
Wenn modernste Technik und das Bewusstsein für die Pflege der Umwelt zusammenkommen.
bild: tumblr/mattspangler
Selbst Unternehmen wie Monsanto und Nestlé entdecken
die «Green Economy». Haben sie etwas dazu gelernt – oder ist das der Auftakt zu
einem neuen Raubbau an der Natur?
29.03.2016, 14:4529.03.2016, 16:10

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In den
Siebzigerjahren war das Label «Bio» verbunden mit Zurück-zur-Natur-Romantik und
alternativen WGs wie Longo Mai. Heute schreiben es sich Unternehmen wie
Monsanto und Nestlé auf ihre Fahnen. «Alle Dinge, die uns ernähren, kleiden,
fortbewegen und pflegen, sollen zunehmend aus biologischen Quellen hergestellt
und mit biologischem Wissen optimiert werden», stellt Christiane Grefe in ihrem
Buch «Global Gardening» fest.

Das Buch ist im Kunstmann Verlag erschienen und kostet 29.10 Franken. Grefes ist Redaktorin bei der «Zeit» und Autorin zahlreicher Sachbücher.
bild: books.ch
Die Reporterin der
«Zeit» geht darin einem Megatrend der modernen Wirtschaft nach, der Bioökonomie. Ob in Hochschulen, Garagen von Startups oder den Labors der multinationalen
Konzernen: Überall wird mit Hochdruck daran geforscht, wie man die
«Biologisierung der Volkswirtschaft» vorantreiben kann.
Die Ziele sind dabei
hoch gesteckt. Joachim von Braun, Professor für Agrarwissenschaft an der
Universität Bonn und Mitglied des Bioökonomierats, geht davon aus, dass bis
Mitte des Jahrhunderts 50 Prozent aller Produkte auf biologischer Grundlage
erzeugt werden.
Die Bioökonomie geht
Hand in Hand mit der Digitalisierung der Gesellschaft. Big Data trifft auf
Biotech. Weil es dank immer
leistungsfähigeren Computern möglich geworden ist, die Natur immer präziser zu
analysieren, kann sie immer häufiger in eine Art Legosteine zerlegt und neu
zusammengesetzt werden. Das Erbgut von Pflanzen und Tieren kann heute rasch und
billig sequenziert werden. Das ermöglicht eine Turbozüchtung, eine
«Lego-Wissenschaft», gewissermassen.
«Zugleich beschwören Wissenschaftler deren gesellschaftsverändernden Charakter und vergleichen sie mit der Chemierevolution
im 19. Jahrhundert», stellt Grefe fest.
«Damals begannen Forscher, die Elemente des Periodensystems immer wieder neu zusammenzurühren, um Verbindungen zu synthetisieren, die es zuvor nicht gab. Ähnlich kombinieren nun die Biologen des 21. Jahrhunderts Gene und DNA-Schnipsel neu, um erst Zellbestandteile zu erschaffen, dann funktionelle Zellen ... und vielleicht ganz neue Lebewesen?»
Christiane Grefe
Das allerdings ist
Science Fiction. Schon heute wird die Bioökonomie wirtschaftlich immer
interessanter. Das muss sie auch. Um den Hunger einer nach wie vor wachsenden
Weltbevölkerung zu stillen, muss sich die Nahrungsmittelproduktion bis Mitte
dieses Jahrhunderts verdoppeln.
Ein Innovationsschub
ist daher dringend nötig, und er zeichnet sich bereits ab. Ein Beispiel ist das
«Vertical Farming» in Holland. Das sind eigentliche Lebensmittelfabriken in
High-Tech-Treibhäusern, die mitten in Städten für Nahrung sorgen:
«Die Vision ist eine Agrarproduktion, die von Schädlingen abgeschottet und gefeit vor Stürmen, Dürren und Fluten auch unter Klimastress die urbanen Massen ernährt.»
Christiane Grefe

