahinter

Zalando umgarnt Schweizer Modeboutiquen – das steckt dahinter

Der deutsche Online-Versandhändler will mit einer neuen Strategie hierzulande wachsen. Über 200 Schweizer Firmen haben bereits angebissen.
20.12.2021, 09:04
Benjamin Weinmann / ch media
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Der Werbespruch hallt bei vielen Modehändlern noch bis heute nach. Doch sie schreien nicht vor Glück, wie dies die Zalando-TV-Spots forderten, sondern wenn schon vor Wut über den wirtschaftlichen Schaden, den der Onlineriese bei ihnen verursachte. Zahlreiche Händler mussten aufgeben, vielerorts waren Geschäfte plötzlich leer.

In den vergangenen Jahren ist der deutsche Konzern kräftig gewachsen, hat 2017 H&M vom Thron gestürzt und ist seitdem der grösste Modeverkäufer der Schweiz. Laut dem Beratungsunternehmen Carpathia dürfte Zalando 2020 mehr als eine Milliarde Franken hierzulande erwirtschaftet haben.

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Bild: zvg

Die Retouren müssen gratis bleiben

Doch nun streckt Zalando plötzlich die Hand aus. «Connected Retail» heisst das Zauberwort, mit dem der Konzern aus Berlin derzeit auf Werbetour ist. Zalando-Manager Carsten Keller sagt im Gespräch mit CH Media, man wolle das Konkurrenzdenken zwischen online und offline aufheben.

Die Idee: Unabhängige Modehändler sollen ihre Jacketts, Hemden, Röcke und Socken auf dem Zalando-Portal anbieten und so eine grössere Kundschaft erreichen können. «Nur wenn es zu einem Kauf kommt, beziehen wir eine Kommission», sagt Keller.

Für den Versand und die Retournahme ist die Partnerfirma selber verantwortlich. Zudem muss sie die Versandbedingungen von Zalando übernehmen. Heisst: Die Rücksendungen müssen gratis sein und von der Partnerfirma bezahlt werden.

So sieht Zalando seine Schweizer Kunden.
Bild: shutterstock.com

200 Geschäfte bereits an Bord

Denn heute sei es für viele Geschäfte schlicht zu teuer und zu aufwendig, einen eigenen Onlineshop zu betreiben. «Nur schon das Fotografieren aller Artikel ist eine Herkulesaufgabe», sagt Keller. Zalando habe eine Foto-Sammlung, die rund 50 Prozent aller verfügbaren Modeartikel abdecke und die den Partnerfirmen zur Verfügung stehe. «Das ist immerhin schon mal ein starkes Fundament», findet Keller.

Das Interesse ist laut dem Zalando-Manager gross. «Wir haben erst im Juli mit dem Programm in der Schweiz begonnen und zählen inzwischen über 200 Geschäfte, die mitmachten oder kurz davorstehen.»

Dazu gehören unter anderem bekanntere Namen wie Companys, Van Graff und C&A, aber auch die regionale Modekette Seematter mit fünf Filialen im Kanton Bern. Im Schnitt verzeichnen die Partnergeschäfte laut Keller derzeit rund 20 Bestellungen pro Tag. Die Anzahl Retouren nennt er nicht.

6000 Partnerfirmen in 13 Ländern

Keller geht davon aus, dass die Zahl in den nächsten Monaten stark steigen wird. In ganz Europa sind es sogar über 6000 Partner in 13 Ländern, allerdings wurde die «Connected Retail»-Strategie im Ausland teils schon vor drei Jahren lanciert.

Die Schweiz geniesse einen besonderen Stellenwert, sagt Keller. «Sie ist einer unserer bedeutendsten Märkte». Deshalb habe man auch entschlossen, die neue Strategie nicht von Berlin aus anzugehen, sondern in Zürich ein Team aufzubauen, das die hiesigen Geschäfte angeht. «Das können grosse, bekannte Händler sein, aber auch die Ein-Frau-Boutique im Quartier.»

