Die Italiener machen den Franzosen im eigenen Land Konkurrenz und die freuen sich noch: So geschehen ist das gerade auf der Schiene. Seit einem Jahr bietet die italienische Staatsbahn Trenitalia zwischen Paris und Lyon sowie Turin und Mailand Zugverbindungen in direkter Konkurrenz zu den bestehenden der französischen Bahn SNCF an. Bereits knackten sie die Grenze von einer Million beförderten Passagiere. Jean-Pierre Farandou, der Vorstandsvorsitzende der SNCF, freut sich trotzdem: «Der Kuchen ist für alle grösser geworden», sagte er kürzlich dem «Figaro».
Vom Wettbewerb auf der Schiene profitiert die Kundschaft. Die Preise auf der Strecke Mailand–Lyon sanken um 13 bis 20 Prozent, das Angebot nahm um 15 Prozent zu. Ermutigt vom Erfolg wollen die Italiener ab Ende 2024 auch zwischen Frankreich und Spanien fahren. Das Angebot, so sieht es Trenitalia-Manager Roberto Rinaudo, ziehe neue Passagiere an und fördere das Wachstum des Eisenbahnmarktes.
Die Erfolge sind Peter Füglistaler nicht entgangen, dem Direktor des Bundesamtes für Verkehr (BAV). «Die Schweiz tut sich immer noch schwer mit der Öffnung im internationalen Personenverkehr», schrieb er Ende Januar auf dem Portal Linkedin. «Über kurz oder lang kommen wir um diesen Schritt nicht herum, wenn die Schweiz eine wichtige Drehscheibe bleiben will.»
Die Aussage erstaunt. Bisher wollte der Bund von Wettbewerb nichts wissen. Stattdessen verteidigte er das Kooperationsmodell: Wer einen internationalen Zug in die Schweiz führen will, kann das nur in Zusammenarbeit mit den SBB tun. Wollen die Bundesbahnen nicht, haben Wettbewerber keine Chance. Noch im Juni 2021 teilte der Bundesrat mit, das habe sich bewährt: «Dadurch können Kräfte gebündelt werden.»
Seither habe sich die Situation aber «weiterentwickelt», sagt BAV-Sprecher Andreas Windlinger. Denn die Europäische Union (EU) macht Druck. Die Schweiz hat sich mit dem 1999 abgeschlossenen Landverkehrsabkommen dazu verpflichtet, die EU-Regeln zu übernehmen und den Markt zu öffnen. Jahrelang ignorierte sie das Drängen des Vertragspartners.
Vergangenes Jahr hat die EU-Kommission laut Windlinger der Schweiz nun aber zu verstehen gegeben, dass die bisherige Verkehrspolitik nur weitergeführt wird, wenn die Schweiz sich beim internationalen Personenverkehr den EU-Regeln annähert. Bei einem Treffen des gemischten Ausschusses im Dezember habe die Kommission unter anderem eine erneute Verlängerung der Zusammenarbeit mit der Europäischen Eisenbahnagentur von Fortschritten in diesem Dossier abhängig gemacht.
Für hiesige Bahnen und die Industrie wie den Bahnbauer Stadler Rail ist diese Kooperation wichtig: Ohne sie müssen sie Zulassungen und Sicherheitsbescheinigungen für neues Rollmaterial für den internationalen Verkehr sowohl in der Schweiz als auch in der EU beantragen, was die Verfahren verlängert und aufwendiger macht.
Interessenten an einer Marktöffnung gibt es. So hat die österreichische Westbahn, deren Aufsichtsrat Ex-SBB-Chef Benedikt Weibel bis 2022 präsidierte, gegenüber der NZZ mitgeteilt, dass sie ihre Züge von Wien nach München gerne bis Zürich verlängern würde. Ebenfalls Interesse hat der deutsche Billigzug-Anbieter Flixtrain, wie Sprecher Sebastian Meyer bestätigt. Eine Marktöffnung des Schweizer Schienennetzes begrüsse Flixtrain «ausdrücklich» und habe mehrfach das Interesse an Verbindungen in die Schweiz bekundet. Dazu stehe Flixtrain mit der EU-Kommission im ständigen Austausch.
Dieser scheint gefruchtet zu haben: Diese Woche kündigte die Kommission an, dass sie eine neue Flixtrain-Verbindung von Zürich nach München unterstützen will. Flixtrain würde in direkter Konkurrenz zu den Eurocity-Zügen fahren, die die SBB und Deutsche Bahn (DB) gemeinsam betreiben. Noch ist das ohne das Okay der SBB nicht möglich. Mit dem BAV hat sich die EU offenbar nicht abgesprochen: Eine «Überraschung» sei das Vorhaben, schrieb BAV-Chef Füglistaler diese Woche. Er warte «gespannt» auf die Anfrage der Kommission.
Weniger lockern nehmen es die SBB. Sie halten nichts von mehr Wettbewerb. Der Bundesrat habe die Marktöffnung im Jahr 2021 abgelehnt, sagt Sprecherin Sabrina Schellenberg. In der Beurteilung der SBB habe sich nichts geändert: «Die Kooperationsstrategie bewährt sich.»
In den Kantonen hingegen geniesst die Forderung nach einer Liberalisierung Unterstützung, etwa von Thierry Müller, Leiter der Abteilung für öffentlichen Verkehr des Kanton Graubünden. Nun müssten schnell grenzüberschreitende Trassen – also reservierte Fahrwege auf den Schienen – bereitgestellt werden, die attraktive Fahrzeiten ermöglichten, ohne das nationale System zu destabilisieren, schreibt er auf LinkedIn. Zudem brauche es Halbstundentakte in Städte wie Lyon, Mannheim oder Milano.
Allerdings stellen sich bei einer Liberalisierung praktische Fragen, vor allem jene nach der Verfügbarkeit von freien Trassen. Im dicht befahrenen Schweizer Schienennetz gibt es nur noch wenig Platz für zusätzliche Züge, zumal diese mit attraktiven Fahrzeiten und zu attraktiven Zeiten verkehren sollen.
Die Horrorvorstellung der Liberalisierungskritiker ist, dass Züge, die im Schweizer Taktsystem verkehren, zugunsten von solchen ausländischer Anbieter eingestellt werden müssten. Das BAV beschwichtigt. «Aus unserer Sicht können die Risiken einer Öffnung minimiert werden», sagt Sprecher Windlinger.
Eine solche könnte nämlich gesteuert werden. Ausländische Anbieter könnten etwa verpflichtet werden, eine Bewilligung einzuholen und hiesige ÖV-Tickets und Abos wie das GA und das Halbtax zu akzeptieren. Falls zwei Anbieter dieselbe Trasse möchten, könnte jenem Vorrang gegeben werden, der einen Zug anbietet, der im Schweizer Taktsystem verkehrt.
Ob es zur Öffnung kommt, müssen das Parlament und der Bundesrat entscheiden. «Selbstverständlich hat die Politik das letzte Wort», sagt Windlinger. Mit dem Wechsel an der Spitze des zuständigen Departements von Bundesrätin Simonetta Sommaruga (SP), die das SBB-Monopol hartnäckig verteidigte, zu Albert Rösti (SVP), dem marktwirtschaftliche Grundsätze auch im ÖV wichtiger sein könnten, ist in der Landesregierung ein Meinungswechsel möglich. (aargauerzeitung.ch)
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