Auch in diesem Jahr werden wieder Hunderttausende Versicherte in der Schweiz ihre Krankenkasse wechseln. Die Zahlen variieren je nach Quelle stark. Was kann man über den Trend sagen?
Felix Schneuwly: Generell kann man sagen: je stärker der Prämienanstieg, desto mehr Menschen wollen den Anbieter wechseln. Gleichzeitig sind aber die Unterschiede in den Prämien zwischen den Kassen in diesem Herbst geringer als noch vor einem Jahr. Daher kann es sein, dass die Menschen zwar eine Wechselabsicht zeigen, nach einem Vergleich aber dann doch merken: So viel gibt es gar nicht zu sparen.
Gemäss einer Comparis-Studie macht ein Wechsel sehr oft Sinn – unter Umständen hätte man damit in zehn Jahren sogar bis zu 30'000 Franken sparen können.
Ja, das gilt zwar nicht für alle. Insbesondere die Versicherten, die nie wechseln, bezahlen in der Regel aber deutlich zu hohe Krankenkassenprämien. Solche, die jährlich wechseln, können pro Jahr hingegen auch nicht mehr viel herausholen – sie haben oft schon das für sie günstigste Modell.
Als Prämienzahlende hat man damit schnell das Gefühl: Der Krankenkassen-Markt ist – ähnlich wie der Mobilfunk-Markt – einer, in dem Treue grundsätzlich nicht belohnt wird. Würden Sie dem Satz zustimmen?
Es gibt einen entscheidenden Unterschied zwischen dem Mobilfunk- und dem Krankenkassen-Markt.
Welchen denn?
Mobilfunk-Anbieter sind sehr frei in ihrer Preisgestaltung, Krankenkassen nicht. Sie müssen jedes Jahr ihre Prämien vom Bundesamt für Gesundheit (BAG) bewilligen lassen und haben daher keinen Spielraum für Rabatte – sei es, um damit neue Kunden anzulocken oder um treue Kunden zu belohnen.
Trotzdem: Ich kenne viele Leute, die frustriert sind darüber, dass sie nichts herausholen, obwohl sie und die ganze Familie dieser einen Krankenkasse die Treue gehalten haben. Könnten die Kassen solchen Kundinnen und Kunden nicht nach beispielsweise zehn Jahren einen Treuerabatt geben?
Nein. Massgebend für die Prämien sind die Kosten der versicherten Leistung. Die Krankenkassen dürfen mit der Grundversicherung ja auch keinen Profit machen. Da gibt es quasi null Spielraum. Eine Ausnahme ist die Kinderprämie: Einige gewähren einen Familienrabatt für das zweite oder das dritte, vierte ... Kind.
Gilt das auch für die Zusatzversicherung?
Ja. Aber vergessen wir nicht: Im von Ihnen erwähnten Markt der Mobilfunkanbieter passiert ja eben das Gegenteil – die guten, günstigen Angebote gibt es nur für Neukundinnen und Neukunden. Manchmal lohnt es sich darum, dort mal anzurufen und zu sagen: Ich will das auch, sonst wechsle ich.
Das geht in dem Fall bei einer Krankenkasse nicht ...?
Nein. Denn auch das Angebot der Zusatzversicherungen muss genehmigt werden – zwar nicht vom BAG, sondern von der Finanzmarktaufsicht (Finma). Aber das Prinzip ist das gleiche, die Prämienfestlegung ist streng reguliert.
Warum gibt es denn überhaupt unterschiedliche Prämien? Die Leistungen sind ja in der Grundversicherung die gleichen.
Das ist ziemlich einfach erklärbar. Die Prämienberechnung ist eine versicherungsmathematische Sache. Das heisst: Die Prämie ist das Endprodukt einer Rechnung, in die zum Beispiel die standortbedingten Kosten der Leistungen fliessen – so ist es in der Stadt in der Regel teurer als auf dem Land –, aber auch die Anzahl und die Zusammensetzung aller Versicherten.
Die Kassen haben also gar keinen Spielraum ...?
Doch, einen kleinen schon. Eine Krankenkasse kann zum Beispiel bei den medizinischen Leistungen etwas sparen, wenn sie gute Verträge bei alternativen Versicherungsmodellen – darunter fallen die HMO-/Hausarzt- und Telmed-Modelle in der Grundversicherung – hat und dadurch effiziente Angebote anbieten kann. Und dann natürlich bei den Verwaltungskosten. Aber diese machen nur etwa fünf Prozent der Prämien aus, daher ist dieser Hebel nicht riesig. Und schliesslich haben sie noch Spielraum bei der Vermögensverwaltung.
Was versteht man darunter?
Zum Beispiel die Reserven, die eine Kasse halten muss, oder die Rückstellungen, das ganze Cash-Management. Das sind natürlich riesige Volumen.
Bei den Reserven zum Beispiel gibt es aber auch gesetzliche Vorgaben.
