Die grosse Angst vor einem Mega-Crash
Jamie Dimon ist der CEO von JP Morgan, der aktuell erfolgreichsten Bank der Welt. Obwohl auch sein Institut glänzend verdient, ist ihm nicht mehr ganz wohl in seiner Haut. So erklärte er kürzlich: «Ich sollte dies wahrscheinlich nicht sagen, aber wenn ich eine Kakerlake sehe, dann gibt es wahrscheinlich noch mehr davon.»
Diese Bemerkung bezieht sich auf den Bankrott der First Brands Group. Dimon sieht darin mehr als einen Einzelfall. «Meiner Meinung nach war dies in vielerlei Hinsicht offener Betrug.»
Der Fall von Frist Brands ist tatsächlich weit mehr als eine Bagatelle. Er ist so etwas wie die amerikanische Antwort auf den soeben verurteilten österreichischen Betrüger René Benko, nur viel schlimmer.
Der CEO von Frist Brands heisst Patrick James. Er ist ein mehr als zwielichtiger Charakter. Geboren in Malaysia, kam er als Student mehr oder weniger mittellos in den USA an. Sehr bald war er in dubiose Geschäfte verwickelt. «Seit dem Jahr 2000 begleiten ihn Klagen und Artikel in der lokalen Presse», schreibt die «Financial Times». «Sie berichten von geschlossenen Fabriken, Pleiten und geprellten Gläubigern, die versuchten, seine Vermögenswerte zu beschlagnahmen.»
Trotzdem gelang es James, ein neues, scheinbar lukratives Geschäftsmodell zu entwickeln. Er spezialisierte sich darauf, kleineren Unternehmen ihre Forderungen abzukaufen und dafür eine Prämie zu kassieren. Vielleicht mögen sich einige erinnern, dass mit diesem Modell bereits Greensill Capital eine Mega-Pleite eingefahren und dabei die Credit Suisse endgültig ins Elend gestossen hatte.
Das schien jedoch niemanden zu kümmern. James pflegte den Lebenswandel eines Milliardärs, was konnte da schon schiefgehen? Die Kredite flossen reichlich, bis First Brands jetzt Konkurs anmelden mussten. Es besteht der Verdacht, dass Forderungen doppelt verbucht worden sind und sich wahrscheinlich rund zwei Milliarden Dollar in Luft aufgelöst haben.
Als Einzelfall wäre die Pleite von First Brands zu verkraften. Doch «das Fiasko hat die Aufmerksamkeit der Regulatoren rund um die Welt erweckt», meldet die «Financial Times». «Sie untersuchen, ob es nicht das Symptom einer systematischen Krankheit sei, welche eine beliebte Form der Finanzierung an der Wall Street betrifft.» Vielleicht werden sie dabei auf weitere Kakerlaken stossen, wie dies Dimon angetönt hat.
Übrigens: Wen wundert’s, dass auch die UBS in das üble Spiel involviert ist und jetzt um mehr als 400 Millionen Dollar bangen muss? Aber das ist eine andere Geschichte.
Neue Dotcom-Blase?
Nicht nur spektakuläre Pleiten rauben den Investoren den Schlaf. Auch die Symptome der Dotcom-Blase mehren sich. Für die Jüngeren unter euch: Obwohl sie noch nie auch nur einen Cent Gewinn erzielt hatten, wurden im Zuge der Internet-Euphorie in den Neunzigerjahren die Aktien vieler Startups zu Fantasiepreisen gehandelt. Nur schon das Anhängsel «.com» reichte aus, um die Gier der Investoren zu wecken.
Dieses Phänomen wiederholt sich in der KI-Euphorie der Gegenwart. Vor allem betroffen sind Unternehmen, welche versprechen, den riesigen Energiehunger der KI-Giganten zu befriedigen, Startups, die kleine Atomkraftwerke in Aussicht stellen wie Oklo. Auch dieses von Sam Altman gegründete Unternehmen kennt den Begriff «Gewinn» bisher nur vom Hörensagen, hat jedoch bereits eine Börsenkapitalisierung von 26 Milliarden Dollar erreicht.
Oklo ist in guter Gesellschaft. Die «Financial Times» erwähnt in diesem Zusammenhang mehrere andere Startups, die an der Börse Milliarden Dollar wert sind, jedoch bisher den Beweis schuldig bleiben, dass sie dereinst rentabel sein werden.
