Nach Corona ist schon die nächste Krise da – so sieht das Hotrec, der europäische Verband der Hotels, Cafés und Restaurants. In einer Pressemitteilung heisst es, Gastrobetriebe berichteten von Anstiegen der Energiepreise um 200 bis 600 Prozent, womit existenzgefährdende Ausmasse erreicht worden seien.
Schaue die Politik tatenlos zu, warnt Hotrec, drohten weitere Konkurse bei «Tausenden von Hotels und Restaurants».
Tausende von Gastrobetrieben gefährdet – gilt das auch in der Schweiz für all die Hotels, Cafés und Restaurants? Und wird durch den Strompreisschock alles teurer, etwa der Café Créme mit Gipfeli?
Dazu muss man wissen, dass es in der Stromversorgung zwei Welten gibt. In der ersten Welt sind die Verbraucher «gefangen», sie können also ihren Versorger nicht auswählen. Dafür erhalten sie die Energie immer zu Gestehungskosten. In dieser Welt wird es zwar teurer, aber es bleibt zurück hinter den Preisexplosionen in der zweiten Welt. Hier regiert der Markt. Die Verbraucher können ihren Versorger frei wählen, und sie zahlten vor dem Strompreisschock deutlich weniger als in der ersten Welt. Aber, sofern die Preise nicht bald wieder sinken, werden sie voll vom Strompreisschock getroffen. Die Preise können sich verzehnfachen.
Im freien Markt dürfen knapp 3000 Gastrobetriebe zu finden sein. Zu dieser Einschätzung gelangt Casimir Platzer. Der Präsident des Verbands Gastrosuisse zählt diese Gastrobetriebe zu jenen schweizweit «Zehntausenden» von Unternehmen, für welche der Bund eine Lösung finden müsse, die ihnen ein Überleben ermöglicht. Platzer warnt:
Doch woher kommt diese Zahl und warum soll der Strompreis für Hotels oder Restaurants matchentscheidend sein?
Gastrosuisse hat gut 20'000 Mitglieder, wovon laut einer Verbandsumfrage rund 20 Prozent das Zugangsrecht zum freien Markt haben. Das sind also 4000 Betriebe, die jährlich über 100'000 Kilowattstunden verbrauchen und darum zu den Grossverbrauchern zählen. Damit haben sie laut Stromversorgungsgesetz das Recht, am freien Markt einzukaufen, aber nicht die Pflicht. Haben sie es einmal getan, gibt es kein Zurück: Sie müssen im freien Markt bleiben, auch wenn dort die Preise explodieren.
Wie viele sind nun im freien Markt von diesen 4000 Grossverbrauchern der Gastronomie? Eine gute Schätzung ist, dass 70 Prozent gewechselt haben. Denn so viele sind es schweizweit: Von allen Grossverbrauchern, die in den freien Markt eintreten dürfen, haben es 70 Prozent getan seit der Marktöffnung im Jahr 2009. Übertragen auf die Gastronomie wären das knapp 3000 Betriebe. Zum Beispiel brauchen grosse Hotels oder Restaurants viel Strom, um Räume zu heizen oder zu kühlen, in Küche, Wäscherei, Wellnessanlagen. Der Europäische Verband Hotrec sagt dazu:
Wobei es nicht alle Gastrobetriebe zugleich trifft. Einige sind noch geschützt durch Verträge, die über mehrere Jahre laufen. Der Verband Gastrosuisse führt derzeit eine Umfrage durch unter seinen Mitgliedern, um genaue Zahlen zu erhalten. Entscheidend wird so oder so sein, wie lange dieser Strompreisschock andauert.
In der geschützten zweiten Welt der Stromversorgung steigen Strompreise im nächsten Jahr um durchschnittlich 27 Prozent. Das tut weh, doch die Unterschiede sind immens. In manchen Gemeinden sind es ab nächstem Jahr neu 100 oder 200 Prozent mehr. Im freien Markt muss gar ein Vielfaches des bisherigen Preises bezahlt werden, wenn neue Verträge abgeschlossen werden. Die Strompreise explodieren regelrecht.
Möglich sind 1000 Prozent mehr, also Verzehnfachungen!
