Wirtschaft
Digital

Temu vs. Digitec: Sind Schweizer Online-Händler überhaupt nachhaltiger?

Temu logo online marketplace ecommerce on a smartphone and computer Stuttgart, Germany - May 1, 2024: Temu logo online marketplace ecommerce on a smartphone and computer in Stuttgart, Germany. Copyrig ...
Mittlerweile hat jede(r) Zweite in der Schweiz schon bei Temu, Shein und Co. bestellt.Bild: www.imago-images.de

Temu überholt Migros – jetzt spricht ein Experte über die Wahrheit, die niemand gerne hört

Von wegen Nachhaltigkeit: Chinesische Online-Shops werden in der Schweiz immer beliebter – zum Ärger der hiesigen Onlinehändler wie Digitec Galaxus. Konsumierende hinterfragen, ob der Unterschied bezüglich Nachhaltigkeit überhaupt so gross ist. Wir haben bei der NGO Public Eye nachgefragt.
30.01.2025, 12:0930.01.2025, 13:05
Mehr «Wirtschaft»

Der Aufstieg der chinesischen Online-Händler ist beachtlich: Mittlerweile hat jede(r) Zweite in der Schweiz schon bei Temu, Shein und Co. bestellt. Neu ist auch, dass Temu mittlerweile Digitec Galaxus als meistgenutzten Online-Händler abgelöst hat. Das fand kürzlich das Vergleichsportal Comparis heraus.

Dieser Umstand beunruhigt Online-Händler wie das zur Migros gehörende Digitec Galaxus – einst die unangefochtene Nummer Eins, wenn es um Online-Bestellungen in der Schweiz ging. Die Schweizer Händler fürchten, ihre Margen kürzen zu müssen und nicht gegen den Preisdruck bestehen zu können, den Temu und die anderen Online-Handel-Giganten zweifelsohne ausüben.

Schliesslich sind es tatsächlich primär die tieferen Preise, welche die Konsumierenden zum Kauf auf den chinesischen Plattformen bewegt:

Mit diesen teils extrem niedrigen Preisen ist es unmöglich, mitzuhalten. Eine Smartwatch für 10 Franken oder ein Blutdruckgerät für 15 Franken wird man bei Schweizer Onlinehändlern wohl nicht finden. Ihnen bleibt es stattdessen, mit besserer Qualität, Transparenz und Nachhaltigkeit zu punkten.

Doch offenbar genügt das nicht. Bei einer Strassen-Umfrage, die das watson-Team in Zürich zu diesem Thema durchführte, bestätigte sich, dass viele schon mindestens einmal bei einem chinesischen Online-Händler gekauft haben. Womit das nicht wenige – zwar nicht vor der Kamera, sehr wohl aber dahinter – rechtfertigten: Schweizer Händler wie Digitec Galaxus sind doch auch nicht wirklich viel nachhaltiger.

Stimmt das? Wir haben bei Public Eye nachgefragt. Die unabhängige Schweizer Organisation setzt sich mit journalistischen Recherchen für eine gerechte Globalisierung und die Einhaltung der Menschenrechte durch Unternehmen mit Sitz in der Schweiz ein.

Geschäftsmodell

Nehmen wir also zur Anschauung einmal die beiden beliebtesten Online-Händler: Temu und Digitec Galaxus. Ist die Schweizer Migros-Tochter wirklich so viel nachhaltiger? «Um einen Vergleich anstellen zu können, muss man zunächst verstehen, dass die beiden ein grundsätzlich anderes Geschäftsmodell betreiben», erklärt David Hachfeld.

Temu könne man sich als Plattform vorstellen, die dafür sorgt, dass eher informelle, chinesische Kleinstbetriebe, die ursprünglich nur für den inländischen Markt bestimmt waren, jetzt auf dem globalen Markt mitspielen können. Temu selber agiert zwar nur als Plattform – allerdings als eine, die den Preis mitbestimmt. Zwischen den Fertigungsbetrieben und Temu gibt es schliesslich noch die Zwischenhändler, welche die Aufträge an die Kleinstbetriebe erteilen.

David Hachfeld ist Textilexperte beim NGO Public Eye.
David Hachfeld ist Textilexperte beim NGO Public Eye.

