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Bio-Futtermittel: «Ohne die Ukraine fällt die Bio-Produktion zusammen»

Ein ukrainischer Bauer schleppt eine russische Panzerhaubitze ab.
Ein ukrainischer Bauer schleppt eine russische Panzerhaubitze ab.
Interview

«Ohne Bio-Futtermittel aus der Ukraine fällt die ganze Bio-Tierproduktion zusammen»

Putins schrecklicher Krieg hat der Welt klargemacht, wie wichtig die Ukraine für die Ernährung der Menschen weltweit ist. Wie aber geht es den Bio-Bäuerinnen und Bio-Bauern? Tobias Eisenring und Toralf Richter von Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FiBL) wissen Bescheid.
09.10.2022, 13:2411.10.2022, 14:26
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Irgendwie ist es frivol, sich in der aktuellen Situation nach der Bio-Landwirtschaft in der Ukraine zu erkundigen. Die Menschen haben sicher andere Probleme, oder nicht?
Tobias Eisenring: Wir am Forschungsinstitut für biologischen Landbau FiBL sind schockiert und entsetzt über den Krieg in der Ukraine sowie über das Leid, dass dieser mit sich bringt und hoffen, dass der Krieg bald zu Ende ist. Nun zu Ihrer Frage zur Bio-Landwirtschaft: Die Landwirtschaft ist ein bedeutender Teil der Wirtschaft der Ukraine, und die Bio-Landwirtschaft nimmt dabei eine wichtige Rolle ein. Sie stellt den Premium-Bereich dar, deshalb sind auch viele Bäuerinnen und Bauern in den letzten Jahren auf diesen Zug aufgesprungen.
Toralf Richter: Zirka ein Prozent der gesamten landwirtschaftlichen Nutzfläche, welche rund 40 Millionen Hektar umfasst, wird gemäss Biorichtlinien bebaut. Trotzdem ist dieser Bereich sehr bedeutsam, denn er stellt die Speerspitze der an Qualität orientierten Produktion dar. Die ukrainische Regierung spricht deshalb immer davon, welch grosse strategische Bedeutung die Bio-Landwirtschaft für die Ukraine hat.

Tobias Eisenring und Toralf Richter vom FiBL
Die beiden Ukraine-Spezialisten beim FiBL: Tobias Eisenring (links) und Toralf Richter.

Die Menschen in der Ukraine sind mehrheitlich noch arm und können sich die teuren Bio-Produkte gar nicht leisten.
Richter: Wir stellen fest, dass der lokale Markt vor allem in den mittelgrossen und grossen Städten stetig wächst. Im letzten Jahr wurde der Umsatz mit Bio-Produkten auf dem lokalen Markt auf rund 33 Millionen Schweizer Franken geschätzt. Leider kam es nun aufgrund des Kriegs zu einem kompletten Zusammenbruch. Die Ukraine ist jedoch vor allem der grösste Exporteur von Bio-Futtermitteln. Würden diese Futtermittel wegfallen, dann würde die gesamte Bio-Tierproduktion in Westeuropa zusammenbrechen. In der Sprache der Ökonomie kann man sagen, die Ukraine hat eine systemrelevante Funktion für die westeuropäische Bio-Landwirtschaft.

Ein Nebeneffekt des scheusslichen Krieges gegen die Ukraine ist die Tatsache, dass uns bewusst geworden ist, wie wichtig dieses Land weltweit für die Ernährung ist. Ist das auch eine Chance für die Bio-Landwirtschaft?
Richter: Ja, es ist eine grosse Chance für die Bio-Landwirtschaft. Die Ukraine ist ein wichtiger Lieferant von Bioware, nicht nur für die EU und die Schweiz, sondern auch für die USA. So machen die fruchtbaren Schwarzerdeböden und die bis vor Ausbruch des Krieges gute logistische Anbindung via Schienen, Strassen und Häfen, die Ukraine zu einem interessanten Handelspartner. Die Ukraine gehört im Bereich Biosoja, Biomais und Bioweizen zu den wichtigsten Lieferanten weltweit.

