Der Aufstieg der chinesischen Online-Händler ist beachtlich: Mittlerweile hat jede(r) Zweite in der Schweiz schon bei Temu, Shein und Co. bestellt. Neu ist auch, dass Temu mittlerweile Digitec Galaxus als meistgenutzten Online-Händler abgelöst hat. Das fand kürzlich das Vergleichsportal Comparis heraus.
Dieser Umstand beunruhigt Online-Händler wie das zur Migros gehörende Digitec Galaxus – einst die unangefochtene Nummer Eins, wenn es um Online-Bestellungen in der Schweiz ging. Die Schweizer Händler fürchten, ihre Margen kürzen zu müssen und nicht gegen den Preisdruck bestehen zu können, den Temu und die anderen Online-Handel-Giganten zweifelsohne ausüben.
Schliesslich sind es tatsächlich primär die tieferen Preise, welche die Konsumierenden zum Kauf auf den chinesischen Plattformen bewegt:
Mit diesen teils extrem niedrigen Preisen ist es unmöglich, mitzuhalten. Eine Smartwatch für 10 Franken oder ein Blutdruckgerät für 15 Franken wird man bei Schweizer Onlinehändlern wohl nicht finden. Ihnen bleibt es stattdessen, mit besserer Qualität, Transparenz und Nachhaltigkeit zu punkten.
Doch offenbar genügt das nicht. Bei einer Strassen-Umfrage, die das watson-Team in Zürich zu diesem Thema durchführte, bestätigte sich, dass viele schon mindestens einmal bei einem chinesischen Online-Händler gekauft haben. Womit das nicht wenige – zwar nicht vor der Kamera, sehr wohl aber dahinter – rechtfertigten: Schweizer Händler wie Digitec Galaxus sind doch auch nicht wirklich viel nachhaltiger.
Stimmt das? Wir haben bei Public Eye nachgefragt. Die unabhängige Schweizer Organisation setzt sich mit journalistischen Recherchen für eine gerechte Globalisierung und die Einhaltung der Menschenrechte durch Unternehmen mit Sitz in der Schweiz ein.
Nehmen wir also zur Anschauung einmal die beiden beliebtesten Online-Händler: Temu und Digitec Galaxus. Ist die Schweizer Migros-Tochter wirklich so viel nachhaltiger? «Um einen Vergleich anstellen zu können, muss man zunächst verstehen, dass die beiden ein grundsätzlich anderes Geschäftsmodell betreiben», erklärt David Hachfeld.
Temu könne man sich als Plattform vorstellen, die dafür sorgt, dass eher informelle, chinesische Kleinstbetriebe, die ursprünglich nur für den inländischen Markt bestimmt waren, jetzt auf dem globalen Markt mitspielen können. Temu selber agiert zwar nur als Plattform – allerdings als eine, die den Preis mitbestimmt. Zwischen den Fertigungsbetrieben und Temu gibt es schliesslich noch die Zwischenhändler, welche die Aufträge an die Kleinstbetriebe erteilen.
Bei Digitec Galaxus gibt es hingegen zwei unterschiedliche Modelle. Da ist einerseits das klassische Händlermodell: Digitec kauft Waren bei Lieferanten ein und verkauft sie dann unter eigenem Namen weiter. «Ein klassisches Geschäftsmodell, das Sie in vielen Kaufhäusern und Läden finden», so Hachfeld. In diesem Fall werden die Anforderungen an Nachhaltigkeit oder gute Arbeitsbedingungen den Händlern überlassen. Da herrschen gemäss dem Experten eher schwache Anforderungen: «Mit ein paar Ausnahmen bei einzelnen Produkten gilt so gut wie nichts, ausser die geltenden gesetzlichen Bestimmungen.»
Das zweite Modell ist das sogenannte kontrollierte Marktplatzmodell: Digitec Galaxus kooperiert mit schätzungsweise 1000 externen Händlern, die die Migros-Tochter direkt als Plattform benutzen. Hier muss man dem Schweizer Online-Händler zugutehalten, dass bislang nur Betriebe aus Europa und der Schweiz zugelassen sind.
Kurz: Alleine die unterschiedlichen Geschäftsmodelle zwischen der chinesischen und der Schweizer Plattform führen dazu, dass die Dinge bei Digitec Galaxus deutlich formeller ablaufen. Hachfeld sagt: «In der Regel ist in den beiden Fällen ein anderer Typ von Hersteller involviert.» Also: unbekannter, chinesischer Kleinstbetrieb – oder «etablierter», bekannter Produzent mit gewissen Standards.
Wie steht es denn nun um die ökologische Nachhaltigkeit? Gemäss Public Eye kommen zum Beispiel im Bekleidungsbereich auch bei Digitec Galaxus etwa 70 Prozent aller Waren aus China. Kann ich da als Konsumentin nicht gleich beim viel billigeren Temu einkaufen?
David Hachfeld sagt, dass die Migros-Tochter bei der Auswahl der Händler tatsächlich kaum Grundanforderungen an Nachhaltigkeit stellt. «Es scheint keine Priorität zu sein, besonders nachhaltige Händler anzubinden.»
Aber: Die Händler, bei denen Digitec Galaxus einkauft oder die ihre Waren über die Plattform verkaufen, sind meist klassische Modehändler, die gewisse Mindeststandards erfüllen dürften. «Es sind also genau die gleichen Produkte, die man zum Beispiel auch in Zürich an der Bahnhofstrasse finden würde.»
