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In den Siebzigerjahren war das Label «Bio» verbunden mit Zurück-zur-Natur-Romantik und alternativen WGs wie Longo Mai. Heute schreiben es sich Unternehmen wie Monsanto und Nestlé auf ihre Fahnen. «Alle Dinge, die uns ernähren, kleiden, fortbewegen und pflegen, sollen zunehmend aus biologischen Quellen hergestellt und mit biologischem Wissen optimiert werden», stellt Christiane Grefe in ihrem Buch «Global Gardening» fest.
Die Reporterin der «Zeit» geht darin einem Megatrend der modernen Wirtschaft nach, der Bioökonomie. Ob in Hochschulen, Garagen von Startups oder den Labors der multinationalen Konzernen: Überall wird mit Hochdruck daran geforscht, wie man die «Biologisierung der Volkswirtschaft» vorantreiben kann.
Die Ziele sind dabei hoch gesteckt. Joachim von Braun, Professor für Agrarwissenschaft an der Universität Bonn und Mitglied des Bioökonomierats, geht davon aus, dass bis Mitte des Jahrhunderts 50 Prozent aller Produkte auf biologischer Grundlage erzeugt werden.
Die Bioökonomie geht Hand in Hand mit der Digitalisierung der Gesellschaft. Big Data trifft auf Biotech. Weil es dank immer leistungsfähigeren Computern möglich geworden ist, die Natur immer präziser zu analysieren, kann sie immer häufiger in eine Art Legosteine zerlegt und neu zusammengesetzt werden. Das Erbgut von Pflanzen und Tieren kann heute rasch und billig sequenziert werden. Das ermöglicht eine Turbozüchtung, eine «Lego-Wissenschaft», gewissermassen.
«Zugleich beschwören Wissenschaftler deren gesellschaftsverändernden Charakter und vergleichen sie mit der Chemierevolution im 19. Jahrhundert», stellt Grefe fest.
Das allerdings ist Science Fiction. Schon heute wird die Bioökonomie wirtschaftlich immer interessanter. Das muss sie auch. Um den Hunger einer nach wie vor wachsenden Weltbevölkerung zu stillen, muss sich die Nahrungsmittelproduktion bis Mitte dieses Jahrhunderts verdoppeln.
Ein Innovationsschub ist daher dringend nötig, und er zeichnet sich bereits ab. Ein Beispiel ist das «Vertical Farming» in Holland. Das sind eigentliche Lebensmittelfabriken in High-Tech-Treibhäusern, die mitten in Städten für Nahrung sorgen:
Bioökonomie bewegt inzwischen auch die Finanzmärkte. Der Gouverneur der Bank of England, Mark Carney, hat im vergangenen Herbst Investoren vor «potenziell riesigen Verlusten» im Kohlenwasserstoff-Energiebereich gewarnt. Umgekehrt wird Cleantech zunehmend zum Wachstumstreiber.
«Manager von Allianz bis Evonik schwärmen schon davon, dass Umwelttechnologien derzeit einen neuen «Kondartjew-Zyklus» in Gang setzen, einen durch Innovation beschwingten Wirtschaftsaufschwung», stellt Grefe fest.
Unter Druck gerät auch die traditionelle Gentechnik. Die Digitalisierung hat das so genannte Genome Editing ermöglicht, eine weit subtilere Art der Manipulierung von Saatgut. Anders ausgedrückt: Die alte Gentech ist eine Axt, Genome Editing ein Skalpell. Das hat weitreichende Konsequenzen: Das umstrittene Pestizid Glyphosat wird überflüssig.
Die Entwicklung hat teilweise auch die etablierten Player auf dem falschen Fuss erwischt, vor allem Monsanto. Das Feindbild der Gentech-Gegner hat zulange auf die Verbindung von traditioneller Gentech und Glyphosat gesetzt und die jüngsten Fortschritte verschlafen. Deshalb versuchte Monsanto auch verzweifelt und vergeblich, Syngenta zu kaufen.
Die Gründe erläutert Juan Gonzales-Valero vom Basler Agro-Unternehmen:
Die Folgen werden weitreichend sein. Gonzales-Valero rechnet damit, «dass wir innerhalb der nächsten zwei Jahrzehnte die Landwirtschaft in einem Ausmass verändern müssen, wie wir es in der Geschichte noch nie gesehen haben.»