«Die Bio-Landwirtschaft konnte sich besser über Wasser halten als die konventionelle.»

Sind also die rund 400’000 Hektaren, die für Bio-Landwirtschaft vor dem Krieg genutzt wurden, immer noch intakt?
Eisenring: Rund 30 Prozent der Bio-Landwirte sind besonders stark vom Krieg betroffen. Das gilt vor allem für das Gebiet im Süden Chersons, wo es viele Biobetriebe gibt. Dieses Gebiet ist bekanntlich sehr umkämpft, deshalb dürften dort die wirtschaftlichen Einbussen überdurchschnittlich hoch sein.
Richter: Die Bio-Landwirte in den durch russisches Militär besetzten Gebieten haben ihre Produktion zwar nicht eingestellt, sie können ihre Produkte jedoch nicht mehr selbst vermarkten. Die russischen Truppen haben alles beschlagnahmt, und was sie damit machen, weiss niemand.

Und was ist mit den Bauern und Bäuerinnen in den nicht besetzten Gebieten?
Richter: Grundsätzlich sind die meisten Betriebe noch da, vor allem die grösseren, die auch genügend Reserven haben, um ein schwieriges Jahr überstehen zu können. Kleinere und mittlere Betriebe, beispielsweise Beeren-Produzenten, die leiden unter den teureren Preisen für Diesel und für andere Produkte sowie unter anderen wirtschaftlichen Folgen des Krieges. Diese Betriebe sind auf finanzielle Hilfe aus dem Ausland angewiesen. Das FiBL ist seit 2005 in der Ukraine tätig und unterstützt genau diese KMU mit Fachwissen. Ausserdem setzt sich das FiBL für diese Betriebe ein, um ihren Marktzugang zum internationalen Markt zu verbessern (siehe Box). Das schweizerisch-ukrainische Projekt QFTP hat zum Ziel, die Wettbewerbsfähigkeit kleinerer und mittlerer Unternehmen der Ukraine zu steigern und ihnen einen internationalen Marktzugang zu verschaffen. Das Projekt wird durch das Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) finanziert sowie vom FiBL und SAFOSO umgesetzt.

Das schweizerisch-ukrainische Projekt QFTP hat zum Ziel, die Wettbewerbsfähigkeit kleinerer und mittlerer Unternehmen der Ukraine zu steigern und ihnen einen internationalen Marktzugang zu verschaffen. Das Projekt wird durch das Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) finanziert sowie vom FiBL und SAFOSO umgesetzt. Weitere Informationen unter: www.qftp.org

Der Export per Schiff und Lastwagen ist wieder angelaufen. Reicht das?
Richter: So wie es aussieht, haben die meisten Bio-Betriebe ihre letztjährige Ernte verkaufen können.

Wie haben die es geschafft?
Richter: Die Waren wurden vor allem mit Lastwagen und per Schiff über Binnenhäfen exportiert. Der Haken dabei ist: Die Transportkosten haben sich durch den Krieg verdreifacht. Jedoch haben die Importeure aus Solidarität den ukrainischen Bio-Betrieben garantiert, dass sie diese Differenz der Transportkosten übernehmen. Daher haben die ukrainischen Bio-Landwirte die gleichen Preise erhalten wie in den letzten Jahren.

A driver uses a tarp to cover the back of his truck loaded with seeds during sunflower harvesting on a field in Donetsk region, eastern Ukraine, Friday, Sept. 9, 2022. Agriculture is a critical part o ...
Trotz Krieg: Ein Bauer erntet Sonnenblumenkerne im Donbass.Bild: keystone

Das heisst: Es hat sich für diese Bauern und Bäuerinnen gelohnt, auf Bio zu setzen?
Eisenring: Die sich nach Westeuropa orientierten Bio-Landwirte konnten sich besser über Wasser halten als die konventionellen Landwirte, die auf Massenexporte setzen und über den Seeweg nach Übersee wie z.B. in die USA oder nach Kanada exportieren.
Richter: Es trifft tatsächlich zu, dass die Bio-Bauern und Biobäuerinnen weniger hart getroffen wurden als die konventionellen Landwirte. So haben besonders die Bio-Landwirte innereuropäische Solidarität erfahren. Denn es gab viele Unternehmen sowie Verbände im Bio-Bereich, die gesagt haben: Wir wollen Euch unterstützen.

