Russland verkauft trotz Sanktionen weiter Öl und Gas in die EU. Ein sofortiger Ausstieg sei nicht möglich, warnen Politiker: «Die Folgen würden uns genauso hart treffen wie Russland», sagte die deutsche Aussenministerin Annalena Baerbock zu «Bild». Welche Abhängigkeit hat die Schweiz von russischen Rohstoffen – und wie kann sie verringert werden?
Erdölprodukte sind hierzulande die wichtigsten Energieträger. Sie machen gemessen am Endverbrauch mehr als die Hälfte aus. Berücksichtigt wurden Zahlen aus dem Jahr 2019, weil sich in diesen noch keine temporären Corona-Effekte zeigen.
Ein Teil wird in Form von Brennstoffen etwa für Heizungen eingesetzt, ein grösserer Teil in Form von Treibstoffen für den Strassen- und Flugverkehr. Gas ist der drittwichtigste Energieträger und vor allem für Heizungen relevant.
Knapp 27 Prozent der Erdölprodukte kamen im Jahr 2019 in Form von Rohöl in die Schweiz. Dieses wird in der einzigen verbleibenden Raffinerie in Cressier NE verarbeitet. Dabei spielt Russland als Herkunftsland keine Rolle: Der Löwenanteil kommt aus Nigeria, Kasachstan und Libyen.
Anders sieht es bei den Fertigprodukten aus, die den grösseren Teil der Importe ausmachen. Dazu gehören Diesel und Benzin, Heizöle oder Flugpetrol. Diese Fertigprodukte werden mehrheitlich aus der EU bezogen. Die wichtigsten Herkunftsländer sind Deutschland und die Niederlande.
Das bedeutet nur, dass das Öl dort raffiniert wurde. Deutschland fördert praktisch kein eigenes Öl und deckt 98 Prozent des Bedarfs mit Importen. Dabei spielt Russland eine zentrale Rolle: Laut dem «Deutschlandfunk» kommt ein Drittel der deutschen Importe aus Russland. Der Anteil russischen Öls an den in die Schweiz exportierten Produkten dürfte ähnlich hoch sein.
Die Niederlande mit ihren Häfen und vielen Raffinerien sind weltweit laut CNBC gar der zweitgrösste Abnehmer von russischem Rohöl. In verarbeiteter Form findet dieses den Weg in die Schweiz, ohne dass es als russisches Öl in der Statistik auftaucht.
Die Schweizer Gaswirtschaft kauft das Gas primär mit Grosshandelsverträgen auf Märkten in Deutschland, den Niederlanden, Frankreich und Italien. Gemäss dem Verband der Schweizerischen Gasindustrie beträgt der Anteil von Gas aus Russland etwa 47 Prozent.
Beeinflussen kann das die hiesige Gasindustrie kaum. «Auf den Liefermix der jeweiligen Vorlieferanten hat sie keinen Einfluss», sagt Esther Schmid von Energie Wasser Luzern. Im Gashandel besteht noch kein anerkanntes System für den Herkunftsnachweis, mit dem Werke gewisse Länder ausschliessen könnten.
Für den Verkehr und das Wohnen werden am meisten Energie benötigt. Das zeigt die Statistik des Bundesamt für Energie (BFE).
Gemäss dem BFE brauchten private Haushalte im Jahr 2019 27.2 Prozent der Energie, die Industrie 18 Prozent und der Verkehr 37.7 Prozent.
Das Energieflussdiagramm des BFE zeigt dies detailliert auf:
Laufend abgenommen hat der Anteil von Erdöl. Wasserkraft und die Kernenergie sind stabil.
Im Jahr 2020 ging der Endenergieverbrauch der Schweiz im Vergleich zum Vorjahr zurück. Einerseits war der Winter mild und es musste weniger geheizt werden. Anderseits war das die Folge von Corona und Lockdowns: Die Menschen blieben zu Hause, verzichteten auf Autofahrten und Flüge. Der Boom des Homeoffice tat sein Übriges.
Russland war im Jahr 2020 der drittgrösste Ölförderer der Welt. «Es gibt weltweit nicht genügend Kapazitäten, um den Verlust dieser Lieferungen auszugleichen», sagte Mohammed Barkindo, der Generalsekretär der Organisation erdölexportierender Länder (Opec), vergangene Woche laut dem Portal «WorldOil».
Die Opec-Staaten kontrollieren 40 Prozent der weltweiten Ölförderung. Russland ist nicht Opec-Mitglied, gehört aber zu den unter «Opec+» zusammengefassten Ländern, mit welchen das Kartell kooperiert.