Genom Editing und Synthetische Biologie: Handelt es sich da nicht um alten Wein in neuen Schläuchen? Wird da nicht einmal mehr versucht, ein soziales und gesellschaftliches Problem technokratisch und profitorientiert zu lösen? Vor allem in den Entwicklungsländern stellt sich diese Frage.
In Afrika ist die Landwirtschaft immer noch meilenweit von der Produktivität der westlichen Länder entfernt. Die einheimischen Bauern wurden durch subventionierte Billigimporte aus Europa schwer geschädigt, stellt Grefe fest:
Mit Synthetischer Biologie soll nun dieser Rückstand wieder wettgemacht werden. Dabei wird das Kind mit dem Bade ausgeschüttet. Afrika ist nach wie vor ein Kontinent von Kleinbauern. Wenn ihre Felder an grosse Konzerne und Investoren verschachert werden – das viel zitierte Landgrabbing –, dann wandern sie in die Städte aus, wo ein Leben in Armut in schlimmsten Slums auf sie wartet.
Zu glauben, man könnte diesen Menschen in vernünftiger Frist Arbeit und ein menschenwürdiges Dasein verschaffen, ist eine Illusion. «Die Welt braucht einfach nicht eine Milliarde mehr Automechaniker oder IT-Berater», stellt Pevan Sukhdev fest, ein zum Vorkämpfer der Biodiversität mutierter Ex-Banker.
Es braucht daher eine Bioökonomie von unten. Zum Glück gibt es das bereits. Sie heisst Agroökologie und stammt ursprünglich aus den USA. Darunter versteht man Agrarsysteme und ihre Wechselwirkung auf die sie umgebenden Ökosysteme: Wälder, Arten, Klima, Gewässer und Beschaffenheit des Bodens.
In jüngster Zeit ist die Agroökologie bekannt gemacht worden von Vordenkern wie Miguel Altieri, Professor an der Berkley University, aber auch von Michael Pollan, einem einflussreichen Ernährungsjournalisten (dessen Buch «Das Omnivoren Dilemma» ihr übrigens unbedingt lesen solltet).
Agroökologie schont die Umwelt und ist sehr arbeitsintensiv, ideale Voraussetzungen für eine Landwirtschaft der Zukunft in Afrika. Gut ausgebildete Kleinbauern könnte so genügend Nahrung für ein menschenwürdiges Leben produzieren, ohne die sattsam bekannten, zerstörerischen Nebenwirkungen der industriellen Landwirtschaft.
Diese Erkenntnis beginnt sich zum Glück durchzusetzen. So beginnt sich die Welternährungsorganisation FAO, für die Methoden der Agroökologie zu interessieren, und ihr Direktor José Granziano da Silva erklärte kürzlich:
Auch bei uns gewinnt die Bioökonomie von unten immer mehr Anhänger. Die Einsicht wächst, dass die weltumspannenden Supply Chains der globalisierten Wirtschaft künftig dezentralen, regionalen Wirtschaftskreisläufen weichen müssen. Auch die Abhängigkeit vom Erdöl in der Chemie ist nicht mehr unbestritten. Selbst die etablierten Chemiekonzerne beginnen zu erforschen, wie sie ihre Wirkstoffe direkt aus Nutzpflanzen gewinnen können.
Das bedeutet keinesfalls einen Rückfall in die alte Technikfeindschaft. Hermann Fischer beispielsweise, ein führender deutscher «Solarchemiker», vergleicht sein Unternehmen gerne mit Apple und kann sich gut vorstellen, dass in Zukunft Mini- oder Mikro-Roboter den Biobauern bei der Arbeit zur Seite stehen. Er plädiert dafür, «aus vollem Respekt für bewährte biologische Prinzipien modern zu handeln».
Gerade weil Big Data auf Biotech trifft, ist eine Bioökonomie möglich geworden. Sie erlaubt den Menschen einen sinnvollen Umgang mit der Natur und ermöglich die Produktion von genügend Nahrung. Die Technik allein wird es jedoch nicht richten. Sie muss in dezentrale Wirtschaftskreisläufe schaffen und soziale Institutionen eingebettet werden.
Und die Menschen müssen umdenken. Nicholas Georgescu-Roegen, ein Pionier der Bioökonomie, stellte schon früh fest: «Nur Ökonomen spannen noch immer den Wagen vor das Pferd, indem sie behaupten, dass die wachsenden Turbulenzen, mit denen die Menschheit konfrontiert ist, mit den richtigen Preisen verhindert werden könnten. Die Wahrheit ist: Nur wenn die Werte passen, werden es auch die Preise tun.»