Wie viel die Kommission beträgt, die Zalando einkassiert, verrät Keller nicht. Er sagt nur, dass sie vom Kaufbetrag abhänge. Heisst, je teurer der Warenkorb, desto mehr verdient Zalando mit. Doch was ist mit der drohenden Abhängigkeit, der sich eine kleine Mode-Filiale aussetzt? Schliesslich könnte Zalando jederzeit entscheiden, die Kommissionen zu erhöhen. Davon will Keller nichts wissen. Die Unabhängigkeit der Partner bleibe bestehen, und Zalando nehme auch keinen Einfluss auf deren Sortimentsgestaltung.

Zalando hat viele neue Anh
Zalando ist Europas grösster Modehändler.Bild: sda

«Davon profitieren wir dann auch»

Kannibalisiert dann Zalando nicht auch das eigene Geschäft? «Nein, denn wir haben manchmal Monate, in denen 10 Millionen Anfragen für Kleiderstücke nicht bedient werden können, weil die gewünschte Kleidergrösse nicht verfügbar ist.» Je mehr Partner an Bord seien, desto grösser werde die Verfügbarkeit. «Davon profitieren dann auch wir.»

Und kann sich nun das Mini-Modegeschäft in Bümpliz BE oder Opfikon ZH Hoffnungen machen, seine Strümpfe und Röcke auch an Kundinnen und Kunden in Mailand, Montpellier oder München zu verkaufen? Keller wiegelt ab. «‹Connected Retail› ist ein rein nationales Programm.»

Auf der Suche nach Swissness

Zudem, so Keller, wüssten die Geschäfte vor Ort oft sogar besser, welchen Modegeschmack ihre Kundschaft in St. Gallen, Genf oder Zürich bevorzuge. «Je mehr Partner wir haben, desto schweizerischer können wir unser Angebot gestalten.»

Zalando will mit der neuen Strategie zum «Kleiderschrank Europas» werden. Allerdings: Die Idee ist nicht neu, sondern entspricht dem Online-Warenhausgedanken, wie ihn der US-Riese Amazon perfektioniert hat. In der Schweiz entwickeln sich auch Galaxus, Microspot und Manor in diese Richtung und stellen ihren Webshop Dritten zur Verfügung.

CS-Ökonomin sieht Chancen – aber auch Gefahren

Credit-Suisse-Ökonomin Tiziana Hunziker.
Credit-Suisse-Ökonomin Tiziana Hunziker.Bild: zvg

Für Tiziana Hunziker, Detailhandelsexpertin der Credit Suisse, bieten derartige Online-Marktplatzkonzepte durchaus Chancen für kleinere Händler. «Mit relativ geringem Aufwand können sie eine deutlich grössere Kundschaft erreichen.»

Viele dürften laut Hunziker allerdings aus der Not heraus agieren. Keine andere Sparte habe im Detailhandel in der Pandemie mehr gelitten. Bis Ende Oktober resultiert ein Minus von 15 Prozent gegenüber der selben Jahresperiode 2019 – so wie auch schon im Gesamtjahr 2020.

«Viele kleinere, aber auch manche grosse Modehändler haben es verpasst, rechtzeitig in einen kundenfreundlichen Onlineshop zu investieren – zum Teil, weil sie es sich nicht leisten konnten, zum Teil aber auch, weil sie es aufgrund ihrer guten Standorte in den Einkaufsstrassen nicht für nötig hielten», sagt Hunziker.

Heute stellten die Kunden hohe Ansprüche. Es brauche so viele Zahlungsmöglichkeiten, Kleider-Grössen und -Farben wie möglich. «Sonst ist es schwierig, gegen die internationale Konkurrenz bestehen zu können.» Insofern könnten Online-Marktplätze durchaus hilfreich sein. Frage sich nur, so Hunziker, ob sich der zusätzliche Aufwand und die daraus entstehenden Kosten mit den Gratis-Retouren stemmen lässt und sich unter dem Strich auch lohnt.

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