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Wovor sich die Schweiz bei einem Immo-Crash am meisten fürchten muss

Wovor sich die Schweiz bei einem Immobilien-Crash am meisten fürchten muss

Ehe die Zinsen stiegen, war die Welt noch in Ordnung. Heute nicht mehr. Vom Umgang mit der Zinswende.
13.05.2023, 16:1213.05.2023, 16:14
Niklaus Vontobel / ch media
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Immobilien boomten, boomten, boomten. So war das in den Jahren 2020 und 2021, in nahezu allen Industriestaaten. Die Preise seien auf Rekordhöhen gestiegen, schreibt der Internationale Währungsfonds (IWF) in seinem aktuellen «World Economic Outlook». Doch im Frühling 2022 war es auf einmal vorbei. In zwei Dritteln aller Länder sanken die Preise; überall sonst stiegen sie noch, aber viel langsamer.

Hinter der Wende bei den Immobilienpreisen stand eine andere Wende: jene der Zinsen. In den Jahren 2020 und 2021 fielen sie rekordtief. Danach mussten die Zentralbanken gegen die Inflation kämpfen, und die Zinsen schossen in den Industriestaaten in die Höhe – in einer der mächtigsten Zinswenden seit Jahrzehnten. Die Hypothekarzinsen standen Anfang 2022 durchschnittlich bei 2.8 Prozent, Ende 2022 bei 6.8 Prozent. Auf einmal sind die Zinskosten bei einem Eigenheim-Kauf mehr als doppelt so hoch. Das drückt auf die Nachfrage - und damit auch die Immobilienpreise.

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Immobilien in Zürich.Bild: KEYSTONE

Wie geht es weiter? Berichte des IWF zeigen, in welchem Land die Crash-Gefahr am grössten ist und was die Zinswende dort schon bewirkt hat.

Der weltweite Überblick

Der IWF hat fünf Kriterien identifiziert, die einen Preisrückgang oder gar einen Crash wahrscheinlicher machen. Wenn Haushalte besonders hohe Hypothekarschulden haben gemessen an ihren Einkommen, wiegen die Zinskosten umso schwerer. Eine Zinswende entfaltet darum mehr Wirkung. Zugleich schlägt diese Wende umso schneller durch, je häufiger Hypotheken mit variablen Zinsen abgeschlossen wurden. Das ist das zweite Kriterium, das Immobilienmärkte anfällig macht.

Die dritte Kriterium ist, wie viele Eigenheimbesitzende überhaupt eine Hypothek haben und somit die Zinswende zu spüren bekommen. Viertens können Preise umso tiefer fallen, je höher sie zuvor nach oben gingen. Auf Übertreibungen folgen häufig Untertreibungen. Und zuletzt schaut der IWF auf das Ausmass der bisherigen Zinswende: Je höher die jeweilige Zentralbank ihre Leitzinsen anhob, umso grösser die Belastung durch steigende Zinskosten.

Der IWF hat 27 Länder nach diesen Eigenschaften in ein Ranking eingeteilt: je höher, desto grösser die Crash-Gefahr. Zuoberst finden sich demnach Kanada, Australien und Luxemburg. Nur leicht weniger gefährdet sind Norwegen, Schweden und die Niederlande. Ebenfalls noch weit oben in diesem Risiko-Ranking sind die USA, Portugal und Dänemark. Vergleichsweise entspannt ist die Lage rund um die Schweiz herum, in Österreich, Frankreich, Deutschland und Italien. (Tabelle am Artikelende)

Schauplatz Kanada

Kanada hat einen Boom hinter sich. In zwei Jahrzehnten verfünffachten sich die Immobilienpreise nahezu, wobei es in der Pandemie besonders schnell hochging. Von April 2020 bis Februar 2022 gab es nochmals eine Zunahme um 50 Prozent. Schliesslich war erreicht, was der IWF in seinem Länderbericht so bezeichnet: «unhaltbare Höhe».

Es folgte die Zinswende und damit der Abstieg aus jenen unhaltbaren Höhen. Bislang gab es einen Preisrückgang um 16 Prozent. Die Zinskosten sind nun doppelt so hoch, was bis Jahresende auf schätzungsweise 30 bis 40 Prozent aller Hypotheken durchschlagen wird. Und die Nachrichtenagentur Bloomberg berichtet können bereits viele Haushalte die Zinsen nicht mehr stemmen.

Die Banken sind darum unter Zugzwang geraten: Zahlungsausfälle wollen sie nicht, Zwangsverkäufe erst recht nicht. Also lockern sie ihre Standards. Die Rückzahlungen werden ausgesetzt; die Zinsen nicht eingefordert, sondern auf die Hypothek draufgeschlagen. Laufen Hypotheken aus, kommen sie entgegen.

So erwarten es auch die Regulierungsbehörden. Die Banken sollen helfen, Zahlungsausfälle zu vermeiden. So steht es auch in einem Entwurf von Leitlinien zum Umgang mit dem raschen Zinsanstieg. Und alles hofft, dass die kanadische Notenbank, die Bank of Canada, die Leitzinsen schon vor Jahresende wieder senkt.

