In der Ukraine-Krise steht eine weitere Eskalation mit möglichen Folgen für die Energie-Versorgung in Europa bevor: Kiew drohte Russland am Freitag erstmals mit einem völligen Stopp des Transits von Gas und Öl nach Westeuropa. Die Ukraine ist das wichtigste Land für den Transport von russischen Rohstoffen in die EU.
Der ukrainische Regierungschef Arseni Jazenjuk sagte, seine Regierung habe eine Liste mit insgesamt 65 Unternehmen und 172 Personen vor allem aus Russland für Sanktionen erstellt. Sollte das Parlament in Kiew einem entsprechenden Gesetz zustimmen, könnte dies einen kompletten Transit-Stopp zur Folge haben. Die Abstimmung ist für nächsten Dienstag vorgesehen.
Russland kritisierte die Ankündigung scharf. «Die Sanktionsliste ist nur eine PR-Massnahme, um dem Westen zu beweisen, dass die Ukraine an seiner Seite ist», sagte ein Sprecher des Aussenministeriums in Moskau der Agentur Interfax zufolge. Russland werde die Sanktionen nicht unbeantwortet lassen.
Der russische Pipeline-Betreiber Transneft warnte die Ukraine vor einem Transit-Stopp. «Wir können dann das Öl zwar über andere Länder umleiten, aber das wird teuer für die Kunden in der EU», sagte Transneft-Sprecher Igor Djomin in Moskau. Vom russischen Energieriesen Gazprom gab es zunächst keine Reaktion.
Bei einem schweren Gas-Konflikt zwischen Moskau und Kiew 2009 war es zu erheblichen Engpässen in der Europäischen Union gekommen.
Erst am Mittwoch hatte Russland im Gegenzug für westliche Sanktionen ein einjähriges Einfuhrverbot für zahlreiche Agrarprodukte und Lebensmittel aus dem Westen verhängt.
Viele europäischen Länder – etwa Litauen, Spanien, Griechenland und Italien – fürchten nun Export-Einbussen. Polen kündigte an, wegen des Einfuhrverbots Klage bei der Welthandelsorganisation WTO einzureichen.
Die EU-Kommission stellte Europas Bauern unterdessen Hilfe in Aussicht. «Ich bin zuversichtlich, dass unser widerstandsfähiger Landwirtschaftssektor sich schnell hin zu neuen Märkten und Möglichkeiten orientieren wird», teilte EU-Agrarkommissar Dacian Ciolos in Brüssel mit.
Die EU-Staaten beraten kommende Woche über die Auswirkungen des russischen Importstopps für Lebensmittel aus der Union. Hochrangige Experten sollten sich dazu am Donnerstag treffen, wie die EU-Kommission mitteilte.
Aus Moskau kam unterdessen scharfe Kritik an der Dauerpräsenz von Kriegsschiffen aus NATO-Staaten im Schwarzen Meer.
Die Militärpräsenz verstosse nicht nur gegen internationale Abkommen, sagte Russlands NATO-Botschafter Alexander Gruschko am Freitag. Die Schiffe trügen auch nicht zur Deeskalation bei. Die «antirussische Kampagne» der NATO führe das Bündnis erneut in die Sackgasse des Kalten Krieges.
Unterdessen gingen die Kämpfe zwischen der ukrainischen Armee und den prorussischen Separatisten im Osten des Landes mit unverminderter Härte weiter. Innerhalb von 24 Stunden seien mindestens 15 Soldaten getötet und 79 verletzt worden, sagte Andrej Lyssenko vom Sicherheitsrat in Kiew. In den vergangenen Tagen waren allein in der Separatisten-Hochburg Donezk zahlreiche Menschen getötet worden.
Unklar blieb die Lage rund um die Absturzstelle der malaysischen Passagiermaschine mit ihren 298 Insassen in der Ostukraine. Die Regierung in Kiew betonte entgegen einer anderslautenden Meldung vom Donnerstag, dass die Waffenruhe in dem Gebiet weiter gelte.
Nach Angaben der niederländischen Regierung hatten die internationalen Experten wegen der Kämpfe die Untersuchung der Absturzursache von Flug MH17 und die Bergung der Opfer aussetzen müssen. (dwi/sda/dpa/reu/afp)