Die Schweizerische Nationalbank braucht ein neues Gesicht. Mit Fritz Zurbrügg geht das älteste Mitglied des Direktoriums Ende Juli 2022 in Pension. Der Berner ist zwar erst 61 und hätte noch lange weitermachen können, zumal der Bundesrat das dreiköpfige SNB-Leitungsgremium unter dem Vorsitz von Thomas Jordan erst im November des vergangenen Jahres für eine neue sechsjährige Amtsperiode wiedergewählt hatte. Doch der frühere Direktor der Finanzverwaltung entschied sich für die vorzeitige Pensionierung.
Gründe dafür nennt die Nationalbank keine. Bekannt ist aber, dass sich Zurbrügg im Oktober einer Herzoperation unterziehen musste. Obschon diese offenbar gut gelungen ist und Zurbrügg in zehn Tagen an der Medienkonferenz zur letzten geldpolitischen Lagebeurteilung im Jahr erstmals wieder in der Öffentlichkeit erwartet wird, kann nicht ausgeschlossen werden, dass die gesundheitliche Erfahrung seinen Rücktrittsentscheid mindestens beeinflusst hat.
Die Wahl einer Nachfolgerin beziehungsweise eines Nachfolgers könnte kompliziert werden, denn mit ihr drängt sich auch die Frage auf, wie es mit dem Nationalbank-Präsidenten Thomas Jordan weitergeht. Der 58-Jährige hatte 2012 nach dem erzwungenen Rücktritt von Philipp Hildebrand die Leitung des Direktoriums übernommen – und er hat seitdem die Geschicke des Noteninstituts wie auch deren Positionierung im öffentlichen und im politischen Raum geprägt.
Auch Jordan ist im Prinzip bis 2027 gewählt. Aber ist es sinnvoll, dass er das Amt bis zum Schluss ausübt? Langjährige Nationalbank-Beobachter äussern sich skeptisch, wenn auch nur hinter vorgehaltener Hand.
Auch Jordan musste im Sommer einen operativen Eingriff am Herzen über sich ergehen lassen. Der frühere Wasserballspieler hat die Intervention zwar gut überstanden und ist wieder mit voller Kraft bei der Arbeit.
Doch es ist offensichtlich, dass das SNB-Gremium ein neues Gesicht benötigt, das an die Stelle von Jordan treten kann. «Das Direktorium braucht starke Persönlichkeiten mit einem politischen Profil», sagt Stefan Gerlach, Chefökonom der EFG Bank und ehemaliger Vizepräsident der irischen Zentralbank. Denn: «Die Nationalbank wird ihre Unabhängigkeit in den kommenden Jahren gegen einen zunehmend starken politischen Gegendruck verteidigen müssen.»
In der Tat sitzt die Nationalbank auf einem Devisenberg in Höhe von 1000 Milliarden Franken, für dessen künftige Verwendung die politischen Akteure in Bern schon viele Ideen produziert haben und bestimmt noch zahlreiche neue produzieren werden.
Jordan hat den Zugriff der Politik auf dieses Geld bislang souverän abgewehrt. Er konnte dabei in der Politik auf seine grosse Autorität als Geldtheoretiker und in der breiteren Öffentlichkeit auf seine Glaubwürdigkeit als langjähriger loyaler SNB-Chef zählen.
Ein solches Profil konnte sich die Genferin Andréa Maechler, die 2015 als kaum bekannte Ökonomin der Europäischen Zentralbank (EZB) in das SNB-Direktorium berufen wurde, in ihren bald sieben Jahren bei der Schweizer Notenbank nicht erarbeiten. Die 52-Jährige leitet das III. Departement, in dem die Geldpolitik umgesetzt wird, also zum Beispiel die Devisen gekauft werden, die zur Steuerung des Frankenkurses benötigt werden.
Sie hat aber im einhelligen Urteil mehrerer SNB-Beobachter nicht die nötige Statur und Bekanntheit, um Jordan dereinst beerben zu können. Auffallend ist auch die Tatsache, dass sich Maechler kaum je öffentlich zu geldpolitischen Fragen äussert und damit auch keinen Anspruch auf die Führung der Institution zu erkennen gibt.
«Es gibt nicht viele Leute in der Schweiz, die sich für einen Direktionsjob in der Nationalbank aufdrängen», sagt der Lausanner Universitätsprofessor und Geldpolitik-Experte Philippe Bacchetta. Dementsprechend fallen landauf, landab auch überall die gleichen Namen für die mögliche Zurbrügg-Nachfolge. Zu diesen gehört Beatrice Weder di Mauro, die derzeit am Graduate Institute in Genf eine Wirtschaftsprofessur ausfüllt und als Präsidentin des britischen Think-Tanks Centre for Economic Policy Research ihr breites Beziehungsnetz in den internationalen Institutionen der Geld- und Wirtschaftspolitik ausspielt.
Weder di Mauro erhält zwar überall Bestnoten, aber ob die 56-Jährige den Job überhaupt annehmen würde, ist eine andere Frage. Würde Jordan seine Amtszeit bis zum Ende absolvieren, blieben ihr für die Nachfolge als Direktionspräsidentin nur noch wenige Jahre.
Das umgekehrte Problem hat Marlene Amstad. Die Berner Ökonomin, die seit Anfang Jahr die Finanzmarktaufsicht (Finma) präsidiert, könnte mit ihren 53 Jahren eher zu jung sein, wenn Jordan auf der Absolvierung seiner vollen Amtszeit bestehen sollte. Amstad zeigt als Finma-Chefin einen unübersehbaren Gestaltungsanspruch, und die Frau hat auch eine brillante Karriere vorzuweisen. Während mehrerer Jahre forschte sie bei der Nationalbank und bei der US-Notenbank Fed über Inflation und andere geldpolitische Fragen, und zuletzt lehrte sie an der Chinese University Hongkong in Shenzhen Wirtschaftswissenschaften.
Mit dem früheren Chefökonomen der Bundesverwaltung, Aymo Brunetti, böte sich aber ein geradezu perfekter Ersatz für Zurbrügg an. Brunetti gilt als Vater der «Too big to Fail»-Gesetzgebung und wäre somit der ideale Kandidat für Zurbrüggs II. Department, in dem es um die Überwachung der Finanzstabilität geht. Brunetti hat sich als Wirtschaftsprofessor an der Universität Bern und als Autor zahlreicher Bücher auch in der Politik und in der breiteren Bevölkerung ein Profil erarbeitet, wie es der SNB nützlich sein könnte.
Doch Brunetti wird im Februar 59 Jahre alt und ist somit auch keine valable Option für eine dereinstige Nachfolge Jordans. «Der Bundesrat steht vor einer komplexen Wahl», sagt Beobachter Gerlach. Das kleine Dreiergremium macht diese offensichtlich nicht leichter. «Das zeigt sich jedes Mal, wenn es um eine Neubesetzung geht.» (aargauerzeitung.ch)