«Was gut für GM ist, ist gut für Amerika», erklärte in den Fünfzigerjahren Charles Wilson, der damalige Präsident von General Motors. Und er hatte recht: GM war nicht nur der grösste Arbeitgeber des Landes. Unzählige Jobs bei Zulieferern und Dienstleistern waren ebenfalls abhängig vom Schicksal der drei Autohersteller in Detroit.
Heute mag die Autoindustrie viel von ihrem Sexappeal verloren haben. Chips und künstliche Intelligenz mögen die ökonomische Zukunft der Nationen bestimmen. Doch in der Gegenwart ist die Autoindustrie immer noch extrem wichtig und bildet nach wie vor das Herz von Volkswirtschaften der meisten Industrienationen.
Die Autoindustrie durchlebt derzeit jedoch einen Paradigmenwechsel, bekanntlich ein schmerzhafter Prozess. Sie muss das Auto quasi neu erfinden, denn wenn spätestens ab Mitte dieses Jahrhunderts kein CO₂ mehr in die Atmosphäre geblasen werden soll, dann müssen die Verbrennermotoren von der Bildfläche verschwinden. Alle führenden Autohersteller versichern denn auch immer wieder, ab 2030, oder spätestens ab 2035, keine Verbrenner-Autos mehr unter die Leute bringen zu wollen.
Sie tun sich schwer damit, vor allem, weil in kurzer Zeit ein mächtiger Wettbewerber aufgetaucht ist: China. Das Land der Mitte war bis vor kurzem noch ein lukrativer Markt für VW, GM & Co. Jetzt entwickelt es sich zum härtesten Rivalen der Platzhirsche. Die Chinesen bauen Elektroautos billiger und nicht selten auch besser als ihre westlichen Konkurrenten, und es ist das erklärte Ziel der chinesischen Führung, diesen Markt langfristig zu beherrschen.
Diesem Ziel sind die Chinesen schon einen guten Schritt näher gekommen. So hat BYD zeitweise Tesla als führenden Hersteller von Elektroautos abgelöst. BYD ist kein Einzelfall. Es gibt dutzende von chinesischen Elektroauto-Herstellern. Sie alle werden vom Staat grosszügig subventioniert. Die Gefahr, dass der Westen schon bald mit billigen chinesischen Elektroautos geflutet wird, ist real.
Jetzt beginnt der Westen jedoch, sich gegen diese Flut zur Wehr zu setzen. Vor rund einem Monat hat die amerikanische Regierung beschlossen, chinesische Elektroautos mit einem Strafzoll von 100 Prozent zu belegen. Die EU hat soeben nachgezogen und will die Importe von BYD & Co. ebenfalls mit Strafzöllen in der Höhe von bis zu 50 Prozent belegen.
Wie erwähnt, bei der Autoindustrie handelt es sich nicht um den Coiffeur um die Ecke. Werden hier Strafzölle eingeführt, dann ist die Gefahr eines globalen Handelskrieges nicht mehr von der Hand zu weisen. Namhafte Ökonomen warnen daher vor Zuständen, wie sie in den Dreissigerjahren des letzten Jahrhunderts geherrscht haben.
1930 trat in den USA das Smoot-Hawley-Gesetz in Kraft. Dieses Gesetz führte Strafzölle für Importe ein, in der Absicht, die eigene Wirtschaft vor der ausländischen Konkurrenz zu schützen. Die anderen Industrienationen zogen nach. Gleichzeitig begannen alle, ihre Währung zu ihren Gunsten zu manipulieren. Bald legte diese sogenannte «beggar thy neighbor»-Politik den internationalen Handel lahm – und stürzte die Weltwirtschaft in die schlimmste Krise ihrer Existenz.
Politisch sind Strafzölle trotzdem erfolgreich geblieben. Populisten lieben sie, denn sie richten sich vermeintlich gegen die bösen Anderen. Nicht zufällig will Donald Trump – sollte er die Wahlen gewinnen – als eine seiner ersten Amtshandlungen einen generellen Strafzoll in der Höhe von zehn Prozent auf alle Importe verhängen.
Ökonomisch sind Strafzölle jedoch des Teufels. Weshalb erklärt Martin Wolf, Chefökonom der «Financial Times», wie folgt: Strafzölle vermindern die Importe. Das wiederum macht die eigene Währung stärker, und das wiederum schadet der eigenen Exportindustrie. Langfristig führen Strafzölle somit dazu, dass alle verlieren. «Das ist keine graue Theorie», so Wolf. «(…) Ich habe für die Weltbank in den Siebzigerjahren in Indien gearbeitet. Die protektionistische Handelspolitik hat dieses Land nicht etwa selbständig gemacht. Sie hat die Exporte zerstört und das Land verwundbar gemacht.»