Die USA sind mittlerweile zwar der grösste Ölförderer der Welt, doch Importe sind für sie häufig noch immer günstiger als heimisches Öl. Sie denken nun darüber nach, wieder Öl aus Venezuela und dem Iran zu importieren. Auch Saudi-Arabien ist als Lieferant wieder im Gespräch. Für Schweizer Rohöl-Importeure ist das kaum eine Option, weil die hiesige Raffinerie nur leichtes, schwefelarmes Rohöl verarbeitet, während Saudi-Arabien vor allem schweres Rohöl fördert. Da Russland beim Rohöl-Import kaum eine Rolle spielt, stellt sich diese Frage aber gar nicht.
Bei Fertigprodukten können Importeure wählen, aus welchem Land das verarbeitete Rohöl kommen soll – nämlich über die Wahl der Raffinerie, bei der sie einkaufen.
Kurzfristig ist es schwierig, Ersatz zu finden für russisches Gas – auch weil die grossen europäischen Lieferanten Norwegen und Niederlande nicht in Frage kommen. «Wir drehen schon bei voller Kapazität», sagte der norwegische Ministerpräsident Jonas Gahr dem ZDF. Die Niederlande wollen laut dem «Stern» die Ausbeutung eines grossen Gasfelds ganz beenden.
Mehr Gas liefern will hingegen Algerien. Zudem hat Katar angekündigt, mehr flüssiges Erdgas (LNG) exportieren zu wollen. Auch LNG aus den USA könnte vermehrt nach Europa geliefert werden.
Allerdings fehlen Terminals für die Aufnahme von Flüssiggas. Solche stehen in den Häfen in Belgien, Frankreich und den Niederlanden, doch sie reichen nur für einen kleinen Teil des Bedarfs. Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz hat nun den Bau von zwei Terminals angekündigt.
Reagiert hat auch der Bundesrat. Er hat beschlossen, dass die Gasbranche rasch zusätzliche Speicherkapazitäten im Ausland sowie Gas, Flüssiggas und LNG-Terminalkapazitäten besorgen kann – gemeinsam und ohne kartellrechtliche Konsequenzen fürchten zu müssen.
Im Fall einer Knappheit wäre die Schweiz in einer schlechten Situation: Grosse Gasspeicher gibt es nicht. Während die EU-Mitgliedsländer Solidaritätsabkommen für die gegenseitige Gaslieferung in Notlagen haben, ist die Schweiz nicht in dieses System eingebunden.
Ob die Massnahmen rechtzeitig kommen, um im nächsten Winter von russischem Gas unabhängig zu sein, ist offen. Dasselbe gilt für das Öl. Deshalb kommt der Reduktion des Verbrauchs eine wichtige Rolle zu.
Eine Lösung lautet: Die Gasheizung ersetzen. Das hat seinen Preis: Der Einbau einer Wärmepumpe kostet 30'000 bis 65'000 Franken (CH Media berichtete). Zudem dauert der Prozess selbst im Idealfall einige Monate.
Alternativ besteht die Möglichkeit, ein Haus mit Fernwärme zu heizen, wenn ein solches Netz verfügbar ist – wobei auch diese Netze an sehr kalten Tagen oft noch zusätzliche Wärme mittels Gas erzeugen. Holzheizungen wiederum sind vor allem im ländlichen Raum gefragt.
Eine Heizung wird aber selten spontan ersetzt. Der Verbrauch kann auch anderweitig gesenkt werden. Möglichkeiten sind eine bessere Isolierung oder ein «Smart Home». Laut dem Bundesamt für Energie geht bei unsanierten Altbauten durchschnittlich 30 Prozent der Heizenergie über die Aussenwände verloren – Verluste, die sich minimieren lassen.
Der Verbrauch lässt sich auch mit «Smart Home»-Anwendungen drosseln. Sie sorgen dafür, dass etwa die Heizung so gesteuert wird, dass sie nur läuft, wenn sie gebraucht wird. Sie lässt sich etwa via Smartphone eine Stunde vor Heimkehr einschalten. Damit können bis zu 15 Prozent Einsparungen erreicht werden.
Kostenlos sind hingegen simple Massnahmen: Die Wohnung ein Grad weniger warm zu heizen, führt laut dem Hauseigentümerverband (HEV) zu einer Energieeinsparung von 6 Prozent. Räume, die kaum genutzt werden, können deutlich kühler sein. Und wer stosslüftet, statt den ganzen Tag das Fenster zu kippen, tut ebenfalls etwas gegen einen zu hohen Energieverbrauch.
