Normalerweise ist «Ben & Jerry's» bekannt für Produkte wie «Peanut Butter & Cookies» oder «Salted Caramel Brownie». Doch in den vergangenen Tagen machte der amerikanische Eiscreme-Hersteller weniger mit ausgefallenen Geschmacksrichtungen auf sich aufmerksam, sondern mit einem politischen Entscheid. Die Tochterfirma des britischen Konsumgüterriesen Unilever gab jüngst bekannt, künftig auf den Verkauf seiner bekannten Glace-Becher in israelischen Siedlungen in besetzten Gebieten zu verzichten.
Diese Siedlungen im Westjordanland und in Ost-Jerusalem sind gemäss internationalem Gesetz illegal. Für den kontinuierlichen Ausbau dieser Siedlungen wird Israel regelmässig von der internationalen Staatengemeinschaft kritisiert.
Doch noch nie hat eine derart bekannte Konsummarke das Gebiet boykottiert. «Ben & Jerry's», die 1978 in Vermont von den beiden amerikanischen Hippies Ben Cohen und Jerry Greenfield gegründet wurde, reagierte damit auf die weltweiten Proteste gegen Israel im Zuge der letzten Kämpfe zwischen dem Land und der militanten Palästinenserorganisation Hamas im Frühling.
Die Reaktion von Israel liess denn auch nicht lange auf sich warten. Aussenminister Yair Lapid bezeichnete den Entscheid gegenüber Al Jazeera als beschämende Kapitulation gegenüber dem Antisemitismus, der BDS und alles Schlechtem im anti-israelischen und anti-jüdischem Diskurs. «Boycott, Divestment and Sanctions» – oder kurz: BDS – ist eine politische Bewegung, die für Boykott, Desinvestition und Sanktionen steht. Ihr Ziel ist es, Israel wirtschaftlich, kulturell und politisch zu isolieren, um die israelische Besatzung zu beenden.
Doch bei dieser Kritik belässt es Israel nicht. Wie das US-Nachrichtenportal Axios kürzlich berichtete, hat die Regierung eine spezielle Task Force aufgebaut, die Druck auf die «Ben & Jerry's»-Inhaberfirma Unilever ausüben soll, damit diese ihren Entscheid rückgängig macht. Alle diplomatischen Aussenposten in Nordamerika und Europa wurden über dieses Vorhaben instruiert.
Im Regierungs-Memo, von dem Axios Kenntnis hat, steht demnach, dass man die Entscheidung Unilevers ändern möchte. «Wir möchten mit Konsumenten, Politiker, der Presse und den sozialen Medien einen langfristigen Druck auf Unilever und ‹Ben & Jerry's› schaffen, um einen Dialog mit den Firmen herbeizuführen.» Diese Offensive hat nun auch die Schweiz erreicht. Die israelische Botschaft in Bern hat die CH-Media-Redaktion angeschrieben und auf den Eiscreme-Konflikt hingewiesen (siehe Ausriss).
In der Nachricht geisselt die Botschaft den Boykott-Entscheid. Dass es in den besetzten Gebieten bald keine «Cookie Dough Peace Pops» und «Poppin' Popcorn»-Glaces mehr geben soll, ermutige extremistische Gruppierungen wie die BDS, die auf schikanierende Massnahmen setzten. Man rufe deshalb jede aufrichtige Person auf, darüber zu sprechen und sich «auf jegliche, legitime Art und Weise» dagegen zu wehren. Klar ist, dass Israel so verhindern möchte, dass das Beispiel Schule macht und weitere Firmen den Verkauf ihrer Produkte in den illegalen Siedlungen verbieten.
Wie ernst Israel das «Glacegate» nimmt, zeigt zudem die Themen-Reihenfolge im Presse-E-Mail. Der «Ben & Jerry's»-Konflikt wird an erster Stelle erwähnt. Erst später folgen Ausführungen zu Schiffsattacken im Golf von Oman, ein Erfolg in den diplomatischen Beziehungen zu Marokko und der Ankündigung der neuen Botschafterin Ifat Reshef in Bern.
Auf die Frage von CH Media, ob das gleiche Mail auch an andere Schweizer Medienhäuser und an Schweizer Politikerinnen und Politiker ging, antwortet die israelische Botschaft in Bern nicht. Auch nicht auf die Frage, ob Schweizer Firmen kontaktiert wurden, die ebenfalls Produkte in den israelischen Siedlungen verkaufen. «Leider steht es uns nicht frei, diese Informationen zu teilen», sagt eine Sprecherin.
Es ist nicht das erste Mal, dass sich «Ben & Jerry's» politisch aus der Deckung wagt und mit progressiver Haltung riskiert, anders denkende Kundinnen und Kunden zu verlieren. 2018 bezog der Eiscreme-Hersteller Stellung gegenüber US-Präsident Donald Trump und benannte eine Geschmacksrichtung in «Pecan Resist» um. Zudem spendete die Firma 100'000 Dollar an Politgruppen, die sich gegen Unterdrückung, schädliche Umweltpolitik und Ungerechtigkeiten einsetzen.
Die beiden Gründer Ben Cohen und Jerry Greenfield verkauften die Firma im Jahr 2000 für 325 Millionen Dollar an Unilever. Dabei sicherten sie sich vertraglich eine Gewinnbeteiligung, um ihre wohltätigen Stiftungen weiter finanzieren zu können. Zuletzt machten sie auf sich aufmerksam, als sie im vergangenen Jahr nach der Teilnahme an einer Protestaktion vor dem US-Kapitol verhaftet wurden. Sie hatten gegen den Einfluss des Geldes auf die US-Politik demonstriert.