Bei Digitec Galaxus gibt es hingegen zwei unterschiedliche Modelle. Da ist einerseits das klassische Händlermodell: Digitec kauft Waren bei Lieferanten ein und verkauft sie dann unter eigenem Namen weiter. «Ein klassisches Geschäftsmodell, das Sie in vielen Kaufhäusern und Läden finden», so Hachfeld. In diesem Fall werden die Anforderungen an Nachhaltigkeit oder gute Arbeitsbedingungen den Händlern überlassen. Da herrschen gemäss dem Experten eher schwache Anforderungen: «Mit ein paar Ausnahmen bei einzelnen Produkten gilt so gut wie nichts, ausser die geltenden gesetzlichen Bestimmungen.»

Das zweite Modell ist das sogenannte kontrollierte Marktplatzmodell: Digitec Galaxus kooperiert mit schätzungsweise 1000 externen Händlern, die die Migros-Tochter direkt als Plattform benutzen. Hier muss man dem Schweizer Online-Händler zugutehalten, dass bislang nur Betriebe aus Europa und der Schweiz zugelassen sind.

Kurz: Alleine die unterschiedlichen Geschäftsmodelle zwischen der chinesischen und der Schweizer Plattform führen dazu, dass die Dinge bei Digitec Galaxus deutlich formeller ablaufen. Hachfeld sagt: «In der Regel ist in den beiden Fällen ein anderer Typ von Hersteller involviert.» Also: unbekannter, chinesischer Kleinstbetrieb – oder «etablierter», bekannter Produzent mit gewissen Standards.

Nachhaltigkeit

Wie steht es denn nun um die ökologische Nachhaltigkeit? Gemäss Public Eye kommen zum Beispiel im Bekleidungsbereich auch bei Digitec Galaxus etwa 70 Prozent aller Waren aus China. Kann ich da als Konsumentin nicht gleich beim viel billigeren Temu einkaufen?

David Hachfeld sagt, dass die Migros-Tochter bei der Auswahl der Händler tatsächlich kaum Grundanforderungen an Nachhaltigkeit stellt. «Es scheint keine Priorität zu sein, besonders nachhaltige Händler anzubinden.»

Aber: Die Händler, bei denen Digitec Galaxus einkauft oder die ihre Waren über die Plattform verkaufen, sind meist klassische Modehändler, die gewisse Mindeststandards erfüllen dürften. «Es sind also genau die gleichen Produkte, die man zum Beispiel auch in Zürich an der Bahnhofstrasse finden würde.»

Digitec Galaxus, Warenlager in Wohlen AG
Ein Warenlager von Digitec Galaxus in Wohlen, Aargau. Bild: Digitec Galaxus

Bei Temu sowie Shein, dem in der Schweiz zweitbeliebtesten chinesischen Online-Händler, müsse man sich aber zuallererst bewusst sein: «Die Waren werden alle mit dem Flugzeug geliefert. Das ist als Transportmittel etwa 40 Mal klimaschädlicher, als wenn die Ware mit dem Seecontainer käme.» Anders wären die kurzen Lieferfristen auch nicht möglich.

Public Eye schätzt, dass auf diese Weise in der Schweiz chinesische Waren von Temu und Shein im Umfang einer ganzen Frachtmaschine landen – pro Tag.

Bei Digitec Galaxus sei das sicher anders, doch auch dort gäbe es keine Garantie, dass nicht auch mal etwas geflogen werde.

Das Unternehmen selbst bekräftigt aber auf Anfrage: «Wir beziehen praktisch unser gesamtes Sortiment von Herstellern und Zwischenhändlern mit Lagern in der Schweiz oder der EU.» Und komme eine Lieferung direkt aus Asien, «dann eigentlich immer per Schiff oder Bahn. Und auf der letzten Meile per LKW.»

Arbeitsbedingungen

Auch bezüglich den bei der Produktion herrschenden Arbeitsbedingungen gibt es entscheidende Unterschiede: Bei Digitec Galaxus dürften auch die Produkte aus China überwiegend bei regulierten Betrieben hergestellt worden sein. Hachfeld sagt: «Das heisst zwar nicht, dass sie konform sind mit allen Arbeitsrechtsanforderungen. So sind auch dort die Löhne in der Regel nicht existenzsichernd.»

