Adam Neumann polarisiert. Als er in den 2000er-Jahren in die USA kommt, wird er zum grossen Aufsteiger der US-Unternehmenswelt. Sein Start-up WeWork geht durch die Decke – um kurz darauf einen kolossalen Absturz zu erleben. Neumanns persönlicher Stern ist dabei trotzdem nicht untergegangen: Vom Debakel läuft er als Milliardär davon. Und hat schon das nächste Projekt am Start. Das ist die Geschichte eines Start-up-Wunders und seines exzentrischen CEOs, der vor allem eines kann: Ideen verkaufen.
Für Adam Neumann ist schon als junger Mann klar: Er wird einst die Welt verändern. Nach einer Kindheit in relativ bescheidenen Verhältnissen – er kommt in Israel zur Welt und verbringt seine Teenagerjahre in einem Kibbuz nur wenige Kilometer vom Gazastreifen entfernt – zieht er in seinen jungen Zwanzigern in die USA.
Neumann besucht in New York das College, wird dort aber nicht so recht glücklich. Schon da beschliesst er: Er will ein eigenes Unternehmen gründen. An Ideen mangelt es ihm nicht. Sein erstes Projekt, High Heels mit klappbarem Absatz, versandet noch. Doch kurz darauf steht sein erstes Business: Krawlers – Baby-Kleidung mit Knieschutz, um das Krabbeln sicherer zu machen. Zu den Investorinnen gehören seine Schwester Adi, die erfolgreich als Model arbeitet, sowie seine Grossmutter. Die beiden investieren mehrere Hunderttausend Dollar in Krawlers – trotzdem erleidet das Unternehmen wenig später Schiffbruch. Und dies entpuppt sich unerwartet als Glücksfall.
2008 sitzt Neumann also auf den ungenutzten Büro-Räumen von Krawlers und braucht Geld. Wenig später lernt er Miguel McKelvey kennen – ein Architekt aus Oregon, auch er ist in einer Art Kommune aufgewachsen, was die beiden Männer verbindet. Sie haben eine gemeinsame Vision: das Schaffen von Gemeinschaften am Arbeitsplatz. So gründen sie das Unternehmen Green Desk, woraus 2010 WeWork hervorgeht. Die Idee ist simpel: Miete ein Büro, so kurz oder lange du willst – und mische dich dabei unter Start-up-Gründer, Freischaffende und andere kreative Menschen.
Es ist die perfekte Idee zur perfekten Zeit, wie sich herausstellt. Nach der Finanzkrise, welche die Schliessung von zahlreichen Unternehmen nach sich gezogen hat, gibt es einen Überschuss sowohl an leer stehenden Bürogebäuden als auch an Menschen auf der Suche nach einer neuen Karriere – die sich dank der rasanten Digitalisierung quasi überall verwirklichen lässt.
Aber nicht nur das: Die Zinsen befinden sich auf einem rekordtiefen Niveau, was es billig und einfach macht, Kredite aufzunehmen. Und tiefe Zinsen haben noch einen anderen Effekt: renditehungrige Investoren mit FOMO – «fear of missing out», die Angst, etwas zu verpassen. Nach der Finanzkrise sind sie bereit, Unmengen an Geld zu investieren, um beim nächsten gewinnbringenden Start-up unbedingt an Bord zu sein.
In dieser Phase kann Adam Neumann seine grosse Stärke ausspielen. Einen zentralen Aspekt des Marketings beherrscht er wie kaum ein Zweiter: das Verkaufen nicht in erster Linie von Dienstleistungen, sondern von Ideen und Visionen. Und so wird WeWork in den Köpfen der Investoren zu viel mehr als einer simplen Büroraum-Vermietung. «Die 10er- und frühen 2000er-Jahre waren die Dekade des ‹I›, des ‹Ichs›», sagt Neumann 2011 der «New York Daily News». Dies habe die Welt in eine Rezession geführt. Und er fügt, in Anspielung an WeWork, an: «Die nächste Dekade ist die Dekade des ‹We›, des ‹Uns›, in der Kollaboration die Zukunft der Innovation ist.»
Auch in Gesprächen mit potenziellen Investoren scheint Neumann immer die richtigen Worte zu finden. Facebook-Investor Sean Parker erklärt er bei einem Pitch, WeWork sei «ein soziales Netzwerk, aber ein physisches». Und Investor Joey Low wird vom «Wall Street Journal» nach seinem Gespräch mit Neumann mit folgenden Worten zitiert:
Bruce Dunlevie, ein weiterer Investor, sagt gegenüber «Vanity Fair», er habe Neumann folgende Rückmeldung gegeben:
Neumann schafft mit WeWork ein Luftschloss. Wer investiert, tut dies nicht in ein Immobilien-Unternehmen. Sondern in ein Projekt, das die Gesellschaft neu denken soll. Ein Unternehmen, das so gross wie Facebook oder Google werden kann – und vielleicht dereinst die grossen Probleme der Welt, also Kinder ohne Zuhause und das Hungern, lösen wird, wie Neumann später sagt.