Generell ist bei den KI-Unternehmen noch viel heisse Luft im Spiel. «Zehn rote Zahlen schreibende KI-Startups haben in den vergangenen zwölf Monaten einen Wert an der Börse von über einer Billion (1000 Milliarden) Dollar erzielt», so die «Financial Times». «Das ist ein noch nie gesehener Zuwachs und nährt die Furcht, dass eine Blase aufgeblasen wird, die sich auf die gesamte Wirtschaft ausdehnen könnte.»
Wer sich die rosarote Brille aufsetzt, kann in diesem Phänomen auch etwas Positives entdecken. «Natürlich handelt es sich hier um eine Blase», sagt beispielsweise Hemant Taneja von der Venture Capital Firma General Catalyst. «Doch Blasen sind gut. Blasen lenken Kapital und Talente in neue Trends. Das wird zwar zu einzelnen Blutbädern führen, aber es schafft auch neue Geschäftsmodelle, welche die Welt verändern.»
Als Beispiel für diese These werden gerne Google und Amazon angeführt, die ebenfalls Kinder der Dotcom-Blase sind. Wer rechtzeitig in diese Unternehmen investiert hat, konnte die Verluste der Pleiten von anderen locker verkraften.
Schliesslich ist auch die Entwicklung des Goldpreises nicht etwa ein Grund zur Freude, sondern zur Sorge. Im laufenden Jahr hat er bereits seinen 47. Rekord erzielt und liegt derzeit bei über 4200 Dollar pro Unze. Gleichzeitig jedoch hat der Dollar gegenüber den wichtigsten anderen Währungen rund zehn Prozent eingebüsst. Der Run auf das Gold ist daher damit zu erklären, dass sich die Investoren ernsthafte Sorgen um die Sicherheit des Greenback machen. Und vergessen wir nicht: Die Weltwirtschaft hängt nach wie vor am Tropf des Dollars.
Nach der Finanzkrise 2008 erklärte Charles Prince, der damalige CEO der Citigroup, weshalb die ach so cleveren Banker die Gefahr der verbrieften Hypotheken nicht erkannt hätten, mit dem legendären Zitat: «Solange die Musik spielt, müssen wir tanzen.»
Warum die Banker tanzen müssen
Derzeit müssen die Banker erneut tanzen, denn noch spielt die Musik: Die Tech-Firmen und die Geldinstitute weisen Rekordgewinne aus. Doch wie vor der Finanzkrise haben die Banker beim Tanzen kein gutes Gefühl mehr. Fast täglich erscheinen in seriösen Wirtschaftsmedien wir der «Financial Times» und dem «Wall Street Journal» Artikel, die vor einem bevorstehenden Crash warnen.
Ted Pick, CEO der Investmentbank Morgan Stanley, spricht denn auch im «Wall Street Journal» von einer Gefühlslage seiner Kollegen, die «eine nicht komfortable Mischung aus Makro-Unsicherheit und gewaltigen Gewinn-Chancen» darstelle.
Man kann mit Ted Pick fühlen. Der Euphorie an der Wall Street steht eine höchst unsichere Lage der realen Wirtschaft gegenüber. Die Inflation steigt munter weiter, Firmen stellen kaum mehr neue Mitarbeiter an, die Staatsschulden sind horrend, und politisch sind die USA einmal mehr wegen eines Shutdowns gelähmt. Zudem nimmt der Handelskrieg mit China erneut Fahrt auf. Den Präsidenten scheint dies alles nicht zu kümmern. Spielt er nicht Golf, widmet sich Donald Trump hauptsächlich der Frage, wie er das Weisse Haus in ein modernes – allerdings stilloses – Versailles verwandeln kann.
So schlimm wären die Folgen
Das mulmige Gefühl der Investoren wird verstärkt durch die Tatsache, dass ein allfälliger Crash katastrophale Folgen haben könnte und der Schaden weit grösser sein würde als seinerzeit beim Platzen der Dotcom-Blase. In einem Gast-Essay im «Economist» schreibt Gita Gopinath, die ehemalige Chefökonomin des Internationalen Währungsfonds:
Sollte die Prophezeiung von Gina Gopinath eintreffen, müssen wir uns alle warm anziehen: