Der Schweizer Spitzenschwinger Stucki Christian sagt, was Sache ist, möchte man meinen. In einem Werbespot für den deutschen Grossisten Lidl steht er mit seinem Namen hin und sagt: «Weil ich weiss, wo das Fleisch vom Lidl herkommt, weiss ich auch, dass das gesamte Rindfleischsortiment aus besonders tierfreundlicher Stallhaltung kommt, also BTS-zertifiziert ist.» Wirklich?
Der Spot stösst Hansuli Huber, Geschäftsführer des Schweizerischen Tierschutzes (STS), sauer auf. Seine Kritik: «Wenn Lidl BTS als Tierwohl-Labelstandard bezeichnet, ist das Konsumentenverwirrung. Sie glauben, neben einem schönen Stall hätten diese Tiere auch Auslauf.» Zwar sei die Bezeichnung BTS für Nutztiere besser als nur die Minimalanforderungen der Tierschutzgesetzgebung. Doch deswegen sei BTS für sich alleine genommen noch lange nicht «labeltauglich». Alle gebräuchlichen Label bezüglich Tierwohl setzten nämlich viel höhere Ansprüche.
Doch was ist BTS genau? Und wie tierfreundlich ist dieses angebliche Zertifikat? BTS ist die Abkürzung für «Besonders Tierfreundliche Stallhaltung». Und wie Huber moniert, ist es kein «Label» oder «Zertifikat»: BTS ist eine Verordnung des Bundes. Für die Landwirte ist sie – im Gegensatz zu den Anforderungen der Tierschutzgesetzgebung, die von allen Direktzahlungsempfängern zwingend erfüllt werden müssen – freiwillig.
Neben BTS gibt es vom Bund auch das RAUS-Programm (Regelmässiger Auslauf) – ebenfalls freiwillig. Auf der Homepage des Bundesamtes für Landwirtschaft heisst es: «Jeder Landwirt kann wählen, mit welchen Tierkategorien er an einem oder an beiden Programmen teilnimmt.» Die Mehrleistungen der Landwirte, zum Beispiel für grössere Stallflächen und Einstreue bei BTS-Haltung, werden vom Bund sowie durch einen höheren Verkaufspreis für besonders tierfreundlich produzierte Nahrungsmittel abgegolten.
Das BTS-System geht zwar über die Basis-Bestimmungen des Tierschutzgesetzes hinaus. Für die Kühe ist ein Leben auf der grünen Wiese aber nicht zwingend inbegriffen. Gemäss der Verordnung müssen die Rinder nur «dauernd Zugang zu einem Liegebereich und einem nicht eingestreuten Bereich haben». Ob die Tiere den ganzen Tag im Stall gestanden haben oder ob sie auch Auslauf hatten, weiss der Konsument nicht, wenn er sich für dieses Fleisch entscheidet. Ganz im Gegensatz zu Fleisch aus der Produktion mit einem Tierschutzlabel.
Für Huber ist klar: «Wer etwas für die Tiere tun will, muss sie nach draussen lassen. BTS garantiert zwar eine gute Stallhaltung, aber zusätzlicher Auslauf ins Freie ist für eine artgemässe Haltung zwingend.» Dass Lidl in einem Werbefilm voller grüner Wiesen und Landidylle für das BTS-Fleisch wirbt, überrascht Huber nicht. Im regelmässig vom Schweizerischen Tierschutz durchgeführten Ranking der Detaillisten schneiden die deutschen Discounter Aldi und Lidl am schlechtesten ab – weit hinter Coop und Migros. Die Branchenführer lassen ihr Fleisch von strengeren Labels zertifizieren.
Nadine Archimoeitz, Mediensprecherin von Lidl Schweiz, sagt, dass der Discounter das Thema Tierschutz sehr ernst nehme und es ihm ein grosses Anliegen sei. Aus diesem Grund sei man mit dem Schweizer Tierschutz in regelmässigem Kontakt. Die BTS-Anforderungen, die von den Lieferanten eingehalten würden, seien höher als diejenigen in der Schweizer Tierschutzverordnung. «Darum können wir die Einschätzungen des STS nicht nachvollziehen.» Gemäss den Marktbeobachtungen von Lidl bieten die anderen Detailhändler billige Importware an – und diese erfülle nicht einmal die Standards der Schweizer Tierschutzgesetzgebung.
Im Gegensatz zu Lidl setzt Coop vor allem auf Rindfleisch aus Labelprogrammen, wie Pressesprecher Ramon Gander betont. Rund 60 Prozent des Fleisches stamme aus Betrieben, die «punkto Haltung, Schlachtung und Fütterung deutlich höhere Anforderungen ans Tierwohl haben als beispielsweise die BTS-Verordnung.»
Zwar lässt Coop seine Einkäufe von «Natura Beef» und «Bio Natura Beef» zertifizieren (siehe Box). Damit wird garantiert, dass das Kalb während mindestens zehn Monaten bei der Mutter und der Herde aufwächst und täglich mehrere Stunden auf der Weide verbringt. Doch auch Coop ist noch weit von einem vollständig nachhaltigen Sortiment entfernt. Gander betont denn auch, dass der Anteil an Labelfleisch weiter steigen werde: «Die erhöhte Nachfrage nach derartigen Produkten bestätigt uns, dass wir damit auf dem richtigen Weg sind.»
Auch Migros lässt einen Teil des Schweizer Rindfleisches nach den Vorgaben des Gesetzgebers produzieren – zum Beispiel nach der BTS-Verordnung. Sonst setzt der orange Riese auf die Integrierte Produktion (IP). Monika Weibel vom Migros-Genossenschaftsbund: «Die IP-Suisse-Bäuerinnen und -Bauern halten ihre Tiere in besonders tierfreundlichen Stallungen (BTS) mit Auslauf ins Freie (RAUS).» Bei der importierten Ware bestätigt Weibel, dass der Schweizer Standard im Tierschutzgesetz auch von der Migros nicht eingehalten werden kann. Sie verspricht aber: «Wir werden die Schweizer Vorgaben betreffend Tierwohl bis 2020 einführen.»