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Temu, Shein und der Irrsinn der Planwirtschaft

Nur die Illusion einer grossen Auswahl? Die Kritik an chinesischen Online-Händlern wächst
Nur die Illusion einer grossen Auswahl? Die Kritik an chinesischen Online-Händlern wächst.Bild: Oliver Berg/ DPA

Temu, Shein und der Irrsinn der Planwirtschaft

Auf den chinesischen Plattformen treffen westliche Konsumenten auf Waren aus einer kommunistisch geprägten Wirtschaft.
10.11.2024, 15:23
Niklaus Vontobel / ch media
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Sie sind unglaublich tief, die Preise auf chinesischen Waren. Online-Plattformen wie Temu, Shein oder Alibaba bieten Sneaker für 5.93 Franken, Rave-Kleider für 6.99, Hausschuhe für 7.51 und Herbstmäntel für 21 Franken. Und das sind nur die Wahnsinnspreise für Konsumwaren. Spottbillig sind auch Solarpanels oder Elektroautos aus China. Warum sind diese Preise dermassen tief?

Es ist eine Folge der kommunistischen Planwirtschaft in China. Das geht aus einer Analyse hervor, welche die Forscherin Zongyuan Zoe Liu von der US-Denkfabrik «Council on Foreign Relations» für das Magazin «Foreign Affairs» geschrieben hat. Liu erklärt darin, warum Chinas System kurz vor dem Scheitern steht, aber nicht ersetzt wird – und warum es enorme Nebenwirkungen hat.

Peking stellt die Industrie über alles andere. Regierungschef Xi Jinping will produzieren, produzieren, produzieren. Ob die Waren, die dann aus den Fabriken strömen, auch konsumiert werden, interessiert dagegen weniger. Der Konsum ist für Peking eine Verschwendung von Ressourcen, eine «individualistische Ablenkung».

Die Regierung nimmt Geld von den privaten Haushalten, um es der Industrie zu geben – damit diese noch mehr Fabriken bauen kann. Diese Umverteilung bewerkstelligt Peking, indem es die Löhne künstlich nach unten drückt. Und es senkt die Zinsen, welche die Chinesinnen und Chinesen auf ihren Bankkonten erhalten, schafft so billiges Geld und schleust es in bevorzugte Industrien hinein. Am Ende rollt noch mehr Ware von den Fliessbändern.

Konsum hat der Industrie zu dienen

Und wenn es Konsum geben muss, hat dieser nach Pekings Willen der Industrie zu dienen. So hat es Peking in seinem Fünfjahresplan in einem einzigen Absatz festgehalten, inmitten detaillierter Ziele zu Patenten oder Wirtschaftswachstum. Der Konsum soll demnach jenen Waren zugeführt werden, welche Pekings industriellen Zielen entsprechen, also zum Beispiel Autos, Elektronik oder intelligenten Geräten.

Das geht laut Liu so weit, dass Chinas gesamter Detailhandel «überwiegend von den industriellen Zielen des Staates geprägt ist – nicht von individuellen Vorlieben der Menschen». Das gelte auch für Online-Plattformen von Shein, Alibaba und Pinduoduo, zu der Temu gehört: es gebe dort nur nur die Illusion einer grossen Auswahl. In Wirklichkeit würden sich diese Händler einen erbitterten Wettbewerb liefern, um die gleichen austauschbaren Standardprodukte zu verkaufen.

Temu: App Screen
Bei Temu gibt es nur nur die Illusion einer grossen Auswahl.Bild: IMAGO

All dieses Lenken und Steuern hat eine eindeutige Folge, welche das «Wall Street Journal» so beschreibt: «China stellt zu viel Zeug her.» Zu viel für sich selbst, manchmal gar für die ganze Welt.

China hat zu viel Glas und zu viel Kohle, zu viel Zement und zu viel Aluminium. Seine Fabriken können heute schon so viele Elektroautos produzieren, wie die Welt in einem Jahr nutzen kann, und zwei Mal so viele Solarpanels.

Das liegt unter anderem daran, dass die privaten Haushalte von Peking kurz gehalten werden – und darum das Geld gar nicht haben für alles, was da von Chinas Fliessbändern gerollt kommt. So wird zwangsläufig das Ausland zum Abladeplatz für die chinesische Überproduktion, wobei der Preis dann eine untergeordnete Rolle spielt. Hauptsache, man bekommt überhaupt noch Geld für all die Ware.