Ein Projekt des Architekturbüros Vincent Callebaut: Nachhaltige Megalithen für ländliche Urbanität in Shenzhen, China.
bild: vincent callebaut architects
Bioökonomie bewegt
inzwischen auch die Finanzmärkte. Der Gouverneur der Bank of England, Mark Carney,
hat im vergangenen Herbst Investoren vor «potenziell riesigen Verlusten» im
Kohlenwasserstoff-Energiebereich gewarnt. Umgekehrt wird Cleantech zunehmend
zum Wachstumstreiber.
«Manager von Allianz
bis Evonik schwärmen schon davon, dass Umwelttechnologien derzeit einen neuen «Kondartjew-Zyklus» in Gang setzen, einen durch Innovation beschwingten Wirtschaftsaufschwung», stellt
Grefe fest.
Unter Druck gerät
auch die traditionelle Gentechnik. Die Digitalisierung hat das so genannte
Genome Editing ermöglicht, eine weit subtilere Art der Manipulierung von
Saatgut. Anders ausgedrückt: Die alte Gentech ist eine Axt, Genome Editing ein Skalpell.
Das hat weitreichende Konsequenzen: Das umstrittene Pestizid Glyphosat wird
überflüssig.
Die Entwicklung hat
teilweise auch die etablierten Player auf dem falschen Fuss erwischt, vor allem
Monsanto. Das Feindbild der Gentech-Gegner hat zulange auf die Verbindung von
traditioneller Gentech und Glyphosat gesetzt und die jüngsten Fortschritte
verschlafen. Deshalb versuchte Monsanto auch verzweifelt und vergeblich,
Syngenta zu kaufen.
Die Gründe erläutert
Juan Gonzales-Valero vom Basler Agro-Unternehmen:
«Ich gehe davon aus, dass die Synthetische Biologie und die modernen Züchtungsmethoden die Gentechnik zum Teil ersetzen werden.»
Juan Gonzales-Valero
Die Folgen werden weitreichend sein.
Gonzales-Valero rechnet damit, «dass wir innerhalb der nächsten zwei Jahrzehnte
die Landwirtschaft in einem Ausmass verändern müssen, wie wir es in der
Geschichte noch nie gesehen haben.»
Genom Editing und
Synthetische Biologie: Handelt es sich da nicht um alten Wein in neuen
Schläuchen? Wird da nicht einmal mehr versucht, ein soziales und
gesellschaftliches Problem technokratisch und profitorientiert zu lösen? Vor
allem in den Entwicklungsländern stellt sich diese Frage.
In Afrika ist die
Landwirtschaft immer noch meilenweit von der Produktivität der westlichen
Länder entfernt. Die einheimischen Bauern wurden durch subventionierte
Billigimporte aus Europa schwer geschädigt, stellt Grefe fest:
«Eine Reihe afrikanischer Staaten wurde von Nahrungsmittelimporten abhängig, 35 Milliarden Euro pro Jahr gibt der gesamte Kontinent dafür aus.»
Christiane Grefe
Mit Synthetischer
Biologie soll nun dieser Rückstand wieder wettgemacht werden. Dabei wird das
Kind mit dem Bade ausgeschüttet. Afrika ist nach wie vor ein Kontinent von
Kleinbauern. Wenn ihre Felder an grosse Konzerne und Investoren verschachert
werden – das viel zitierte Landgrabbing –, dann wandern sie in die Städte aus,
wo ein Leben in Armut in schlimmsten Slums auf sie wartet.
Zu glauben, man
könnte diesen Menschen in vernünftiger Frist Arbeit und ein menschenwürdiges
Dasein verschaffen, ist eine Illusion. «Die
Welt braucht einfach nicht eine Milliarde mehr Automechaniker oder IT-Berater»,
stellt Pevan Sukhdev fest, ein zum Vorkämpfer der Biodiversität mutierter
Ex-Banker.
Es braucht daher eine
Bioökonomie von unten. Zum Glück gibt es das bereits. Sie heisst Agroökologie
und stammt ursprünglich aus den USA. Darunter versteht man Agrarsysteme und
ihre Wechselwirkung auf die sie umgebenden Ökosysteme: Wälder, Arten, Klima,
Gewässer und Beschaffenheit des Bodens.
In jüngster Zeit ist
die Agroökologie bekannt gemacht worden von Vordenkern wie Miguel Altieri,
Professor an der Berkley University, aber auch von Michael Pollan, einem
einflussreichen Ernährungsjournalisten (dessen Buch «Das Omnivoren Dilemma» ihr
übrigens unbedingt lesen solltet).

