Die Corona-Pandemie scheint überwunden, die Wirtschaft floriert. Sehr viele Firmen suchen nach Personal – manchmal gar verzweifelt. Ende Mai zählte das Bundesamt für Statistik (BfS) 114'000 offene Stellen. Das sind 60 Prozent respektive 43'000 Stellen mehr als noch Anfang 2021.
Der Personalmangel zieht sich praktisch durch alle Branchen. Fünf davon sind aber besonders betroffen.
Hotels und Restaurant können wieder aufatmen: Seit Anfang 2022 hat sich die Geschäftslage verbessert. Das zeigt eine Konjunkturumfrage, mit der der Verband Gastro Suisse der Branche regelmässig den Puls fühlt.
Doch nach den harschen Bedingungen während der Corona-Pandemie macht der Branche nun ein anderes Problem grosse Sorgen: der Personalmangel. Noch nie fehlten im Gastgewerbe und in der Beherbergung so viele Arbeitnehmende wie aktuell.
4,3 Prozent aller Stellen sind unbesetzt. Die Zahl der offenen Stellen hat sich im ersten Quartal 2022 verdoppelt. Ende 2021 verzeichnete das BfS 5300 offene Stellen. Anfang 2022 sprang die Zahl auf 10'600.
Aufgrund der ausbleibenden Hotelgäste und geschlossenen Restaurants kehrten während Corona viele Arbeitnehmende den Branchen den Rücken. Daniel Kopp, Arbeitsmarktexperte von der Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich, erklärte es gegenüber CH Media folgendermassen: «Wer wenig verdient, lange Schichten leistet und ständig einspringen muss, überlegt sich wohl schneller einmal, ob das langfristig erfüllend ist.»
Der Verband Gastro Suisse hat bereits Massnahmen ergriffen, um dem Personalmangel entgegenzuwirken. Anfang Juni präsentierte Verbandspräsident Casimir Platzer einen fünf Punkteplan, der das Berufsimage verbessern soll.
Wesentlicher Teil des Plans ist eine Kampagne mit dem Titel «Wir arbeiten mit Leidenschaft im Gastgewerbe». Zusätzlich sollen Unternehmen zu den Themen Wertschätzung und Führung geschult werden. Quereinsteigende sollen sich einfacher nachqualifizieren können und die Anstellungsbedingungen sollen attraktiver werden. Konkret will Gastro Suisse «zeitgemässe Lohn- und Arbeitsmodelle» schaffen.
Zudem könnten ukrainische Geflüchtete dem Gastgewerbe Hand bieten. Viele sind auf der Suche nach Arbeit.
Oliver Schärli, Leiter des Bereichs Arbeitsmarkt und Arbeitslosenversicherung beim Seco, geht davon aus, dass die meisten arbeitssuchenden Ukrainerinnen bisher im Gastgewerbe untergekommen sind. «Die Branche sucht händeringend Mitarbeitende und das Gastgewerbe ist traditionell ein gutes Einstiegsgewerbe», so Schärli gegenüber der sda.
Direkt hinter dem Gastgewerbe findet sich die IT-Branche. Zwar werden viel weniger Informationstechnologen als Gastronominnen gesucht. Gemäss BfS waren im ersten Quartal 2022 5700 Stellen ausgeschrieben.
Weil es in der IT aber insgesamt weniger Stellen als im Gastgewerbe gibt, liegt der Anteil offener Stellen in der IT ebenfalls bei 4,3 Prozent. Und anders als in der Beherbergung kämpft die IT-Branche schon länger mit Personalmangel.
Aber auch hier ist die Corona-Krise nicht ganz unschuldig: Weil Teile verschiedener Berufe digitalisiert wurden, braucht es zunehmend mehr IT-Fachkräfte. Und der Beruf ist weiterhin stark männerdominiert. Im Jahr 2019 absolvierten nur gerade 7,2 Prozent Frauen die Grundausbildung zur Informatikerin.
Die Branche weiss, dass sie insbesondere für Frauen attraktiver werden muss, um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken. Bereits 2020 formulierte der Branchen-Dachverband ICTswitzerland in einem Positionspapier sechs Forderungen, um die Rahmenbedingungen des Jobs für Frauen attraktiver zu machen.
