In den letzten Monaten schienen an den Aktienbörsen die normalen Regeln ausser Kraft gesetzt zu sein. Obwohl die Coronakrise die Weltwirtschaft in die schwerste Krise seit der Grossen Depression der Dreissigerjahre gestürzt hatte, boomten nach einem Mini-Crash im März die Aktienmärkte wie einst im Mai.
Zunächst wurden sogenannte Day-Trader für diesen Boom verantwortlich gemacht, kleine Spekulanten, die von zuhause aus mit ihrem Laptop ihr Glück an der Börse versuchen. Tatsächlich meldeten die zuständigen Online-Brokerhäuser einen sprunghaften Anstieg der Konten – auch in der Schweiz.
Und tatsächlich kam es zu unerklärlichen Vorfällen, die typisch sind, wenn Laien zocken. So vermeldeten etwa die Aktien des Autovermieters Hertz einen Kurssprung, obwohl das Unternehmen die Bilanz deponiert hatte.
Die Börsen-Profis haben diesem Treiben eher misstrauisch zugeschaut. Doch offenbar hat zumindest einer von ihnen auch die Hände im Spiel. Die «Financial Times» hat nun enthüllt, dass der japanische Medien- und Telekommunikationskonzern SoftBank den Boom der Tech-Aktien im grossen Stil beeinflusst hat.
Der starke Mann hinter SoftBank heisst Masayoshi Son, ein Milliardär mit einem Hang zur Exzentrik. Wie der Amerikaner Ray Kurzweil glaubt auch Son, dass die künstliche Intelligenz das künftige Schicksal der Menschheit bestimmen wird.
Son war einer der ersten Investoren bei Alibaba und soll allein damit rund 60 Milliarden Dollar verdient haben. Ebenso hat er mit Vodafone in Japan sehr viel Geld verdient. Zusammen mit anderen potenten Investoren – hauptsächlich aus der Golfregion – hat er auch den Vision-Fund gegründet, ein Fonds, der sich auf Beteiligungen im Tech-Bereich spezialisiert.
In jüngster Zeit musste SoftBank jedoch mehrere Rückschläge verkraften. Das Investment bei Uber hat sich bisher nicht ausbezahlt. Die Beteiligung bei WeWork, einer Art Uber für Büroräume, geriet zum eigentlichen Desaster, ebenso die Beteiligung an Wirecard, dem inzwischen Pleite gegangenen deutschen Finanzunternehmen.
Offenbar haben diese Rückschläge Son dazu bewogen, in die Offensive zu gehen, und zwar im grossen Stil. Gemäss «Financial Times» soll Softbank in den letzten Monaten Call-Optionen für Tech-Unternehmen in der Höhe von rund 30 Milliarden Dollar erworben haben.
Damit wurde Son zu einem «Walfisch», wie es im Börsenjargon heisst, einem Investor, der mit einer riesigen Wette den gesamten Markt beeinflusst.
Wie geht das? Optionen sind ursprünglich als Versicherungen gemacht worden. Getreide- und Weinbauern beispielsweise können sich damit gegen Missernten absichern. Mit Optionen kann man jedoch auch riskant spekulieren. Sie funktionieren als Hebel, mit dem man die Wirkung seiner Investitionen massiv erhöhen kann.
Gemäss «Financial Times» hat Son genau dies getan, und zwar in einer relativ einfachen Variante: SoftBank hat sogenannte Call-Optionen auf Tech-Unternehmen gekauft. Will heissen: Die Bank hat sich das Recht gesichert, Aktien von Apple, Tesla, etc. zu einem bestimmten Preis in Zukunft zu kaufen.
Diese massive Wette von SoftBank hat die Kurse der Tech-Aktien förmlich explodieren lassen. Die eh schon hoch bewerteten Papiere von Apple und Tesla haben sich nochmals mehr als verdoppelt. Der Kurs des Börsenneulings Zoom ging durch die Decke.
Sons Rechnung scheint aufgegangen zu sein. Gemäss «Financial Times» hat SoftBank in den letzten Wochen einen – allerdings nicht realisierten Gewinn – von rund vier Milliarden Dollar eingefahren.
Doch seit SoftBank als «Walfisch» enttarnt ist, wendet sich das Blatt. Am Donnerstag kam es an der Tech-Börse Nasdaq zu einem Mini-Crash. An einem Tag wurde ein Wert von rund 850 Milliarden Dollar vernichtet. Die Apple-Papiere stürzten 10 Prozent, die Tesla-Papiere gar 16 Prozent ab. Am Freitag ging die Talfahrt – wenn auch stark gebremst – weiter.
Das bekommt nun auch SoftBank zu spüren. Heute hat die Aktie an der Börse von Tokio 8 Prozent eingebüsst. Die Investoren haben realisiert, dass Son mit seiner Wette auf die Tech-Aktie ein gigantisches Risiko eingegangen ist. Sollten die Kurse am Nasdaq weiter fallen, werden sich seine Vier-Milliarden-Gewinne sehr bald in weit höhere reale Verluste verwandeln. Son hat darin Erfahrung. Beim Dotcom-Crash zu Beginn dieses Jahrhunderts soll er 70 Milliarden Dollar verloren haben.
Mit Verlusten müssen auch die normalen Investoren rechnen. Die Stimmung an den Börsen ist derzeit angespannt. Der unsichere Ausgang der US-Wahlen sorgt für Nervosität. Auch die Investoren haben realisiert, dass ein nicht eindeutiger Ausgang dieser Wahlen für ein Chaos sorgen könnte. Der Vix-Index, mit dem die Volatilität gemessen wird – dieser Index wird auch «Angst-Barometer» genannt –, verzeichnet deshalb grosse Ausschläge.