Bei Temu sowie Shein, dem in der Schweiz zweitbeliebtesten chinesischen Online-Händler, müsse man sich aber zuallererst bewusst sein: «Die Waren werden alle mit dem Flugzeug geliefert. Das ist als Transportmittel etwa 40 Mal klimaschädlicher, als wenn die Ware mit dem Seecontainer käme.» Anders wären die kurzen Lieferfristen auch nicht möglich.
Public Eye schätzt, dass auf diese Weise in der Schweiz chinesische Waren von Temu und Shein im Umfang einer ganzen Frachtmaschine landen – pro Tag.
Bei Digitec Galaxus sei das sicher anders, doch auch dort gäbe es keine Garantie, dass nicht auch mal etwas geflogen werde.
Das Unternehmen selbst bekräftigt aber auf Anfrage: «Wir beziehen praktisch unser gesamtes Sortiment von Herstellern und Zwischenhändlern mit Lagern in der Schweiz oder der EU.» Und komme eine Lieferung direkt aus Asien, «dann eigentlich immer per Schiff oder Bahn. Und auf der letzten Meile per LKW.»
Auch bezüglich den bei der Produktion herrschenden Arbeitsbedingungen gibt es entscheidende Unterschiede: Bei Digitec Galaxus dürften auch die Produkte aus China überwiegend bei regulierten Betrieben hergestellt worden sein. Hachfeld sagt: «Das heisst zwar nicht, dass sie konform sind mit allen Arbeitsrechtsanforderungen. So sind auch dort die Löhne in der Regel nicht existenzsichernd.»
Aber: Es dürften trotzdem grosse Unterschiede herrschen zu den Herstellern, die am Ende Temu beliefern.
Im Rahmen einer Recherche berichtete Public Eye über die Zustände von Arbeiterinnen und Arbeitern, die bei einem Zulieferer für den Temu-Konkurrenten Shein arbeiteten. Demnach waren 75-Stunden-Wochen die Norm, es wurde in Tagesschichten von 10 bis 12 Stunden gearbeitet – bei einem freien Tag pro Monat.
Gemäss Hachfeld deutet einiges darauf hin, dass sowas auch bei Temu der Fall ist. So habe man herausgefunden, dass einige Kleinstbetriebe in China, die unter anderem für Temu produzieren, gleichzeitig auch für andere Online-Händler arbeiten.
Hier wird es noch etwas deutlicher: Was die Einhaltung von gesetzlichen Bestimmungen der Waren betrifft, ist Digitec Galaxus klar im Vorteil. Dass die Waren den europäischen Sicherheitsstandards, den Chemie-Standards, etc. entsprechen, ist die Regel. Ist das nicht so, müssen die Händler auch dafür geradestehen. Auch bei Retouren oder Gewährleistungen ist man beim Schweizer Händler auf der sicheren Seite.
Und Temu? «Temu behauptet zwar, gewisse Standards einzuhalten. Es gibt zum Beispiel auch vermehrt Rückrufe von Produkten, was eigentlich ein gutes Zeichen ist. Allerdings: Bei der Masse an zurückgerufenen Produkten zeigt sich schon: Die haben ihren Laden wohl nicht in Ordnung, was sichere und gesetzeskonforme Produkte betrifft.»
Stattdessen sehe man eine Art «trial and error»-Strategie: Produkte werden einfach mal vertrieben – und gibt es Beschwerden, so werden sie halt wieder aus dem Sortiment genommen.
Beide Unternehmen kommunizieren gemäss dem Experten «wirklich schlecht». Bei Digitec Galaxus wisse man zumindest, aus welchem Land die Güter kommen, aber meistens nicht, von welchen Betrieben. Dazu finde man, genau wie bei Temu, keine Informationen – entsprechend auch nichts zu den bei den Herstellern geltenden Arbeitsbedingungen.
Immerhin finden Konsumierende bei der Migros-Tochter Angaben dazu, wie viel CO₂ durch die Herstellung eines Produktes freigesetzt wurde. Zudem besteht die Möglichkeit, dieses zu kompensieren. Aber: «Es wird am Ende alles völlig den Konsumierenden überlassen», moniert David Hachfeld.
Digitec Galaxus widerspricht dem und verweist auf seine Nachhaltigkeitsstrategie, mit der man zum erklärten Netto-Null-Ziel bis 2050 kommen will. Ein Mediensprecher sagt gegenüber watson: «Wir informieren regelmässig und transparent zum Thema Nachhaltigkeit und was wir diesbezüglich alles unternehmen.» Dasselbe gelte bei Waren aus China, ein Thema, zu dem das Unternehmen «offen und transparent» kommuniziere, zum Beispiel anhand eines Berichts über den Besuch bei einem chinesischen Hersteller – oder dann anhand eines Artikels über die Gefahren von Temu-Bestellungen.
Public-Eye-Experte Hachfeld meint trotzdem: Das Unternehmen könnte sein Sortiment vorsortieren oder eine eigene Auswahl an Händlern treffen – und sich damit wirklich von anderen Plattformen abheben.
Für Konsumierende gilt trotzdem festzuhalten: Bei Temu zu bestellen, ist in puncto sozialer und ökologischer Nachhaltigkeit sicher keine gute Alternative.
Der Westen wird sich in seiner Dekadenz selbst umbringen.
Ja und wir werden Ihnen den Galgen sogar noch verkaufen.