Aber: Es dürften trotzdem grosse Unterschiede herrschen zu den Herstellern, die am Ende Temu beliefern.

Im Rahmen einer Recherche berichtete Public Eye über die Zustände von Arbeiterinnen und Arbeitern, die bei einem Zulieferer für den Temu-Konkurrenten Shein arbeiteten. Demnach waren 75-Stunden-Wochen die Norm, es wurde in Tagesschichten von 10 bis 12 Stunden gearbeitet – bei einem freien Tag pro Monat.

Gemäss Hachfeld deutet einiges darauf hin, dass sowas auch bei Temu der Fall ist. So habe man herausgefunden, dass einige Kleinstbetriebe in China, die unter anderem für Temu produzieren, gleichzeitig auch für andere Online-Händler arbeiten.

Wie Temu die Händler gegeneinander ausspielt
Dass Temu als Plattform selber den Preis der dort gehandelten Produkte mitbestimmt, ist ungewöhnlich. Die Strategie führt aber unter anderem erfolgreich dazu, dass die Preise so tief gehalten werden können. Gemäss Public Eye gibt es Hinweise dafür, wie Temu die einzelnen Händler gegeneinander ausspielt.
Die Händler verkaufen dabei ihre Waren zu einem Festpreis an Temu, der sich dann aber vom Preis auf der Plattform unterscheidet. Temu gibt sich bei der Preissetzung extrem bedeckt. Im letzten Jahr gab es aufgrund dieser Intransparenz sogar öffentliche Gross-Proteste der Händler vor der Temu-Zentrale. «Sie fühlten sich betrogen, da es auch Hinweise darauf gab, dass, wenn ein Produkt gut läuft, Temu die Preise sogar noch mehr drückte – statt sie anzuheben», so David Hachfeld.
Dieser Kehrseite des Billigpreismodells müsse man sich auch bewusst sein: «Es herrscht ein ständiger Machtkampf um Margen zwischen den drei Playern – Temu, Zwischenhändler und Hersteller.» An dessen Ende dürften vor allem die Angestellten in den Fabriken die Leidtragenden sein.

Konsumentenschutz

Hier wird es noch etwas deutlicher: Was die Einhaltung von gesetzlichen Bestimmungen der Waren betrifft, ist Digitec Galaxus klar im Vorteil. Dass die Waren den europäischen Sicherheitsstandards, den Chemie-Standards, etc. entsprechen, ist die Regel. Ist das nicht so, müssen die Händler auch dafür geradestehen. Auch bei Retouren oder Gewährleistungen ist man beim Schweizer Händler auf der sicheren Seite.

Und Temu? «Temu behauptet zwar, gewisse Standards einzuhalten. Es gibt zum Beispiel auch vermehrt Rückrufe von Produkten, was eigentlich ein gutes Zeichen ist. Allerdings: Bei der Masse an zurückgerufenen Produkten zeigt sich schon: Die haben ihren Laden wohl nicht in Ordnung, was sichere und gesetzeskonforme Produkte betrifft.»

Stattdessen sehe man eine Art «trial and error»-Strategie: Produkte werden einfach mal vertrieben – und gibt es Beschwerden, so werden sie halt wieder aus dem Sortiment genommen.

Transparenz

Beide Unternehmen kommunizieren gemäss dem Experten «wirklich schlecht». Bei Digitec Galaxus wisse man zumindest, aus welchem Land die Güter kommen, aber meistens nicht, von welchen Betrieben. Dazu finde man, genau wie bei Temu, keine Informationen – entsprechend auch nichts zu den bei den Herstellern geltenden Arbeitsbedingungen.

Immerhin finden Konsumierende bei der Migros-Tochter Angaben dazu, wie viel CO₂ durch die Herstellung eines Produktes freigesetzt wurde. Zudem besteht die Möglichkeit, dieses zu kompensieren. Aber: «Es wird am Ende alles völlig den Konsumierenden überlassen», moniert David Hachfeld.