Zwischenbemerkung: Als Exportnation ist die Schweiz auf Gedeih und Verderb auf freie Märkte angewiesen. Handelskriege sind Gift für unsere Wirtschaft. So stellen die Ökonomen der UBS in einer soeben veröffentlichten Studie fest: «Nur gerade Irland, Belgien, Tschechien und Ungarn sind in Europa gemäss unserer Analyse insgesamt noch empfindlicher gegenüber geopolitischen Schocks.»
Angesichts der drohenden Handelskriege erinnern sich die Ökonomen wieder an die Erfolge einer Welt mit tiefen Handelsbarrieren. Drei von ihnen – Dev Patel, Justin Sandefur und Arvind Subramanian – haben in «Foreign Affairs» gar ein «Requiem auf die Hyperglobalisierung» verfasst.
Die viel geschmähte Hyperglobalisierung habe zwar die Einkommensunterschiede in den Industrienationen vergrössert. Sie sei jedoch auch «der bedeutendste Möglichmacher der Konvergenz gewesen, die sich zwischen den reichen und den armen Ländern zwischen 1990 und 2020 abgespielt» habe.
In diesem Zeitraum hätten dank der Globalisierung gerade die Schwellenländer wirtschaftspolitisch auf «stupid shit» – wie sich Barack Obama einst ausdrückte – verzichtet und sich den Regeln des Welthandels unterworfen, so die drei Ökonomen. Das Resultat sei ein massiver Rückgang der Armut und steigende Löhne in diesen Ländern gewesen. Deshalb sei eine Rückkehr zum Protektionismus gerade für die armen Nationen keine wirklich gute Idee.
Die Deglobalisierungs-Sorgen könnten jedoch übertrieben sein. Ebenfalls in «Foreign Affairs» stellt Brad Setser in einem Essay mit dem Titel «The Dangerous Myth of Deglobalization» fest, dass es sich dabei bis dato vor allem um eine Worthülse handle. «Es gibt ein Problem mit der Annahme einer Deglobalisierung», so Setser, «es gibt keine Daten, die diese These bestätigen.»
Mehr noch: «Betrachtet man die ökonomischen Daten genauer, dann stellt sich heraus, dass – obwohl viele Regierungen Massnahmen ergreifen, um die eigene Wirtschaft resilienter zu machen – sich die Weltwirtschaft nicht schwächer, sondern stärker ausweitet, und dass sie noch abhängiger von China geworden ist.»
Setser untermauert seine These mit zwei Beispielen. Obwohl die USA wegen Trump den asiatischen Freihandelsvertrag TPP nicht unterzeichneten, haben die Importe aus diesem Raum massiv zugenommen. Auch die Strafzölle gegen China waren ein Schlag ins Wasser. «Seit der Einführung der Trump-Zölle ist Chinas Wirtschaft noch zentraler für den Welthandel geworden», so Setser.
Das gilt auch für die Exporte in die USA, die zwar nicht mehr direkt erfolgen, sondern indirekt via Länder wie Vietnam, Malaysia oder Mexiko. «Chinas Handelsüberschuss mit Gütern hat sich dramatisch verbessert», so Setser. «Es ist von sechs Prozent des Bruttoinlandprodukts im Jahr 2018 auf erstaunliche zehn Prozent im Jahr 2023 angestiegen.»
Allerdings: Bis dato sind die Importe von chinesischen Elektroautos in die westlichen Länder noch unbedeutend. Doch wie erwähnt, ist die Autoindustrie politisch ein sehr heisses Eisen. Sollten die Chinesen mit ihrer Elektroauto-Offensive Erfolg haben, dann könnte der Mythos Deglobalisierung bald Realität werden.
weil Waren dank Milliardensubventionen der Transportmittel unproduktiv auf der ganzen Erde hin- und hergeschoben werden;
weil in vielen Ländern sklavenartige Arbeitsverhältnisse herrschen;
weil endliche Rohstoffe ausgebeutet werden;
weil die Menschheit Abfallberge zu Lande und im Meer anhäuft – mit grossen Kostenfolgen für nachfolgende Generationen;
weil so viel CO2 und Methan ausgestossen wird, dass die Temperaturen schneller ansteigen, als es die Natur vorsieht.