Genau, das funktioniert ähnlich wie bei den Pensionskassen: Eine Krankenkasse kann nicht beliebig hohe Risiken am Kapitalmarkt eingehen. Aber wenn man das Geld gut verwaltet – das Geld, das ja nicht den Krankenkassen, sondern allen Versicherten gehört –, aber auch, wenn die Börsen gut laufen, dann hat eine Kasse mehr Spielraum, um die Prämien zu subventionieren und damit günstiger zu gestalten.
Viele beschweren sich über die hohen Reserven, auf denen die Krankenkassen «hocken». Zu Recht?
Ich finde nicht. Unter dem Strich haben diese Reserven den Versicherten in den letzten Jahrzehnten viel mehr genützt als geschadet. Man sollte darum meiner Meinung nach damit aufhören, politischen Druck auf den Abbau der Reserven aufzusetzen.
Wie meinen Sie das?
Es stimmt zwar, dass bei einem Reserven-Abbau für einige wenige Jahre die Prämien etwas gesenkt werden können. Aber irgendwann kommt die Kostenwahrheit zurück: Denn entscheidend sind die Kosten der versicherten Leistungen. Und dann kann es sein, dass die Reserven irgendwann wieder aufgebaut werden müssen – dann geht es wieder in die andere Richtung. Ich finde darum, bei einem starken Reserven-Abbau macht man den Versicherten auch ein bisschen etwas vor.
Sie haben erwähnt, dass sich die Prämien in der Grundversicherung in den letzten Jahren zwischen den Krankenkassen angeglichen haben, dass also die Unterschiede nicht mehr so gross sind wie früher. Warum ist das so?
Das ist wegen des sogenannten Risikoausgleichs. Das Gesetz schreibt vor, dass Krankenkassen, die eine bessere Risikostruktur aufweisen – die also zum Beispiel mehr junge Menschen als andere versichern und die dadurch wahrscheinlich weniger zahlen müssen – diejenigen mit der schlechteren Risikostruktur finanziell auszahlen.
Also ähnlich wie der Finanzausgleich zwischen den Kantonen?
Vielleicht, ja. Die Idee dahinter ist, dass man dem Anreiz, der für Versicherer besteht, nur junge Menschen versichern zu wollen, entgegenwirkt. Dieser Risikoausgleich wurde in den letzten Jahren verbessert und hatte zwei Effekte: Der Wettbewerb hat sich von der «Jagd nach guten Risiken» zu einer besseren Versorgung aller hin verlagert. Und die Prämien haben sich eben etwas angeglichen.
Nochmal zurück zum finanziellen Spielraum: Die Krankenkassen geben zusammen mehrere hundert Millionen Franken für Werbung aus und damit die Akquise von Neukunden. Dieses Geld könnten sie ja auch sparen und so tiefere Prämien oder besseren Kundenservice anbieten, um die Kundinnen und Kunden bei sich zu halten?
Es ist beides wichtig. In einem System, in dem so viel Wettbewerb herrscht, können Sie weder die Kundenbindung noch das Anwerben von neuen Kunden vernachlässigen. Aber es ist klar: Wettbewerb kostet. Das ist auch in anderen Märkten so. Die Milch oder die Butter ist im Coop und im Aldi dieselbe – trotzdem gibt es auch dort einen Wettbewerb. Und das bringt etwas, auch wenn viele das immer wieder anzweifeln.
Wie meinen Sie das?
Wir haben alle paar Jahre wieder die Diskussion um eine Einheitskasse.
Sie sind in dem Fall dagegen? Warum?
Es gibt genügend Evidenz in der Ökonomie, dass der Wettbewerb Vorteile bringt. In meinen Augen auch bei den Krankenkassen. Aber die Leute zweifeln immer mehr daran ...
Wie kommen Sie darauf?
Das sieht man in verschiedenen Umfragen. Auch Comparis hat kürzlich eine solche durchgeführt – mehr als 70 Prozent sind für eine Einheitskasse.
Wir haben die Leute auch gefragt, welche Einsparungen sie sich dadurch erhofften.
Und?
Die Befragten wollen mindestens zehn Prozent sparen. Aber bei Verwaltungskosten von nur fünf Prozent – und das wäre ja fast das einzige, was man einsparen würde – ist das unrealistisch. Die hohen Kosten der versicherten medizinischen Leistungen würden ja die gleichen bleiben.
Wir würden aber an Wechselkosten sparen.
Das stimmt, das käme noch hinzu. Gleichzeitig hätten wir aber das nicht zu vernachlässigende Risiko eines Monopolisten: Monopole können durch den fehlenden Wettbewerb träge und ineffizient werden.
Das Gute an der Befragung war aber: Mehr als 70 Prozent wären dafür, eine Einheitskasse zuerst in einem Kanton zu testen. Das wäre so oder so vernünftig.
Sofort sollte das bundesweit in den 4 Landessprachen neu eingerichtet werden und schon ist es vorbei mit Wechseln und so weiter…