Darin werden unter anderem Bund, Kantone und Gemeinden angehalten, Frauen in MINT-Fächern zu fördern und sich für einen gendergerechten Unterricht einzusetzen. Zudem sollen auch die Arbeitgeber flexiblere Arbeitsmodelle anbieten und die Saläre sowie Weiterbildungsmöglichkeiten für Frauen verbessern.
Die IT-Branche könnte ebenfalls vielen Ukrainerinnen und Ukrainern zukünftige Arbeitgeberin sein. Denn viele Geflüchtete haben gemäss Arbeitsmarkt-Experte Schärli gute Informatikkenntnisse.
Platz drei der Fachkräftemangel-Charts belegt der Maschinenbau. Im ersten Quartal waren 3000 Stellen ausgeschrieben. Das ist ein Anteil an offenen Stellen von 3,6 Prozent. Besonders gefragt sind Maschineningenieure.
Die Gründe seien vielschichtig, heisst es in einem Schreiben der Economiesuisse in Zusammenarbeit mit Swiss Engineering. Einerseits fehle es an inländischen Ingenieuren. Andererseits seien viele Unternehmen nicht bereit oder in der Lage, jemanden einzuarbeiten, der nicht vollständig dem gesuchten Profil entspreche. Oft würden die Erwartungen der Arbeitgeber auch nicht mit jenen des Stellensuchenden übereinstimmen.
Auch werden politische und wirtschaftliche Massnahmen gefordert, um den Fachkräftemangel zu stoppen. Insbesondere bildungspolitische Massnahmen und eine Stärkung der MINT-Fächer seien «unumgänglich», heisst es im Schreiben weiter. Auch die Zuwanderung bleibe notwendig, damit offene Stellen besetzt und Firmen Personal einstellen könne.
Es ist nicht nur das Gastgewerbe, die IT-Branche und der Maschinenbau, die händeringend nach Personal suchen. Auch in vielen anderen Branchen steigt die Anzahl offener Stellen kontinuierlich an.
Am höchsten liegt sie im verarbeitenden Gewerbe und der Herstellung von Waren. Aktuell werden mehr als 19'300 Lebensmittelproduzentinnen, Automatiker, Chemietechnologinnen oder Schreiner gesucht.
Aber auch das Gesundheits- und Sozialwesen ist auf der Suche nach viel Personal. 15'900 Stellen waren im ersten Quartal 2022 unbesetzt. Als Vergleich: Pädagoginnen und Pädagogen werden aktuell «nur» 2500 gesucht. Die Branche «Erziehung und Unterricht» hat in den von der Statistik aufgelisteten Branchen die tiefste Quote an offenen Stellen. 0,6 Prozent aller Stellen waren im ersten Quartal 2022 unbesetzt.
Dass sich die Lage demnächst entspannt, ist unwahrscheinlich. Branchen wie die IT oder der Maschinenbau versuchen bereits seit Jahren, dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken. Und das Gastgewerbe startete erst kürzlich einen Aktionsplan, um wieder mehr Personen für den Beruf zu begeistern. Viele Branchen bezeichnen den Mangel als eine der grössten Herausforderungen der Zukunft. Und diese lässt sich wohl nur gesamtgesellschaftlich lösen.
Solange Firmen IT Stellen nicht besetzen bis ein Kandidat genau deren Wunschprofil entspricht und sich nicht darum bemühen anderen Kandidaten eine Chance zu geben und die richtig einzuarbeiten, habe ich für die IT Firmen kein Mitleid.
(2 meiner ehemaligen Kolligegen im Alter von 52 und 56 wurden vor Kurzem erst ausgesteuert)
Und was den Personalmangel in der Gesundheitsbranche angeht, der ist seit Jahren hausgemacht, wird von den Arbeitgebern gerne hingenommen und Stellen die nicht besetzt werden können fallen irgendwann weg, die Aufgaben werden verteilt. Von daher vermute ich gibt es ein höhere Dunkel Ziffer an "freien" Stellen...
Nicht wirklich oder?