Die Hamas drängt in Gaza zurück an die Macht – und bringt Trumps Plan bereits ins Wanken
Es ist eine der zentralen Bedingungen des Friedensplans von Donald Trump: Die Hamas muss die Waffen abgeben. Experten sehen darin die grösste Hürde auf dem Weg zu einem echten Frieden in Gaza. Denn die Terrorgruppe denkt gar nicht daran.
Nur wenige Tage nach Beginn der Feuerpause und dem Teilrückzug der israelischen Armee drängt die Hamas mit Gewalt zurück an die Macht im Küstenstreifen. Mit öffentlichen Hinrichtungen von Palästinensern, denen sie Kollaboration mit Israel vorwirft, demonstriert sie ihren Machtanspruch. Laut der israelischen Zeitung «Jediot Achronot» (ynet) hat die islamistische Gruppe «die Kontrolle über die wenigen Teile des Gazastreifens wiederhergestellt, die zuvor eine gewisse Eigenständigkeit erlangt hatten».
«Hamas setzt sich durch und gewinnt», schreibt auch der renommierte Nahost-Experte Ahmed Fouad Alkhatib auf X. Deren Kämpfer zwängen die rivalisierenden Clans, Familien und Oppositionellen, die Waffen niederzulegen und sich der Terrorherrschaft der Islamisten zu unterwerfen. «Anstelle der Hamas gibt deren Opposition die Waffen ab», schreibt Alkhatib. «Das ist ein Desaster.»
Seit dem Waffenstillstand zwischen Israel und der Hamas haben sich die Kämpfe innerhalb des Gazastreifens dramatisch verschärft. Clans begehren auf, die Hamas schlägt brutal zurück. Ein Überblick über die Lage in Gaza:
Der Al-Majayda-Clan
Auslöser der Warnung von Alkhatib ist eine Mitteilung des mächtigen Al-Majayda-Clans. Dieser ist eng mit der Fatah-Bewegung verbunden – die noch immer grössten palästinensischen Rivalen der Hamas. Die Fatah kontrolliert mittels der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) grosse Teile des Westjordanlands.
Der Al-Majayda-Clan lieferte sich zwei Wochen lang blutige Gefechte mit der Hamas. Eine wichtige Figur des Clans ist Hussam al-Astal. Er führt eine bewaffnete Gruppe im Süden des Gazastreifens an. Vor wenigen Tagen gab er sich noch siegesgewiss und schrieb auf Facebook: «An alle Hamas-Ratten, eure Tunnel sind zerstört, eure Rechte existieren nicht mehr. Bereut, bevor es zu spät ist – von heute an gibt es keine Hamas mehr.»
Zuvor hatte die Hamas einen Anschlag auf Mitglieder des Clans verübt. Laut Astal verschanzten sich Hamas-Kämpfer im Nasser-Krankenhaus und einer Moschee und schossen Granaten auf Clan-Angehörige. Die israelische Armee hat laut seinen Aussagen dabei geholfen, die Hamas-Zelle zu zerstören. Durch einen Luftangriff, den die Armee später bestätigte, starben 22 Hamas-Leute.
Die Israelis setzten im Kampf gegen die Terrorgruppe auch auf Clans wie Al-Majayda. Nun erklärte die Familie überraschend, ihre Waffen an die Hamas abzugeben.
Der Doghmush-Clan
Während Al-Majayda aufgibt, kämpft ein anderer Clan erbittert weiter. Mehr als zwei Dutzend Menschen starben allein am vergangenen Wochenende bei Kämpfen zwischen dem Doghmush-Clan und der Hamas. Dabei wurde auch ein Aktivist getötet, der während des Kriegs weltweit zu zweifelhaftem Ruhm kam.
Der eng mit der Hamas verbundene Saleh al-Jafarawi wurde durch seine Auftritte in den Sozialen Medien bekannt. Am Sonntag wurde er wahrscheinlich von Angehörigen des rivalisierenden Doghmush-Clans erschossen.
Der Familienverband ist einer der ältesten in Gaza – und erbitterter Gegner der Hamas. Die Familie hat verschiedene politische Posten in Gaza inne. Unklar ist, ob der Clan mit Israel kooperiert. Die Anführer bestreiten das.
Nizar Doghmush, Kopf des Clans in Gaza-Stadt, behauptete gegenüber der «Los Angeles Times», dass er vor einigen Wochen von einem Unterhändler kontaktiert worden sei. Dieser habe ihm mitgeteilt, Israel wolle, dass sein Clan die Verteilung von Hilfsgütern in einer humanitären Zone in Gaza-Stadt übernimmt.
Er habe abgelehnt, woraufhin die Armee Angriffe gegen sein Stadtviertel geflogen habe. Seinen Angaben zufolge kamen dabei 100 Clan-Mitglieder ums Leben. Betätigt ist das freilich nicht – zeigt aber, wie komplex die Lage in Gaza bereits vor dem Teil-Abzug der israelischen Armee war.
Yasser Abu Shabab
Verschiedene Clans und Banden stemmen sich gegen eine erneute Machtergreifung der Hamas. Teilweise auch mit israelischen Waffen: Die Miliz des Beduinen-Führers Yasser Abu Shabab aus Süd-Gaza wurde im Sommer dieses Jahres mit Sturmgewehren beliefert, um sich vor der Hamas zu schützen. Einige der Waffen hatte Israel zuvor der Hamas abgenommen. Abu Shabab wiederum bestreitet, Hilfe von Israel bekommen zu haben.
Die Hamas hat im Verlauf des Krieges Zehntausende Kämpfer verloren. Das dadurch entstandene Machtvakuum in Gaza nutzte Abu Shabab genau wie andere Clans und kriminelle Banden, um Gebiete unter seine Kontrolle zu bringen. Israel hat dies gezielt gefördert, um die Hamas in Gaza von Innen weiter zu schwächen.
Abu Shabab wiederum versprach, in dem von ihm kontrollierten Gebiet im Süden Gazas die Sicherheit von Hilfslieferungen vor Plünderern zu gewährleisten. Beschuldigt wurden allerdings auch seine eigenen Truppen, Hilfslieferungen zu stehlen. Zwei Mal versuchte die Hamas bereits, ihn zu ermorden.
Trump droht mit gewaltsamer Entwaffnung
Aktuell ist die Lage unübersichtlich. Neben den drei genannten gibt es zahlreiche weitere Clans und Milizen, die sich gegen die Hamas auflehnen. Auch dank israelischer Unterstützung haben sie in den letzten Monaten an Stärke gewonnen.
Aktuell sind die Doghmush-Familie und Abu Shababs Kämpfer die wichtigsten Gegenspieler der Hamas. Der Wegfall des Al-Majayda-Clans lässt jedoch befürchten, dass die Terrorgruppe in der undurchsichtigen Machtdynamik im Gazastreifen derzeit die besten Karten hat.
Eine wiedererstarkte Hamas wäre das Albtraum-Szerario. Denn Stufe zwei des Friedensplans von Donald Trump sieht vor, diese zu entwaffnen – und die Hamas macht keine Anstalten, dem Folge zu leisten.
Was dann passieren könnte, hat Trump bereits angedeutet. «Wenn sie sich nicht entwaffnen, werden wir sie entwaffnen, und das wird schnell und vielleicht gewaltsam passieren», sagte er. Der so mühsam erreichte Waffenstillstand wäre dann wohl aufgehoben, der Krieg ginge weiter. (aargauerzeitung.ch)