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Töff-Unfälle mit Junglenkern auf der Hulftegg im Toggenburg häufen sich

Auf der Passstrasse der Hulftegg im Toggenburg kommt es häufig zu Unfällen.
Auf der Passstrasse der Hulftegg im Toggenburg kommt es häufig zu Unfällen.Bild: Lara Wüest

«Jugendliche sind am meisten gefährdet»: Junglenker-Unfälle auf der Hulftegg häufen sich

Seit der Senkung des Mindestalters für 125er-Motorräder steigt die Zahl der Unfälle mit jungen Lenkern auf der Hulftegg. Welche Rolle spielen Fahrpraxis, Tempo und Gruppendruck? Experten ordnen ein.
16.08.2025, 15:3716.08.2025, 17:00
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Ein sonniger Samstag, kaum Verkehr, ideale Bedingungen für eine Ausfahrt. Dann kommt die Kurve, und bereits ein kleiner Fehler kann immense Folgen haben.

Immer mehr junge Menschen machen genau diese Erfahrung – denn seit dem 1. Januar 2021 dürfen 16-Jährige Motorräder der 125er-Klasse fahren, sobald sie im Besitz eines Lernfahrausweises sind. Das heisst, nach der Theorieprüfung und noch bevor sie den praktischen Grundkurs absolviert haben.

Diese Änderung blieb nicht ohne Auswirkungen auf die Unfallzahlen: Seit der Herabsetzung des Mindestalters verunfallen schweizweit jährlich deutlich mehr Töfffahrende in dieser Altersgruppe schwer oder sogar tödlich. Laut der Beratungsstelle für Unfallverhütung (BFU) hat sich die Zahl der schweren Unfälle von unter 18-Jährigen sogar mehr als verdoppelt.

Mangelnde Fahrpraxis und hohes Tempo in Kurven

Auch auf der Passstrasse der Hulftegg im Toggenburg kommt es vermehrt zu Unfällen. Die Gründe für die Unfälle sind vielfältig. Einer davon könnte riskante Fahrmanöver sein: «Rund um die Hulftegg hat sich eine Szene entwickelt, welche die Bergstrasse als ihren persönlichen Spielplatz sieht», sagt der Mosnanger Gemeindepräsident Renato Truniger.

Die Unfalldaten der Schweizer Kartenplattform des Bundes zeigen: Auf dem letzten Abschnitt der Hulftegg wurden zwischen 2019 und 2024 insgesamt 25 Motorradunfälle registriert. Allein seit Jahresbeginn gab es auf der gesamten Passstrasse bereits 9 Unfälle – einer davon endete tödlich. Drei der Verunfallten waren minderjährig. Hanspeter Krüsi von der Kantonspolizei St.Gallen betont allerdings, dass es sich dabei um vorläufige Zahlen handelt.

Die Altersgruppe von 15 bis 17 Jahren sei besonders gefährdet. «Die Unfälle mit Junglenkern sind tatsächlich stark gestiegen. Dies beobachten wir auch auf der Hulftegg», schreibt Krüsi. Grund für die Unfälle sei häufig mangelnde Fahrpraxis und zu hohes Tempo in den Kurven.

Petition in Fischingen eingegangen

Die Strecke von Fischingen über die Hulftegg ins Zürcher Oberland ist seit vielen Jahrzehnten eine beliebte Route für Zwei- und Vierräder und sorgt bei den Anwohnenden in Mosnang schon länger für Gesprächsstoff. Auch in der thurgauischen Nachbargemeinde Fischingen sind die Motorräder auf der Hulftegg teilweise hörbar. Einwohnende fordern nun an der Hörnlistrasse sowie der benachbarten Murgstrasse auf beiden Strecken Tempo 60 sowie die Einrichtung permanenter Radaranlagen. Die Murgstrasse führt zur Hulftegg.

Alfons Brühwiler ist Gemeindepräsident von Fischingen.
Alfons Brühwiler ist Gemeindepräsident von Fischingen.Bild: Ralph Ribi

Das Problem: Die Strassen sind Kantonsstrassen. Die Gemeinde kann lediglich vermittelnd wirken. Trotzdem konnte ein runder Tisch initiiert werden. «Vertreter des kantonalen Tiefbauamtes, der Kantonspolizei, der Anwohner sowie unserer Gemeinde werden sich nach den Sommerferien treffen», sagt der Gemeindepräsident von Fischingen, Alfons Brühwiler.

Konstellation von verschiedenen Faktoren

Obwohl der Grossteil der Motorradfahrer verantwortungsvoll unterwegs ist, gibt es solche, die bewusst die Geschwindigkeit überschreiten. Was begünstigt ein solches Fahrverhalten? Alexander Koch arbeitet in St.Gallen als Verkehrstherapeut. Er sagt, dass hinter dem Verhalten häufig ein tief sitzendes Gefühl stecke – etwa das Empfinden, im Leben stark eingegrenzt zu sein. «Oft ist da eine Neugier, eine Lust auf Abenteuer, ein Impuls, über diese Grenzen hinauszugehen und das Leben zu erweitern und zu bereichern», sagt Koch. Die Strasse werde so zum Ort, an dem dieses Bedürfnis ausgelebt werde.