Die Zahl der Ölheizungen sinkt hierzulande seit Jahren, in vielen Kantonen dürfen neue nicht mehr verbaut werden. Ein grösseres Einsparpotenzial liegt beim Verkehr.
Eine Möglichkeit ist der Kauf eines Elektroautos. Allerdings hat die Elektrifizierung der Autoflotte einen Haken: Der Strombedarf steigt. Einen ähnlichen Effekt hat auch der Umstieg auf Wärmepumpe-Heizungen, die mit Strom betrieben werden. Dort gibt es mit der Möglichkeit, Fotovoltaikanlagen und Pufferspeicher zu installieren, aber zumindest eine teilweise Kompensationslösung.
Mit dem steigenden Strombedarf unter anderem wegen Elektroautos und dem geplanten Ausstieg aus der Atomkraft entsteht eine Stromlücke. Um diese zu schliessen, will der Bundesrat zwei bis drei Gaskraftwerke bauen (CH Media berichtete). Diese wären wieder von Gasimporten abhängig.
Sinnvoller kann es deshalb sein, kleinere Autos zu kaufen. Ein Auto zu erwerben, das möglichst alle Bedürfnisse abdeckt, ist wenig effizient. Nur weil man einmal im Jahr zu Ikea fährt, braucht das Auto nicht auf den Transport eines Sofas ausgelegt zu sein. Für Ausnahmefälle gibt es Mietwagen oder Lieferdienste. Dieses Potenzial ist in der Schweiz gross: Im europäischen Vergleich werden hierzulande überdurchschnittlich grosse Autos verkauft, die mehr Energie in Form von Benzin oder Strom verschlingen.
Einen noch grösseren Effekt hat der Umstieg auf andere Verkehrsmittel wie das Velo oder den ÖV. Egal, ob ein Auto mit Strom oder fossilen Treibstoffen betrieben wird, bleibt es aus Sicht des Energieumsatzes eine ineffiziente Art der Fortbewegung.
Laut der Schweizerischen Energiestiftung braucht eine Person, die alleine mit einem durchschnittlichen Auto 100 Kilometer fährt, 8.6-mal mehr Energie als bei der Fahrt mit dem Zug. Selbst bei einem mit 4 Personen besetzten Auto wird pro Person noch 2.2-mal so viel Energie umgesetzt.
Elektroautos schneiden besser ab, können aber dennoch selbst dem ÖV nicht das Wasser reichen. Laut Daten der Plattform Mobitool setzt ein Trolleybus bei durchschnittlicher Auslastung ein Drittel weniger Energie pro Passagier und Kilometer um als ein Elektroauto, eine S-Bahn 5.5 Mal weniger. Die Bahn ist wegen ihres geringen Luft- und Rollwiderstands und der Rückgewinnung von Energie beim Bremsen sehr energieeffizient.
Gleichzeitig ist jede dritte Autofahrt in der Schweiz laut dem Bundesamt für Statistik kürzer als drei Kilometer lang, jede zehnte findet gar auf einer Distanz unter einem Kilometer statt. Wer mit dem Velo zur Bäckerei fährt, hat also schon viel getan, um die Abhängigkeit von russischem Öl zu verringern.
Noch besser sind Wege, die gar nicht unternommen werden. Die vergangenen zwei Jahre haben eine Lösung aufgezeigt: Mit vermehrtem Homeoffice konnten viele Autofahrten eingespart werden, ohne dass die Wirtschaft kollabiert wäre. Der Erdölverbrauch sank 2020 denn auch deutlich.
Ebenfalls sinnvoll ist es, Fahrten ins nahe Ausland mit dem Zug statt dem Flugzeug zu unternehmen. Der Staat wiederum sollte sich mittel- bis langfristig überlegen, den öffentlichen Verkehr in Randzeiten auszubauen, sodass er auch für Schichtarbeitende zu einer akzeptablen Alternative wird.
Hierzulande wird mehr Diesel als Benzin verkauft – vor allem für Last- und Lieferwagen. Der Elektrifizierung der Lieferwagenflotte, die wegen des Booms des Versandhandels immer grösser wird, kommt deshalb ebenfalls eine entscheidende Rolle zu. Für Lastwagen hingegen kann auch Wasserstoff eine Alternative werden.
Ruffy Uzumaki
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