So wird WeWork zu dem, was im Fachjargon als «Unicorn» (Einhorn) bezeichnet wird: eine äusserst seltene – «once-in-a-lifetime» – Investition. Immer mehr Investoren steigen ein – unter anderem der japanische Milliardär und CEO von SoftBank Masayoshi Son. Oder «Yoda», wie ihn Neumann nennt. Denn: «Die Macht ist mit ihm.» Und Macht bedeutet in diesem Fall Geld. Sons Risikokapitalfonds Vision Fund pumpt den Wert des Unternehmens auf 47 Milliarden Dollar. Als zwischenzeitlich als eines der innovativsten Unternehmen bezeichnetes Start-up hat WeWork bereits 2014 über 50 Standorte in den USA, Europa und Israel. Das Unternehmen wird zum grössten privaten Nutzer von Büroflächen in London, New York und Washington.
Auch in den Augen der Öffentlichkeit wird Neumann zum Star und WeWork zur scheinbar erfolgreichen Revolution der Arbeitswelt. Neumann gibt sich als nahbaren Unternehmer. Sein Mantra, dass Leben und Arbeit zusammenfliessen sollen, zelebriert er auf überzeugende Art und Weise. Er trägt lange Haare, geht barfuss durchs Büro und verteilt hippe T-Shirts mit Aufschriften wie «Thank God it's Monday».
Für seine Angestellten lässt sich Neumann ebenfalls einiges einfallen. Er organisiert spektakuläre Firmenfeste mit Grössen aus der Musikwelt wie den Chainsmokers – einmal fliegt er alle 2000 Mitarbeitenden in die Universal Studios von Hollywood, wo er das ganze Gelände für eine Party gemietet hat. Auch der Alkohol fliesst Berichten zufolge zur Genüge. Wie ehemalige Mitarbeitende sagen, serviert Neumann nach der Entlassung von sieben Prozent der Belegschaft als Auflockerung Tequila-Shots.
Mit dem Erfolg steigen auch Neumanns Ambitionen. Plötzlich überlegt er sich, eine Airline zu gründen. Später werden seine Vorstellungen immer absurder. Laut Angestellten spielt er mit dem Gedanken, Premierminister von Israel zu werden und WeWork eines Tages auf den Mars zu bringen. Auch seine Ziele werden immer abgehobener: Mehrere Leute sagen, Neumann habe erklärt, er wolle einst der erste Billionär der Welt werden. Und drei Angestellte berichten, der Unternehmer wolle die Unsterblichkeit erreichen. Dafür investiert er in das Unternehmen Life Biosciences LLC, welches das Altern «neu definieren» will.
Doch Neumanns Hoch ist nicht von Dauer. Etwas später wird WeWork zum Paradebeispiel eines enorm überbewerteten Start-ups, das im Kern wenig mehr tut, als einfach Büroflächen zu vermieten. Und das kommt keiner materiellen Innovation gleich, wie es eine Bewertung, die sonst vor allem Technologiefirmen zukommt, vermuten lässt. Das deckt der geplante Börsengang von WeWork im Jahr 2019 schliesslich schonungslos auf.
Da vor einem Börsengang ein Unternehmen, und vor allem seine finanzielle Gesundheit, genau unter die Lupe genommen wird, kommt rasch das relativ einfache, aber oft gefährliche Businessmodell ans Tageslicht: «leasing long and subletting short». Was heisst das? WeWork investiert in langfristige Mietverträge («long») und vermietet diese auf kurze («short») Frist weiter. Das Unternehmen ist also eine Art Vermittlerin zwischen Angebot und Nachfrage. Hinzu kommt aber eben auch das kostspielige «Aufmotzen» der Immobilien – mit teuren Möbeln, gratis Kombucha oder Bier.
Das Problem: Die Nachfrage nach gemeinsam genutztem Büroraum erreicht nie das Niveau, das notwendig gewesen wäre, um die grossen Akquisitionen und andere Ausgaben von WeWork auszugleichen – geschweige denn, einen substanziellen Gewinn zu bringen.
Die Folge: Bis zum kürzlich eingereichten Insolvenzantrag hat WeWork seit seiner Gründung 2010 nie schwarze Zahlen geschrieben.
Nach zahlreicher Kritik an der Unternehmensstruktur und dem Businessplan wird der Börsengang 2019 verschoben. Der Wert von WeWork sinkt innerhalb weniger Monate um 40 Milliarden Dollar, Neumann tritt kurz darauf unter Druck von Investoren als Geschäftsführer zurück und Softbank – der Hauptinvestor von WeWork – übernimmt die Kontrolle. Sechs Monate später schlägt Covid zu, und die Landschaft für gemeinsames Arbeiten ändert sich ohnehin dramatisch.
2021 geht WeWork doch noch an die Börse, allerdings durch eine Fusion mit einer Zweckgesellschaft. Doch das Unternehmen blutet weiter aus; am 6. November 2023 beantragt WeWork in New York die Insolvenz.