Digitec Galaxus widerspricht dem und verweist auf seine Nachhaltigkeitsstrategie, mit der man zum erklärten Netto-Null-Ziel bis 2050 kommen will. Ein Mediensprecher sagt gegenüber watson: «Wir informieren regelmässig und transparent zum Thema Nachhaltigkeit und was wir diesbezüglich alles unternehmen.» Dasselbe gelte bei Waren aus China, ein Thema, zu dem das Unternehmen «offen und transparent» kommuniziere, zum Beispiel anhand eines Berichts über den Besuch bei einem chinesischen Hersteller – oder dann anhand eines Artikels über die Gefahren von Temu-Bestellungen.

Public-Eye-Experte Hachfeld meint trotzdem: Das Unternehmen könnte sein Sortiment vorsortieren oder eine eigene Auswahl an Händlern treffen – und sich damit wirklich von anderen Plattformen abheben.

«Die jetzige Praxis ist aus meiner Sicht anachronistisch und nicht Ausdruck eines modernen, verantwortungsbewussten Unternehmens. Da merkt man einfach, dass Digitec Galaxus nach wie vor die Priorität hat, weiter zu wachsen – und nicht, ein nachhaltiges, kuratiertes Angebot zu bieten.»

Für Konsumierende gilt trotzdem festzuhalten: Bei Temu zu bestellen, ist in puncto sozialer und ökologischer Nachhaltigkeit sicher keine gute Alternative.

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Temu ist der grösste Onlinehändler der Schweiz – das sagt ihr dazu
Video: watson
Das könnte dich auch noch interessieren:
512 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Massalia
30.01.2025 12:27registriert Juni 2021
Ich bin irritiert. Covid jat gezeigt, wie gefährlich es für den Westen ist, dass wir uns in eine totale Abhängigkeit von China begeben haben. Und nun ist es gerade die jüngere Generation - die von sich behauptet hat, am meisten unter der Pandemie gelitten zu haben - die durch ihr asoziales Konsumverhalten diese Abhängigkeit verstärkt und zementiert.
41751
Melden
Zum Kommentar
avatar
Jacques #23
30.01.2025 12:42registriert Oktober 2018
Chinesen unter sich:

Der Westen wird sich in seiner Dekadenz selbst umbringen.

Ja und wir werden Ihnen den Galgen sogar noch verkaufen.
33716
Melden
Zum Kommentar
avatar
SBRUN
30.01.2025 12:31registriert September 2019
Dank Temu und dem Einsatz von nicht einmal 5 CHF konnte ich einen älteren Rasenmäher von der Landi, bei dem die Primerpumpe defekt war, wieder reparieren. Die Reparaturanhanme der Landi war der Meinung, dass die Primerpumpe aufgrund des Altesr nicht mehr lieferbar sei, bei Temu ist die Primerpumpe sogar in Rot oder Gelb bestellbar und ein Pfennigartikel. So schlecht ist Temu wirklich nicht.
25195
Melden
Zum Kommentar
512
    Das einst belächelte Twint hat über 5 Millionen User, doch die beste Funktion fehlt weiter
    Die Bezahl-App der Schweizer Banken meldet einen neuen Nutzungs-Rekord. Noch nie wurde mehr getwintet, doch andere mobile Bezahl-Apps werden ebenfalls beliebter.

    «Weit über die Hälfte der Schweizer Bevölkerung nutzt Twint», vermeldet die Schweizer Bezahl-App. Genaue Nutzerzahlen gibt Twint nicht mehr bekannt, aber es seien «weit über 5 Millionen Nutzende». Damit hat sich das Userwachstum 2024 auf hohem Niveau abgeschwächt. Fast zehn Jahre nach der Lancierung haben vermutlich fast alle die App installiert, die sie wollen.

    Die Userzahl allein sagt indes wenig über die Nutzung von Twint aus. Ein User, der die App einmal pro Monat nutzt, um den Kindern Taschengeld zu überweisen, ist anders zu bewerten als Kunden, die fast täglich an der Ladenkasse twinten. Daher ist die Zahl der Transaktionen respektive die Frage, wie oft getwintet wird, wichtiger, um den Erfolg der App beurteilen zu können.

    Das Unternehmen schreibt hierzu: «Insgesamt wurden im Jahr 2024 über 773 Millionen Transaktionen mit Twint getätigt.» Das sind 31 Prozent mehr als im Vorjahr.

    Zur Story