Bei Gastrobetrieben fallen Stromkosten zwar weniger ins Gewicht als zum Beispiel bei einem Stahlhersteller, selbst wenn es Grossverbraucher sind. Gemessen am Umsatz machen die Energiekosten weniger als 5 Prozent aus, wie Alexander Koch sagt, Ökonom der Bank Raiffeisen. Dafür haben sie eine andere Eigenschaft, die sie anfällig macht auf den Strompreisschock. Solche Gastrobetriebe haben wenig Spielraum, um Kostenschübe aufzufangen. Die Marge ist gering, es verträgt wenig, bis am Monatsende kein Geld mehr in der Kasse ist. Darum gilt, was Koch sagt:
Aktuell muss mancher froh sein, bleibt es bei einer Verdoppelung. Wie Koch sagt, lag der Grosshandelspreis gegen Ende September noch bei über 300 Euro pro Megawattstunde. Im Jahr 2019 waren es rund 15 Euro gewesen – ganze 20 Mal weniger. «Die extrem hohen Preise können bei der nächsten Tarifanpassung sogar weniger energieintensive Betriebe schlagartig in die Insolvenz katapultieren», sagt der Ökonom. Und ein Schweizer Hotelier erzählt, er habe allein für den August so viel für den Strom bezahlt wie sonst für das ganze Jahr 2021. Der Hotelier: «Wenn das so weitergeht, ist das ein unglaublicher Abfluss von Cash.»
Die meisten Gastrobetriebe sind keine Grossverbraucher, durften somit gar nicht in den freien Markt wechseln, und erhalten die Energie weiterhin zu Gestehungskosten. Doch auch diese sind gestiegen. Dieser teure Strom frisst zwar nicht die ganze Marge weg, die Existenz ist nicht bedroht, aber ein Kostenblock wird dadurch grösser. Und andere werden es auch.
Lebensmittel kosten mehr, Weizen und darum Brot zum Beispiel. Und die Branche kann ihre Stellen teils nur besetzen, indem sie höhere Löhne zahlt. Darum rät Gastrosuisse seinen Mitgliedern, «vorsichtig zu kalkulieren». Präsident Platzer sagt, es wäre gar grob fahrlässig, die steigenden Kosten nicht einzurechnen. Für die Gäste bedeutet dies wohl: Wie überall sonst, gehen die Preise auch im Gastgewerbe nach oben.
Corona ist noch nicht vorbei. Im Winter könnten beispielsweise viele Mitarbeitende ausfallen, es könnte wieder zu Einschränkungen kommen. Doch bereits könnte die Energiekrise wiederum zur Krise von Hotels und Restaurants werden. In den Jahren 2020 und 2021 resultierte ein gewaltiger Stellenverlust, wie er sonst in den Statistiken nicht zu finden ist.
Doch Konkurse gab es nicht mehr als vor der Coronakrise. Bislang sind es sogar deutlich weniger gewesen, wie Zahlen der Wirtschaftsauskunft Dun & Bradstreet zeigen. Und bei der Zahl der Arbeitsplätze kam es zu einer Erholung, deren Ausmass und Schnelligkeit überraschte. Die Stellenzahl war Ende Juni diesen Jahres schon beinahe wieder da, wo sie vor der Coronakrise lag. Vor allem ab Mitte 2021 ist es zu einem grossen Beschäftigungsaufbau gekommen. Wie der Arbeitsmarktexperte Michael Siegenthaler von der KOF Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich sagt:
Zudem hätte die Branche noch mehr Mitarbeitende eingestellt, hätte sie diese denn gefunden. Die Gastgewerbe zählt zu jenen Branchen, die am meisten unter dem rekordhohen Fachkräftemangel leiden. Kellner oder Köchinnen schienen auf einmal verschwunden zu sein.
Doch die Grundlage für dieses Comeback musste mit Staatsgeldern gelegt werden. Auf Anfrage ist vom Staatssekretariat für Wirtschaft, Seco, eine Zusammenstellung zu erhalten. Demnach wurden über 5 Milliarden Franken ausgegeben. An Härtefallzahlungen, die à-fonds-perdu ausbezahlt wurden, also nicht zurückgezahlt, gingen demnach rund 1,6 Milliarden an die Gastronomie, und zwar an gut 15'000 Unternehmen.
An die Hotellerie gingen 850 Millionen Franken, was 4'500 Betrieben half. Und im Verlaufe von drei Jahren flossen an Entschädigungen für Kurzarbeit nochmals Milliarden von Franken: in die Hotellerie rund 900 Millionen, in die Gastronomie rund 2.4 Milliarden. Total waren es bislang also rund 5.8 Milliarden Franken. (bzbasel.ch)
Wurden „Kaffee und Gipfeli“ denn auch günstiger als man in den billigen Marktstrom wechselte? Oder wurde das Geld wenigsten zurückgelegt für den Tag, an dem der Strom teurer wird?
15.-/MWh oder 1.5 Rp/kWh sind auch 5-6x tiefer als der Strompreis der Kleinverbraucher. Diese Unternehmen haben jahrelang von tiefen Spot- und Marktpreisen profitiert. Natürlich konnte niemand einen so stark ansteigenden Strompreis voraussehen, aber wer mit dem Markt spielt, sollte die Regeln kennen.
Aber eben, das ist Wunschdenken. :) Verluste kann man ja einfach an die Gemeinheit abgeben, während man die Gewinne selber einsackt.