Doch am rapiden Zerfall von WeWork ist nicht alleine das riskante Businessmodell schuld. Neumann selbst wurde ebenfalls zu einem (finanziellen) Problem. Während sein Charisma anfänglich Milliarden von Dollar an Investitionen anlockte, war es auch sein wildes und ungewöhnliches Verhalten, das die Investoren beunruhigte. Mitarbeitende beschwerten sich über ein schlechtes Arbeitsklima, 2019 wird das Unternehmen von mehreren Klagen getroffen – die meisten davon drehen sich um rassistische und geschlechtsspezifische Diskriminierung sowie um sexuelle Belästigung.
Kurz vor dem (gescheiterten) Börsengang stellt sich aber auch heraus, dass Adam Neumann Aktien zu seinem eigenen Vorteil verkauft hatte. Ausserdem vermietete er seine eigenen Gebäude an WeWork – wodurch er zeitweise sowohl Vermieter als auch Mieter war. Es sind Aktionen, die nicht gerade Vertrauen wecken.
Doch Neumann wäre kein genialer Geschäftsmann, wenn er nicht selbst das Beste aus dem Untergang seines ehemaligen Unternehmens gemacht hätte. Gemäss dem Bloomberg Billionaires Index ist er noch immer 1,7 Milliarden Dollar schwer. Forbes schätzt sein Vermögen gar auf 2,2 Milliarden. Dies, weil er unter anderem wusste, wie er seine eigenen Finanzen von denen des von ihm gegründeten Unternehmens zu entkoppeln hatte. Neumann läuft am Ende mit über einer Milliarde Dollar davon – mehr als zwanzigmal dem Wert, den WeWork zurzeit noch haben dürfte. Und dies, während die allermeisten Investoren des ehemaligen Start-ups Unmengen von Geld verlieren.
Wie schaffte er das? Zum einen bereichert sich Neumann bereits während seiner Zeit als Geschäftsführer. So nimmt er, um seinen üppigen Lebensstil zu finanzieren, privates Kapital bei Kreditgebern auf. Als Sicherheit für dieses Kapital hinterlässt er den Geldgebern Aktien von WeWork. Von grosser Bedeutung ist auch, dass er sich bereits 2014 die volle Kontrolle über das Unternehmen sichert – in einer Zeit, als die Nachfrage der Investoren gross ist. Er tut das, indem er durchsetzt, dass er selbst Aktien mit zehnmal mehr Stimmengewicht als andere erhält.
Ein Jahr später, 2015, verkauft Neumann in einer Investitionsrunde eigene Aktien im Wert von dutzenden Millionen Dollar. Kurz darauf startet das Unternehmen ein Rückkaufprogramm, bei dem auch die Aktien der Mitarbeitenden erworben werden sollten. Allerdings: Das Unternehmen bot den Mitarbeitern einen deutlich schlechteren Deal an – die Auszahlungen pro Aktie sind deutlich geringer als im Falle von Neumanns Wertpapieren. Der Verkauf von seinen Aktien wird innerhalb des Unternehmens nicht publik gemacht.
Zum anderen schliesst er bei seinem Abgang 2019 mit den neuen Besitzern eine Vereinbarung zu einem Wettbewerbsverbot ab, das es ihm untersagt, mit Konkurrenten von WeWork zusammenzuarbeiten. Die Vereinbarung bringt ihm stolze 185 Millionen Dollar ein. Weitere 106 Millionen Dollar erhält er in Form einer Abfindungszahlung.
Allerdings ist es das «Verscherbeln» der eigenen Aktien, das ihm das meiste Cash bringt: Als WeWork 2021 an die Börse geht, hat der entlassene CEO über die Jahre insgesamt Aktien im Wert von gut einer Milliarde Dollar verkauft. Mit dem Geld kauft er sich Anteile an Apartmenthäusern.
Nicht unerheblich: Gleichzeitig steht WeWork zurzeit bei einem geschätzten Wert von nicht mal 50 Millionen – und über 18 Milliarden Dollar Schulden.
Zwar beklagt Adam Neumann später den Werdegang seines Start-ups. «Es war eine Herausforderung für mich, zuschauen zu müssen, wie WeWork es versäumt hat, die Vorteile eines Produkts zu nutzen, das heute relevanter ist als je zuvor», so Neumann in einer Erklärung. Angesichts des hervorragenden Deals, den er seither gemacht hat, dürfte sich seine Trauer aber in Grenzen halten.
Wer nun meint, Adam Neumann habe mit dem Scheitern von WeWork sein Leben als Unternehmer aufgegeben, irrt gewaltig. Genauso, wer denkt, dass nach dem Debakel niemand mehr bereit ist, gewaltige Summen in eine Vision Neumanns zu investieren.
Denn während auf WeWork gerade das definitive Ende zusteuert, hat der exzentrische Milliardär bereits sein nächstes Projekt, das zum Abheben bereit ist: das Start-up Flow, das Mehrfamilienwohnanlagen betreibt, welche das Gefühl von Gemeinschaft fördern sollen. Noch hat das Unternehmen den Betrieb nicht aufgenommen. Trotzdem wird es bereits mit über einer Milliarde bewertet. Denn Neumann, so scheint es, hat sein Verkaufstalent nicht verloren. Die Risikokapitalfirma Andreessen Horowitz investierte bereits 350 Millionen Dollar in Flow.
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