Verkehrstherapeutin Mirjam Bernet.
Verkehrstherapeutin Mirjam Bernet.Bild: zvg

Verkehrstherapeutin Mirjam Bernet leitet die Praxis für Psycho- und Verkehrstherapie in St.Gallen. Ihrer Einschätzung nach liegt ein weiterer Risikofaktor in der noch nicht abgeschlossenen Gehirnentwicklung junger Fahrerinnen und Fahrer. «Die Selbstkontrolle, die im präfrontalen Kortex verankert ist, ist bei vielen Jugendlichen noch nicht vollständig ausgereift», schreibt Bernet. Dieser Bereich des Gehirns entwickle sich erst bis etwa zum 25. Lebensjahr vollständig und ist unter anderem für die Prioritätensetzung sowie das Widerstehen von Versuchungen verantwortlich.

Das Unfallrisiko auf Passstrassen schätzt Bernet aufgrund kurviger Strecken und komplexerer Fahrsituationen als erhöht ein. Auch der Gegenverkehr kann zur Gefahr werden. Autofahrer fahren teilweise mit überhöhter Geschwindigkeit und schneiden Kurven. «Da Passstrassen gerne für Spassfahrten und weniger für Zweckfahrten genutzt werden, entsteht eine gefährliche Konstellation von verschiedenen Faktoren.»

Die Hulftegg ist eine beliebte Passstrasse in der Ostschweiz.
Die Hulftegg ist eine beliebte Passstrasse in der Ostschweiz.Bild: Lara Wüest

Der Einfluss von Social Media

Erfahrene Motorradfahrer beobachten ein tendenziell riskanteres Verhalten bei Jugendlichen. Der St.Galler Elmin Hadziavdic ist seit 18 Jahren auf dem Motorrad unterwegs. Er weiss, dass oftmals jüngere Fahrer den Reiz des Nervenkitzels suchen – und dabei bewusst über ihre eigenen Grenzen hinausgehen, um den Adrenalinkick zu erhöhen.

Oft spielt dabei auch Gruppendruck eine Rolle – besonders bei Neulenkenden. «Viele fühlen sich unter Druck gesetzt, mit erfahreneren Motorradfahrenden mitzuhalten, auch wenn sie sich auf anspruchsvollen Strecken wie Passstrassen noch unsicher fühlen», sagt Hadziavdic. Selbstdarstellung habe dabei einen wachsenden Einfluss, der durch die sozialen Medien zusätzlich verstärkt werde.

«Videos von riskanten Fahrmanövern oder angeblichen Streckenrekorden animieren dazu, Ähnliches nachzumachen.»

Dabei werde oft vergessen, dass die gezeigten Motorradfahrenden meist sehr erfahren oder gar Profis seien.

Mögliche Lösungen

Wie kann man Jugendliche effektiv vor riskantem Verhalten bewahren? Für Elmin Hadziavdic ist klar: Präventionsarbeit kann wirken – wenn sie richtig gemacht ist. Dabei sollten die Kampagnen emotional ansprechen und nicht belehrend wirken. «Authentische Geschichten, eindrückliche Bilder oder persönliche Schicksale wirken oft stärker als reine Fakten», schreibt er. Auch die Verbreitung über soziale Medien erhöhe die Reichweite und Wirksamkeit deutlich.

Tempolimits reichten allein oftmals nicht aus, da selbst bei reduziertem Tempo das Unfallrisiko auf kurvigen Passstrassen bestehen bleibt. «Eine zusätzliche Massnahme könnte darin bestehen, baulich dem Gegenverkehr die Möglichkeit zu nehmen, Kurven zu schneiden», schreibt Hadziavdic. Dies etwa durch Leitplanken oder optische Fahrbahnverengungen.

Hadziavdic ist der Ansicht, dass Motorradfahren erst ab 18 Jahren erlaubt sein sollte. In diesem Alter hätten Fahrende mehr Lebenserfahrung und seien sich der Verantwortung im Strassenverkehr eher bewusst. Verkehrstherapeutin Mirjam Bernet sieht das noch strenger: «Ganz ehrlich – keine hochmotorisierten Fahrzeuge für unter 25-Jährige und ein verkehrspsychologisches Modul im Weiterbildungskurs während der Probezeit», schreibt sie. (tagblatt.ch)

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bubru
16.08.2025 15:53registriert Mai 2024
Ehricherweise wussten alle, was passiert, wenn das Mindestalter gesenkt wird. Kann wirklich niemand überraschen.
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Silas1992
16.08.2025 16:16registriert Juli 2025
Ich weiss nicht wieso man unser funktionierendes und sinnvolles System einfach geändert hat und Unreife auf 125er setzt um den Verkehr unsicher zu machen.
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what_else?
16.08.2025 16:01registriert April 2020
Grad heute von Julier/Albula zurück und wie oft sehr erstaunt wie viele Motorradfahrer sich als Organspendekandidaten aufführen. Das blöde ist, dass sie ja nicht nur sich selbst gefährden…
Eine gute Anzahl Motorradfahrer verhält sich ja ganz normal.
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