Wie geht es aus in Kanada? Der IWF glaubt, die Immobilienpreise würden ab dem Höhepunkt «um 20 Prozent oder mehr» sinken, verteilt über die nächsten paar Jahre. In einigen Städten könne es deutlich mehr sein. Alles in allem sei eine «gesunde Korrektur» am wahrscheinlichsten, doch könne es wesentlich schlechter herauskommen. Etwa dann, wenn die Inflation hoch bleibt und die Zentralbank die Leitzinsen noch mehr erhöhen muss.

Das grösste Risiko für die Schweiz

So wie für Kanada klingt es auch für die Schweiz. Am meisten Sorgen mache ihm die Inflation, sagt Experte Donato Scognamiglio vom Beratungsunternehmen Iazi. Sollte sie nicht bald wieder unter die Marke von 2 Prozent fallen, werde die Schweizerische Nationalbank deutlich mehr tun müssen als bisher geglaubt – was Folgen hätte. Scognamiglio: «Viele Geschäftsmodelle werden nicht mehr aufgehen.»

Warum dich die Inflation betrifft & was der Leitzins damit zu tun hat – kurz erklärt

Video: watson/Helene Obrist, Emily Engkent

Aktuell wird von vielen Experten eine eher milde Zinswende erwartet: Im Juni geht der Leitzins nochmals um 0.25 Prozentpunkt hoch - und das würde genügen, die Inflation wäre besiegt, die Zinswende beendet bei einem Satz von 1.75 Prozent. Doch was, wenn dies nicht genügt? Was, wenn die Inflation nicht unter die 2-Prozent-Marke fällt?

Scognamiglio glaubt, dass es durchaus so kommen könnte und Nationalbank-Präsident Thomas Jordan dann mit dem Leitzins bis auf 2.5 Prozent hoch müsste. Dadurch würden die Zinsen auf Geldmarkthypotheken mindestens auf 3 Prozent steigen, Auf 10-jährige Festhypotheken müsste noch wesentlich mehr bezahlt werden.

Von den vielen Geschäftsmodellen, die nun überhaupt nicht mehr aufgehen, gehört etwa «buy-to-let». Das ist der Kauf von Eigenheimen nicht zum Eigengebrauch, sondern zur Vermietung. Wer dafür eine Hypothek aufgenommen hat, verdient heute schon kaum mehr etwas; bei noch höheren Zinsen ist es endgültig ein Verlustgeschäft, wie Scognamiglio sagt. Man zahle der Bank mehr, als man Einnahmen habe. «‹Buy-to-let› ist tot: Keiner steigt mehr ein; wer es schon getan hat, muss drauflegen.»

In einer nächsten Phase kämen mehr Eigenheime auf den Markt. Viele Investoren mit gescheiterten Geschäftsmodellen würden irgendwann nicht länger draufzahlen wollen und verkaufen, jedoch mit einem Abschlag. Die Preise fallen, andere Geschäftsmodelle kommen unter Druck - und so ginge es weiter in einer typischen Abwärtsspirale, bis Bund und Nationalbank eingreifen.

An einen solchen «Riesencrash» glaubt Scognamiglio indessen nicht. Die Nachfrage nach Immobilien bleibe hoch, nicht zuletzt durch die Zuwanderung und den steigenden Pro-Kopf-Bedarf an Wohnraum. Zugleich bleibe das Angebot knapp. Weil das Bauen auf der grünen Wiese durch die Raumplanung verboten ist und in den Zentren erschwert wird durch Einsprachen und Vorschriften. Und werde mal gebaut, müsse zuerst abgerissen werden. So fallen bei einem Neubau mit 100 Wohnungen erst 40 weg, netto kommen nur 60 hinzu.

Letztlich sei es mit dieser Zinswende wie mit einem Gewitter, das in der Ferne aufzieht, sagt Scognamiglio. «Man weiss nicht, ob es an einem vorbeizieht oder auf einen zusteuert.» (aargauerzeitung.ch)

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77 Kommentare
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Katerchen
13.05.2023 19:16registriert März 2023
Da in der Schweiz viele Wohneigentümer ihre Häuser und Wohnungen mit Festhypotheken finanzieren werden die gestiegenen Zinsen erst in ein par Jahren voll spührbar werden. Zusätzlich rechnet die Bank bei der Vergabe der Hypothek mit 5% Hypozins, 1% Unterhalt und 1% Amortisation. Ist also noch etwas Luft nach oben.
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Rethinking
13.05.2023 16:37registriert Oktober 2018
Gegen 20% Tiefere Preise hätte ich nix dagegen…
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Heureka Helvetia
13.05.2023 23:09registriert August 2022
Die Schweiz, das Land der staatlich geförderten Hypotheken. Erstaunlich, diese Businessprivilegien der Banken vom Staat mit unserem Steuersystem. Money, money..
Wohl nirgendwo wie in der Schweiz ist es derart attraktiv, sich für Wohneigentum derart stark zu verschulden . Im Ausland werden Hypotheken vermieden, reduziert/möglichst rasch abbezahlt. Bei uns wird man fin. bestraft, wenn man keine Hypothek hat. Das kann sich rächen. Obschon man sich daran gewböhnt hat - eine Änderung des Systems wäre für eine weniger starke Verschuldung langfristig schon eine bessere Option, nehme ich mal an.
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