Die Aktienkurse rauschen in den Keller, die Konjunkturaussichten sind zumindest für die Eurozone und damit auch für die Schweiz wenig erbaulich. Die Angst vor einer neuen Rezession raubt den Notenbankern und Politikern den Schlaf. Ernüchterung macht sich breit. Was ist passiert?
«Der Euro hat in den letzten Tagen gegenüber dem US-Dollar wieder an Wert gewonnen, das sieht zumindest nicht nach einer Währungskrise aus», sagt Felix Brill, Ökonom bei Wellershoff & Partners. Nichtsdestotrotz habe die Verunsicherung über die Verfassung der Eurozone zugenommen. «Schwache Konjunkturdaten insbesondere aus Deutschland haben dazu beigetragen, aber auch unglückliche Signale von der griechischen Politik», sagt Brill.
Hinzu kommt, dass die Resonanz auf die neuen Massnahmen der EZB bisher enttäuschend ausgefallen ist. «Von der negativen Stimmungslage der Jahre 2011 und 2012 sind wir aber noch weit entfernt», so Brill.
«Derzeit wirkt es so, als ob von den meisten Beobachtern nur die negativen Dinge wahrgenommen werden», konstatiert Brill. Dabei gehe unter, dass die Ausgangslage heute eine viel bessere sei als noch vor zwei, drei Jahren.
Der Ökonom verweist auf die institutionelle Ebene, dort habe man wichtige Fortschritte erzielt: «Die spanische Wirtschaft etwa wächst inzwischen wieder kräftig. Problematisch ist jedoch, dass die Erholung in vielen Ländern bereits wieder an Schwung verloren hat und dass der deutschen Wirtschaft die Kraft auszugehen scheint», so Brill. Gerade die deutsche Wirtschaft ist für eine Gesundung der Eurozone von enormer Bedeutung.
Trotz zum Teil enttäuschender Konjunkturdaten deuten etwa die Konjunkturumfragen der Europäischen Kommission bei Unternehmen und Konsumenten immer noch auf Wachstum. «Sollte sich das auch in wieder besseren realwirtschaftlichen Daten widerspiegeln, stehen die Chancen gut, dass die Wahrnehmung wieder etwas realistischer wird», sagt Brill.
Sollte sich die Konjunkturdaten jedoch weiter verschlechtern, bestehe die Gefahr, dass es zu einer sich selbst verstärkenden negativen Stimmungsspirale kommen könnte. «Seit 2012 wissen wir jedoch, dass die EZB bereit ist, bei Bedarf energisch einzugreifen. Das macht eine Krise wie in den Jahren 2011 und 2012 derzeit wenig wahrscheinlich», so Brill.
Das Inflationsbarometer der EZB fiel zuletzt auf 1,73 Prozent und damit auf ein Rekordtief. Das bedeutet: In den nächsten zehn Jahren trauen es die Investoren der EZB nicht mehr zu, das Preisniveau wieder in Richtung ihrer Zielmarke von zwei Prozent zu lenken. In der Vergangenheit war das Barometer bei Werten von um die 2,3 Prozent fest verankert.
Noch sind es vor allem die fallenden Preise bei Lebensmitteln und Energie, die die Gesamtteuerung nach unten ziehen. Doch die Gefahr besteht, dass sich dieser Abwärtssog auch in die gesamte Volkswirtschaft hineinfrisst und zu einem Preisverfall auf breiter Front führt.
Klar ist: Wir befinden uns zurzeit in einem schwachen wirtschaftlichen Umfeld. Dennoch sollten die jüngsten Signale aus der Wirtschaft nicht überbewertet werden, meint Panagiotis Spiliopoulos, Leiter Research bei der Bank Vontobel. Nach Einschätzungen des Experten gilt das vor allem mit Blick auf die USA. Dort gebe es wenig Anzeichen einer Konjunkturabkühlung. «Die hohen Wachstumserwartungen wurden eben enttäuscht. Darauf haben die Märkte reagiert.»
Mit Blick auf Europa hält Spiliopoulos die Konjunkturaussichten zwar nicht für rosig, aber längst nicht für so trübe, wie die Anlegerstimmung signalisiere. «Seit 2012 geht es in langsamen Schritten kontinuierlich aufwärts. Dass die Gesundung ein langwieriger und schmerzhafter Prozess sein würde, war von Beginn weg klar», sagt er.
Der Internationale Währungsfonds (IWF) fürchtet einen Rückfall der Eurozone in die Rezession, wenn die Regierungen der Mitgliedstaaten nichts an ihrer Politik ändern. «Wir sagen nicht, dass die Zone auf dem Weg in die Rezession ist», sagte IWF-Chefin Christine Lagarde letzten Donnerstag in Washington. «Aber wir sagen, dass es ein ernstes Risiko gibt, dass dies passiert, wenn nichts getan wird.»
Lagarde bezifferte das «ernste Risiko», dass die Währungsgemeinschaft in die Rezession rutscht, auf «nicht unerhebliche» 35 bis 40 Prozent.
Der Währungsfonds hatte seine Prognose für das weltweite Wirtschaftswachstum in diesem Jahr auf 3,3 Prozent gesenkt – das sind 0,1 Prozentpunkte weniger als in der Konjunkturprognose vom Juli. Der Ausblick für die Eurozone wurde um 0,3 Prozentpunkte auf 0,8 Prozent gesenkt. Im kommenden Jahr dürfte die Wirtschaftsleistung im Euroraum demnach statt um 1,5 Prozent nur um 1,3 Prozent zulegen.
Die eingetrübte Konjunkturperspektiven belasten die Märkte. Zudem befinden sich die Rohstoffpreise – ein Barometer für die wirtschaftliche Lage – auf Talfahrt. Zu den Sorgen über den wirtschaftlichen Kriechgang in der Eurozone gesellt sich die Verunsicherung durch Krisen im Nahen Osten und der Ukraine sowie die Furcht vor einer Ausbreitung von Ebola.
«Die Anleger sind nervös, verkaufen und nehmen die Gewinne mit», sagt Spiliopoulos. Auch an den Anleihemärkten dominiert die Angst. Die Risikoaufschläge für Papiere aus den europäischen Krisenländern zogen stark an. «Die Korrektur an den Finanzmärkten sollte jedoch nicht überbewertet werden», sagt Spiliopoulos.
Die Abkühlung der deutschen Konjunktur ist eine schlechte Nachricht für die Schweizer Wirtschaft. Mit Deutschland, Frankreich und Italien schwächeln nun drei der vier wichtigsten Handelspartner der Schweiz. Das macht sich nicht nur bei der Exportwirtschaft bemerkbar, sondern wirkt sich auch auf Investitionsentscheide am Standort Schweiz aus, der aufgrund der Unsicherheit über das zukünftige Verhältnis zur EU ohnehin unter Druck steht.
«Hinzu kommt, dass sich die ‹Sonderkonjunktur› der Schweizer Binnenwirtschaft wohl ihrem Ende nähert, da die positiven Effekte der Zuwanderung und fallender Importpreise, die in den letzten Jahren die private Konsumnachfrage und den Immobilienmarkt angetrieben haben, immer mehr an Kraft verlieren», resümiert Ökonom Brill. All das lasse eine langsamere Gangart der Schweizer Konjunktur befürchten.
(Mit Material von Reuters)