Pollans literarisches Werk umfasst mehrere Sachbücher und zahlreiche Artikel über Nahrungsmittel und die menschliche Essenskultur.
bild: books.ch
Agroökologie schont
die Umwelt und ist sehr arbeitsintensiv, ideale Voraussetzungen für eine
Landwirtschaft der Zukunft in Afrika. Gut ausgebildete Kleinbauern könnte so
genügend Nahrung für ein menschenwürdiges Leben produzieren, ohne die sattsam bekannten,
zerstörerischen Nebenwirkungen der industriellen Landwirtschaft.
Diese Erkenntnis
beginnt sich zum Glück durchzusetzen. So beginnt sich die
Welternährungsorganisation FAO, für die Methoden der Agroökologie zu
interessieren, und ihr Direktor José
Granziano da Silva erklärte kürzlich:
«Wir haben hundert Jahre gebraucht, die Chemie in die Landwirtschaft einzubringen. Wir werden sie deutlich schneller wieder loswerden.»
José Granziano da Silva
Auch bei uns gewinnt
die Bioökonomie von unten immer mehr Anhänger. Die Einsicht wächst, dass die weltumspannenden
Supply Chains der globalisierten Wirtschaft künftig dezentralen, regionalen
Wirtschaftskreisläufen weichen müssen. Auch die Abhängigkeit vom Erdöl in der
Chemie ist nicht mehr unbestritten. Selbst die etablierten Chemiekonzerne
beginnen zu erforschen, wie sie ihre Wirkstoffe direkt aus Nutzpflanzen
gewinnen können.

Die dunkle Seite der globalisierten Wirtschaft erzwingt ein Umdenken: Zurück zu regionalen Wirtschaftskreisläufen.
bild: pennwhartontoronto
Das bedeutet
keinesfalls einen Rückfall in die alte Technikfeindschaft. Hermann Fischer
beispielsweise, ein führender deutscher «Solarchemiker», vergleicht sein
Unternehmen gerne mit Apple und kann sich gut vorstellen, dass in Zukunft Mini-
oder Mikro-Roboter den Biobauern bei der Arbeit zur Seite stehen. Er plädiert
dafür, «aus vollem Respekt für bewährte biologische Prinzipien modern zu
handeln».
Gerade weil Big Data
auf Biotech trifft, ist eine Bioökonomie möglich geworden. Sie erlaubt den
Menschen einen sinnvollen Umgang mit der Natur und ermöglich die Produktion von
genügend Nahrung. Die Technik allein wird es jedoch nicht richten. Sie muss in dezentrale
Wirtschaftskreisläufe schaffen und soziale Institutionen eingebettet werden.
Und die Menschen müssen
umdenken. Nicholas Georgescu-Roegen, ein Pionier der Bioökonomie, stellte schon
früh fest: «Nur Ökonomen spannen noch immer den Wagen vor das Pferd, indem sie
behaupten, dass die wachsenden Turbulenzen, mit denen die Menschheit
konfrontiert ist, mit den richtigen Preisen verhindert werden könnten. Die
Wahrheit ist: Nur wenn die Werte passen, werden es auch die Preise tun.»
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