Ist das eine Vermutung oder haben Sie dazu Fakten?
Richter: Unsere Recherchen haben ergeben, dass ab Mai 2022 signifikant mehr exportiert wurde als in denselben Monaten im Vorjahr. Das zeigt, dass sich der ukrainische Biosektor nach rund zwei Monaten auf die neue Situation eingestellt und neue Lösungen für den Export gefunden hat. Das ist ein bemerkenswertes Resultat angesichts des herrschenden Krieges.

Wie wichtig ist eigentlich die Schweiz für die ukrainischen Bio-Bauern?
Richter: Obwohl sie klein ist, liegt die Schweiz auf Platz drei der ukrainischen Bio-Exportstatistik. Wir führen vor allem Bio-Ware wie Eiweiss- und Ölpflanzen sowie Beeren aus der Ukraine ein.

«Die ukrainischen Bio-Bauern sind geeinter als je zuvor.»

Gerade in der Bio-Landwirtschaft muss vieles noch von Hand erledigt werden. Viele Männer sind in die Armee eingezogen worden, viele Frauen ins Ausland geflohen. Gibt es überhaupt noch genügend Arbeitskräfte auf den Betrieben?
Richter: Ich weiss tatsächlich von einem Milchbetrieb nördlich von Kiew, der nach Kriegsausbruch Mühe hatte, genügend Melkerinnen und Melker zu finden. Es fehlen zudem die Frauen, die geflohen sind. Da sie in der Regel in der Administration oder im Marketing tätig sind, konnten sie jedoch ihre Arbeit teilweise aus dem Exil erledigen. Corona hat auch in der Ukraine die Arbeitsweise stark verändert und flexiblere Modelle sind entstanden.
Eisenring: Es kommt hinzu, dass vor allem die Verarbeitung für den Binnenmarkt sehr arbeitsintensiv ist. Das hat das FiBL 2018 in einer Studie bestätigt. Dieser lokale Markt ist praktisch komplett zusammengebrochen. Deshalb ist der Arbeitskräfte-Mangel bisher ein untergeordnetes Problem geblieben. An dieser Stelle ist es wichtig zu erwähnen, dass durch den Krieg bis zu 30 Prozent Ukrainer ihre Arbeitsstelle verloren haben.

Das Erfolgsgeheimnis der ukrainischen Armee ist ihre Flexibilität. Die Soldaten können sich offenbar sehr rasch an veränderte Bedingungen anpassen. Gilt dies auch für die Bio-Landwirte?
Richter: Auf jeden Fall. Sie haben innerhalb von zwei Monaten neue Lösungen gefunden. Auch der Staat hat mitgezogen und sich engagiert. Die interdisziplinären Bio-Arbeitsgruppen mit staatlichen und privaten Akteuren funktionieren und tauschen sich regelmässig aus.
Eisenring: Sie haben nicht nur unglaublich rasch reagiert, sie haben, und das ist erstaunlich, sogar neue Bio-Produkte auf den Markt gebracht. Sie haben innert Monaten Projekte auf die Beine gestellt, für die andere Jahre brauchen – auch ohne gravierende Hemmnisse durch einen Krieg. Auch in der Landwirtschaft gibt es einen Jetzt-erst-recht-Reflex. Die ukrainischen Bio-Bauern sind geeinter als je zuvor.

