Urs Rohner war zehn Jahre Präsident der Credit Suisse. Bei Axel Weber von der UBS werden es ebenfalls zehn Jahre sein, wenn er im April 2022 seinen Stuhl räumen wird. Von solchen Zeitperioden kann man bei der Raiffeisenbank nur träumen. Mit Thomas Müller versucht nun der vierte Verwaltungsratspräsident seit dem Abgang des langjährigen Raiffeisen-Lenkers Pierin Vincenz im Jahr 2015 sein Glück. Zählt man beide Interregna von Pascal Gantenbein einzeln, ist er gar der fünfte Präsident in sechs Jahren.
Gestern wurde Müller an einer ausserordentlichen Generalversammlung zur Wahl vorgeschlagen. Die Genossenschafter stimmen elektronisch ab, das Ergebnis soll erst nächste Woche vorliegen. Trotz Kritik im Vorfeld, Müllers Wahl dürfte unbestritten sein. Der Manager sitzt seit 2018 im Verwaltungsrat. Ein Interner soll die drittgrösste Schweizer Bank nun endlich wieder in ruhige Gewässer führen, so die Hoffnung.
Während das Geschäft solide läuft – im ersten Halbjahr machte Raiffeisen einen Gewinn von 505 Millionen Franken – sind die Probleme vor allem personeller Natur. Seit dem Ende der Vincenz-Ära ist bei Raiffeisen praktisch kein Stein auf dem anderen geblieben. Das Aussortieren von Vincenz-Vertrauten, Liebesaffären oder sonstige Komplikationen haben dazu geführt, dass in Geschäftsleitung und Verwaltungsrat Dutzende von Managerinnen und Manager ein- und wieder ausgewechselt wurden.
Im Verwaltungsrat kam es nach Bekanntwerden der Untersuchung durch die Staatsanwaltschaft gegen Vincenz zu einem veritablen Massenexodus. Nachdem im März 2018 bereits der Präsident, HSG-Professor Johannes Rüegg-Stürm, den Hut nehmen musste, kündigte Raiffeisen Ende April den Abgang von neun weiteren Verwaltungsratsmitgliedern an. Unter anderem zogen sich Rita Fuhrer, die ehemalige Regierungsrätin des Kantons Zürich, und der Vizepräsident Philippe Moeschinger zurück. Raiffeisen kam so der Forderung der Finanzmarktaufsicht Finma nach, für mehr Finanzwissen im Aufsichtsgremium zu sorgen.
Die Wechsel im Verwaltungsrat:
Die Wiederbesetzungen erfolgen nicht ohne Probleme: Anne Bobillier, gewählt im November 2019 trat Ende September 2020 gleich wieder zurück. Die Demission erfolgte «aus persönlichen Gründen», wie es bei Raiffeisen heisst. Heute ist Bobillier Verwaltungsrätin bei Romande Energie und bei Skyguide. Auch bei den aktuellen Wahlen lief nicht alles rund. So hätte gestern der ehemalige Vontobel-Finanzchef Martin Sieg Castagnola für die Wahl in den Raiffeisenverwaltungsrat präsentiert werden sollen. Doch der am 3. November nominierte Banker nahm sich am 24. November 2021 «aus gesundheitlichen Gründen» wieder aus dem Rennen.
In der Geschäftsleitung von Raiffeisen rumpelte es ebenfalls gewaltig. 2018 liess der designierte Präsident Guy Lachappelle seine Muskeln schon vor seinem offiziellen Antritt im November spielen. Vincenz-Nachfolger Patrik Gisel gab im Sommer aufgrund des grossen Drucks seinen Rücktritt als CEO bekannt, erklärte sich aber auf Wunsch des Verwaltungsrats bereit, bis Ende Jahr zu bleiben. Als dann Fotos von Gisel und Raiffeisen-Verwaltungsrätin Laurence de la Serna – auch sie blieb nur zwei Jahre – medial als Paar geoutet wurden, erwirkte Lachapelle, Gisels vorzeitigen Abgang.
Die Wechsel in der Geschäftsleitung:
Besonders hart zeigte sich der gegen aussen joviale Basler nach der Aufarbeitung der Vincenz-Affäre durch den Juristen Bruno Gehrig. Mit Publikation des «Gehrig-Berichts» mussten Regionenleiterin Gabriele Burn, Handelschef Paulo Brügger, Generalsekretär Roland Schaub und Risikochef Beat Hodel Ende Januar 2019 demissionieren. Unmissverständlich die damalige Botschaft aus der Raiffeisen-Zentrale: «Damit sind alle Geschäftsleitungsmitglieder aus dem Unternehmen ausgeschieden, die bereits vor 2015 Teil des Gremiums waren.» Oder anders gesagt: Die Vincenz-Entourage ist Geschichte.
Etwas früher hatte es Nadja Ceregato, die Ex-Frau von Pierin Vincenz, erwischt. Sie war bis 2018 Rechtschefin der Genossenschaftsbank. Die Beziehung zum Bankchef hatte zuvor den Verwaltungsrat nicht wirklich interessiert.
Heute sorgen Raiffeisen-interne Liebesbeziehungen schnell für Komplikationen. Zum Beispiel bei Hoffnungsträgerin Kathrin Wehrli: Die frühere CS-Bankerin stiess am 1. März 2020 zur Raiffeisen-Geschäftsleitung hinzu und übernahm das Departement Produkte & Investment Services. Im September 2021 war sie schon wieder weg. Aus «privaten Gründen», wie es hiess. Später wird klar, dass sie gegangen ist, weil sie mit dem Geschäftsleitungskollegen Rolf Olmesdahl liiert war. Dieser sass bereits seit 2015 in der Raiffeisen-Geschäftsleitung, zuerst als IT-Chef, 2018 wurde sein Wirkungsgebiet vergrössert. Ein paar Monate später, Ende November 2021, musste auch er seinen Posten räumen.
Schliesslich sorgte eine Liebesbeziehung auch beim als Saubermann angetretenen Guy Lachappelle für ein abruptes Ende seiner Raiffeisenkarriere. Der Präsident lieferte sich einen schmutzigen Rosenkrieg mit einer Basler Spitalmanagerin, den er mit seiner Klage gegen eine Buchpublikation und einer Strafanzeige letztlich selbst losgetreten hatte.
Trotz allen Wechseln: Eine Konstante gibt es in den Teppichetagen von Raiffeisen: Olivier Roussy. Seit 2014 sitzt der Romand im Verwaltungsrat. Nächstes Jahr läuft seine Amtsperiode aus. Er ist der Fels in der Brandung, der den ganzen Vincenz-Wirbelsturm überstanden hat - jedenfalls bis jetzt. (saw/ch media)