Wahnwitziger Wettbewerb zwischen Bürokraten

Die USA haben diese verquere Logik längst durchschaut, so auch Lael Brainard, die wirtschaftliche Chefberaterin der Regierung von Joe Biden. In einer Rede warnte sie, China verfolge eine Politik, die «auf unfaire Weise die Kosten für Kapital, Arbeit und Energie drückt». Damit werde es Chinas Unternehmen ermöglicht, «zu oder unter den Kosten» zu verkaufen. Anders gesagt: Peking drückt die privaten Einkommen nach unten – deshalb kann es die Welt mit billiger Ware fluten.

Chinas Überfluss entsteht also auf Befehl von oben, von Peking. Aber es gibt noch einen Grund für die Schwemme an Waren: kolossale Fehlanreize im kommunistischen Politapparat.

Peking übt enormen Druck auf die lokalen Chefs in Städten und Provinzen aus, so etwa mit Top-down-Industrieplänen oder Kampagnen wie «gemeinsamer Wohlstand». Wer die Ziele erreicht, steigt die Karriereleiter hoch; wer nicht, wird auf der gleichen Stufe stehengelassen oder hinuntergestossen. Also spuren die Chefs, lenken eifrig Spargelder und Subventionen in bevorzugte Industrien – egal, ob es dafür Käufer gibt, egal, ob andere Regionen das Gleiche machen.

So beginnen grandiose Wettläufe zwischen chinesischen Provinzen, von Westen bis Osten, von Norden bis Süden. Alle – oder fast alle – wollen noch schneller noch mehr Fabriken errichten, in den gleichen von Peking bevorzugten Industrien.

China produziert doppelt so viele Photovoltaik-Panels wie nötig

So war das in der Photovoltaik. Peking erklärte sie 2010 zur Priorität: 31 von 34 Provinzen zogen nach, die Hälfte der Städte investierte, und bald gab es einen Überfluss an Solarpanels. Das Abladen im Ausland begann. 2013 wehrten sich die USA, erhoben Zölle und das half – jedoch nur vorübergehend.

2023 merkten die USA, dass Chinas Hersteller zollfrei in ihren Markt gelangten, indem sie einen Umweg über Thailand oder Vietnam machten. Derzeit kann China doppelt so viele Panels herstellen, wie die Welt braucht. Dennoch wird es 2025 seine Kapazität nochmals um 50 Prozent gesteigert haben.

Im Westen kommt es zunehmend zu Gegenreaktionen. Die Europäische Kommission etwa untersucht, ob der Online-Händler Temu genug gegen Waren tut, die den europäischen Regeln widersprechen. Der neue US-Präsident Donald Trump hat Zölle von 60 Prozent auf chinesische Waren angedroht.

Doch Peking wird sein System nicht so schnell aufgeben, unter anderem, weil es die privaten Unternehmen gefügig macht. Viele von ihnen müssen ihre Waren dermassen billig verkaufen, dass sie finanziell äussert wacklig auf den Füssen stehen. Ohne Pekings günstige Kredite fallen sie um – es sind Kredite, welche Peking jederzeit kappen kann. (aargauerzeitung.ch)

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22 Kommentare
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Tejas_
10.11.2024 17:34registriert Juli 2022
Irrwitzigerweise importieren die Grossverteiler ja auch. Da wird ein Stuhl aus Holz gekauft, dreht in um: Made in China. Neue Pfanne: Made in China. Waschmaschine: Made in China.
Egal was, diese Made frisst sich seit Jahren durch unsere Produkte die zu Hause rumstehen und wir benutzen. Durch Temu, Wish, Ali und wie sie alle heissen werden wir nun geflutet! Dies ohne den einheimischen, vermeintlichen "Zwischhändler" und dadurch für manche zu verlockenden Dumping-Schleuderpreisen.
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Viva Svizzera
10.11.2024 17:22registriert März 2023
Was für ein krankes System.

China verschwendet wertvolle Ressourcen, in einer Welt, die eigentlich haushälterisch damit umgehen sollte. Einfach produzieren damit produziert ist. Hält sich so Peking Aufstände vom Leib, weil Menschen die arbeiten keine Zeit zum Demonstrieren haben?

Wir Konsumenten sollten Shein, Temu und so weiter boykottieren. Wird aber nicht gemacht, weil Geiz ist geil. Viele der Kleider sind aus Polyester und haben keine oder sehr geringen Anteil an Naturfasern wie Wolle oder Baumwolle. Schrott vom Feinsten. Ich kaufe heute 90% meiner Kleidung second hand.

Verrückte Welt!
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