Eine Bio-Milchzentrale in der Nähe von Kiew.
Eine Bio-Milchzentrale in der Nähe von Kiew.bild: watson

Was die Korruption betrifft, hatte die Ukraine bisher nicht den besten Ruf – milde ausgedrückt. Hat sich diesbezüglich etwas geändert?
Richter: Wir haben schon vor dem Krieg gesehen, dass die alten Strukturen, die teilweise noch während der Sowjetunion aufgebaut wurden, anfällig für Korruption sind. Seit der Maidan-Revolution 2014 konnte man beobachten, dass eine neue Generation ans Ruder kam, eine Generation, die eher westlich orientiert ist und sich wünscht, dass die Ukraine nicht mehr mit Korruption in Verbindung gebracht wird.

Und was ist mit den viel zitierten Oligarchen?
Eisenring: Im Bio-Bereich spielen sie keine grosse Rolle, weil die Betriebe tendenziell kleiner sind als in der konventionellen Landwirtschaft. Alle Biobetriebe werden durch eine unabhängige Zertifizierungsstelle kontrolliert. Das trägt zu mehr Glaubwürdigkeit und Transparenz auf dem lokalen und internationalen Markt bei.

Es gibt die berühmten Bilder von Bauern, die mit ihren Traktoren russische Panzer abschleppen. Sind auch die Landwirte die Helden dieses Krieges?
Richter: Vor allem innerhalb der Ukraine sind die Landwirte sehr engagiert und haben sich für ihr Land aktiv eingesetzt. So hat kürzlich ein Bio-Bauer Milch an Kinder verschenkt, weil er sie nicht mehr verarbeiten konnte. Ein anderer hat seinen Hof für paramilitärische Übungen zur Verfügung gestellt.
Eisenring: Gerade die Bio-Landwirte sind stark von der Überzeugung geprägt: Das ist unser Land, das lassen wir uns nicht wegnehmen.

Wie gross ist das Ausmass der Zerstörung, die der Krieg anrichtet. Werden Böden auf Generationen hinaus vergiftet sein?
Richter: Das grösste Problem ist die Verminung der Felder. Deswegen hat es auch schon einige tragische Todesfälle von Menschen gegeben. Es gibt aber auch Berichte in den Medien über grosse Umweltschäden durch den Krieg, von denen die Landwirtschaft sicher auch betroffen ist. Im Gegensatz dazu lassen sich die Schäden, welche die Panzer auf den Feldern anrichten, relativ schnell wieder beseitigen.

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32 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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kleine_lesebrille
09.10.2022 14:41registriert Mai 2022
Was die Weizenproduktion der Ukraine weltweit für einen Stellenwert hat, wurde uns leider erst durch den brutalen und wahnsinnigen Angriffskrieg bewusst. Hoffentlich gelingt eine komplette Rückeroberung der von Russland illegal besetzten Gebiete (inkl. Krim), denn Diebstahl darf (im Gegensatz zu 2014) einfach nicht mehr belohnt oder toleriert werden.

Heute zeigt sich klar, dass eine freie, demokratische Ukraine absolut ein sehr großes Potential hat, um sich (z.B. innerhalb einer EU) stark zu entwickeln. Eine Ukraine unter der Knute Russlands würde garantiert heruntergewirtschaftet.
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Amateurschreiber
09.10.2022 14:12registriert August 2018
Präzisierung zum Titel:
In der Schweiz darf auf Knospe - Betrieben bei den Wiederkäuern gar kein Importfutter mehr eingesetzt werden. Es betrifft also "nur" die Fütterung von Nichtwiederkäuern, also Schweine und Hühner.
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Aruma
09.10.2022 14:40registriert Januar 2020
Profitmaximierer - dort die Oligarchen, hier die Fenaco - interessieren sich nicht so für bio. Eigentlich logisch, weil bio sich den lokalen Gegebenheiten anpassen muss und nicht alles über einen Kamm ziehen kann. Das rentiert weniger.
Leute, kauft bio!
Ich wünsche den ukrainischen Biobauer alles Gute und den anderen natürlich auch.
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