«Raiffeisen tritt per Ende März 2021 aus der Bankiervereinigung aus.» Diese Ankündigung verschickte die genossenschaftliche Bankengruppe heute Morgen. Es ist ein Paukenschlag am Bankenplatz und ein Eingeständnis: die inlandorientierte Raiffeisenbank findet keinen gemeinsamen Nenner mehr mit den international aufgestellten Grossbanken und Privatbanken, die die Bankiervereinigung prägen.
Herr Lachappelle, warum glaubt Raiffeisen ihre politischen Interessen im Alleingang besser vertreten zu können als im Verband mit allen anderen Banken, der Bankiervereinigung?
Guy Lachappelle: Es gibt seit Jahren Differenzen, vor allem in der Diskussion zwischen uns und jenen Banken, die den Marktzutritt im Ausland suchen. Diese Diskussion wird von der Bankiervereinigung nicht gespiegelt. Das ist falsch. Unsere Schweizer Kunden verdienen es, dass wir eine offene Auseinandersetzung darüber führen können, ob eine eigenständige Regulierung in der Schweiz möglich ist oder nicht. Wenn der Verband aber die Positionen seiner Mitglieder immer so vermischt, dass am Ende nur eine Stimme zu Ausdruck kommt, dann ist die nötige Breite der Diskussion nicht möglich.
Aber die Bankvereinigung will mit einer Stimme für alle Banken sprechen.
Das ist nicht zielführend.
In der Medienmitteilung von Raiffeisen klingt kein Wort der Kritik an der Bankiervereinigung an. Warum so zahm?
Der Austritt ist Kritik genug. Damit sagen wir klar, dass in diesem Verband nicht stattfindet, was wir von ihm erwarten. Aber ich habe auch ein gewisses Verständnis für den Verband und schliesslich suchen wir nicht den Konflikt. Wir tun nur das, was für uns als Gruppe und unsere Privat- und KMU-Kunden richtig ist.
Wollen Sie andere Banken ins Boot holen?
Wir haben den Entscheid für uns selbst getroffen. Obschon wir auch gesagt haben, dass wir diese Frage analysieren. Es gab einen gewissen Reformprozess in der Bankiervereinigung, den die Inlandbanken angestossen hatten. Aber wir von Raiffeisen sind nun zur Erkenntnis gelangt, dass jene Reform unsere Erwartungen nicht erfüllt hat. Ich gehe davon aus, dass unser Entscheid auch andere Banken ins Grübeln bringen wird.
Man sagt: je grösser der Branchenverband, desto weniger Wettbewerb und umgekehrt?
Mit dieser Formel liegen sie wahrscheinlich nicht so falsch. Wir werden uns für eine differenzierte Regulierung für Schweizer Kunden einsetzen und uns damit anders positionieren als die Banken mit einem internationalen Geschäftsmodell.
Ein wichtiges Branchenthema ist die Umsetzung des neuen internationalen Eigenkapitalstandards Basel III. Raiffeisen hat als systemrelevante Bank die gleichen Anforderungen zu erfüllen wie die Grossbanken. Ist das ein Problem für Sie?
Nein. Wir müssen Basel III gleich wie die Grossbanken umsetzen. Dieser Entscheid ist gefallen und wir werden ihn auch nicht angreifen. Trotzdem ist Basel III ist ein gutes Beispiel für unser Anliegen: Wir konzentrieren uns vor allem auf Privat- und KMU-Kunden in der Schweiz und müssen die gleichen Kapitalanforderungen erfüllen wie die Grossbanken mit ihrer internationalen Klientel. Das kann man hinterfragen. Aber wie gesagt: Wir greifen keine alten Entscheide an.
Gross- und Privatbanken lobbyieren heftig für die baldige Unterzeichnung eines Rahmenabkommens mit der EU, weil sie sich davon den baldigen freien Zutritt zum EU-Binnenmarkt versprechen. Sie sind da weniger euphorisch.
Genau. Der EU-Marktzutritt bringt neue Anforderungen an die Regulierung und damit auch zusätzliche Kosten. International tätige Banken können solche Kosten durch ihre Geschäfte im Ausland teilweise kompensieren. Solche Banken müssen die ausländischen Regulierungen natürlich übernehmen. Dagegen konzentrieren wir uns auf die Schweiz. Müssen auch wir dennoch wirklich jede Regel aus dem Ausland übernehmen? Diese Diskussion wollen wir führen.
Sie waren früher Chef der Basler Kantonalbank. Für die Kantonalbanken steht beim Thema Europa und Rahmenabkommen auch die Staatsgarantie zur Diskussion. Wie schlägt Ihr Herz?
Sie wissen, dass ich die Seite gewechselt habe. Ich sage Das Gleiche, was ich in meiner alten Rolle gesagt habe: die Kantonalbanken erbringen wichtige Leistungen in den Kantonen, die wir in dieser Art nicht anbieten, auch die Grossbanken nicht. Daher ist das nicht unser Thema. Als Raiffeisenbank müssen wir uns nicht gegen die Kantonalbanken richten.
Sie sind also ein Fan der Staatsgarantie.
Ich bin Fan von Raiffeisen und habe Verständnis für die Kantonalbanken.
Wie ist es denn um das Zwischenmenschliche bestellt in den Vorstandssitzungen der Bankiervereinigung? Es ist zu hören, Axel Weber, Verwaltungsratspräsident der UBS, trete oft dominant auf.
Es sind harte Diskussionen, unser Geschäftsmodelle ist diametral anders als beispielsweise das einer Gross- oder Privatbank. Aber es bleibt immer sachlich. Danach essen wir oft alle zusammen zu Mittag.
Warum ist es nicht möglich, innerhalb der Bankiervereinigung einen Kompromiss zu finden, und diesen dann Aussen zu vertreten?
Das haben wir uns auch gefragt. Wir bezweifeln, dass alle Banken mit einer Stimme auftreten sollten. Im Parlament sieht man eine Vielfalt von Meinungen. In der Bankiervereinigung war man dazu nicht bereit.
Also fehlte es am Willen?
Es gab Reformen, um den Dissens zwischen den Banken besser zum Ausdruck zu bringen. Dieser Prozess wurde gut gemacht. Aber am Ende war es nicht der von Raiffeisen erhoffte Erfolg.
Lag es an den Personen oder gehen die Interessen zu weit auseinander?
Die Interessen sind wohl zu verschieden. Unsere Position wurde immer stark verwässert. Daher bin ich nun überrascht, dass die Bankiervereinigung über unseren Austritt überrascht ist.