Roche will für mindestens 7,1 Milliarden Dollar die US-Gemeinschaftsfirma Televant übernehmen. Das New Yorker Pharma-Start-up Roivant hat dort seine Interessen an einem vielversprechenden Molekül zur Behandlung chronisch-entzündlicher Darmerkrankungen parkiert. Roche wagt die grösste Akquisition seit der Vollübernahme von Genentech im Jahr 2009 für 46,8 Milliarden Dollar.
Chronisch-entzündliche Darmerkrankungen sind vor allem in den westlichen Industrieländern im Wachstum begriffen. «Morbus Crohn» oder «Colitis ulcerosa», wie die Leiden im medizinischen Jargon heissen, manifestieren sich zum ersten Mal typischerweise bei Männern und Frauen im Alter zwischen 20 und 30 Jahren. Nicht selten kommt es zu gravierenden Symptomen, die für die Betroffenen eine massive Einschränkung der Lebensqualität bedeuten. Therapien für eine vollständige Heilung gibt es bis dato keine.
Dass sich Roche gerade in diesem Bereich mit einer Milliardenakquisition verstärken will, kommt nicht von ungefähr. Morbus Crohn und Colitis ulcerosa haben das Potenzial grossen volkswirtschaftlichen Schaden anzurichten. In solchen Situationen wittert die Pharmaindustrie besonders gute Chancen für neue und teure Therapieansätze.
Deshalb hat der Kampf gegen die rot-heissen Därme in der jüngsten Zeit gleich mehrere Multis in Bewegung versetzt. Im April legte der US-Konzern Merck & Co. 10,8 Milliarden Dollar auf den Tisch gelegt, um die kleine Prometheus Biosciences zu erwerben. Diese hatte mit der Entwicklung einer neuartigen Antikörpertherapie gerade sehr vielversprechende Ergebnisse erzielt.
Anfang dieses Monats setzte auch die französische Sanofi mit einer Vorauszahlung in Höhe von rund 500 Millionen Dollar den Fuss in ein entsprechendes Forschungsprojekt des israelischen Teva-Konzerns.
Roche sei im Januar, anlässlich der JP Morgan Health-Care-Konferenz in San Francisco, mit Roivant ins Gespräch über eine Zusammenarbeit gekommen, sagte eine Roche-Sprecherin auf Anfrage. Kurz davor hatte Roivant die Ergebnisse einer klinischen Studie mit 245 Patienten präsentiert, die Roivant selbst als «best in Class» preist. RVT-3101, wie die Roivant-Therapie im Arbeitstitel heisst, soll insbesondere im Vergleich zu der nur ein Monat zuvor präsentierten Prometheus-Studie besonders gut abgeschnitten haben.
Die Roivant-Aktien haben sich an der Nasdaq in New York seit Jahresbeginn um mehr als 170 Prozent verteuert. Der von Roche bezahlte Preis für das Flaggschiffprojekt des 2014 vom 38-jährigen Investor, Selfmade-Unternehmer, Politaktivisten und republikanischen US-Präsidentschaftskandidaten Vivek Ramaswamy gegründete Unternehmen ist weitestgehend in dessen Marktbewertung eingeflossen.
Derweil zeigten die Roche-Titel an der Six Swiss Exchange aber keine erkennbar positive Reaktion. Die Roche-Valoren notierten in einem schwachen Gesamtmarkt leicht unter dem Vorwochenniveau und verkehren im Zug einer aktuellen Wachstumsdelle auf einem Mehrjahrestief.
Dabei ist offensichtlich, dass eine erfolgreiche Therapie gegen chronisch-entzündliche Darmerkrankungen ein jährliches Umsatzpotenzial in Milliardenhöhe besitzt. Gemäss Roche leiden fast acht Millionen Menschen weltweit unter der Krankheit und das Molekül des neuen Therapieansatzes berge «einen erheblichen Patientenmehrwert».
Die Therapie zielt darauf ab, ein Gen zu blockieren, das von der aktuellen Forschung als Hauptursächlich für die Entzündungen und Narbenbildungen im Darmbereich identifiziert wurde. Bisher beschränkt sich die Behandlung der Patienten auf Kortison und operative Eingriffe zur Linderung der Schmerzen.
Die neue Therapie muss ihre Wirkung aber noch in einer dritten und entscheidenden klinischen Studie unter Beweis stellen. Es bleibt abzuwarten, ob die mit dem Ansatz verbundene Unterdrückung des Immunsystems keine schlimmeren Nebenwirkungen hervorbringen wird. So oder so ist Roche mit der grössten Akquisition seit 14 Jahren eine Wette eingegangen die auch zeigt, dass der Konzern unter Thomas Schinecker nicht damit rechnet, die aktuelle Wachstumsflaute ganz aus eigener Kraft überwinden zu können.
Roche hat die Akquisition mit Fremdkapital finanziert. Die Nettoverschuldung, die 2021 im Zug des Rückkaufes der Roche-Beteiligung von Novartis für 19 Milliarden Franken auf über 18 Milliarden Franken gestiegen war, wird deshalb weiter zunehmen.